Weidenpesch – Wer Günter Leitner kennt, weiß, dass dieser nicht nur allgemein ein ausgesprochener Kölnkenner und geborener Stadtführer ist, sondern auch ein spezielles Faible für die Friedhöfe der Stadt hat. Wenn also die Kölner Friedhofsgärtner zu einer Führung über den Nordfriedhof mit Leitner als Guide einladen, wissen Eingeweihte, dass diese nicht nur an der Oberfläche kratzen wird. Das machte Leitner schon im Eingangsbereich des Nordfriedhofs an der Merheimer Straße deutlich, denn dieser zeige, dass er in der gleichen Zeit angelegt wurde wie West- und Südfriedhof, nämlich um die Jahrhundertwende zwischen 19. und 20. Jahrhundert.
„Bei allen dreien ist der Eingangsbereich wie ein Park gestaltet und erst wenn sie weiter hinein vordringen, stoßen sie auf die Gräber. Das ist anders als auf Melaten, wo sie gleich beim Betreten auf den „Erinnerungsraum“ stoßen.“ Leitner hob auch den gut erhaltenen Bestand alter und prachtvoller Bäume hervor – nicht zuletzt durch diesen eigne sich der Nordfriedhof gut für die Baumbestattungen, die hier seit einiger Zeit angeboten würden.
Nicht weit vom Eingang findet sich auch bald eine der Sehenswürdigkeiten des Nordfriedhofs, die sogenannte „Millionenallee“: Unter einigen mächtigen, hundertjährigen Nadelhölzern liegt eine Reihe von aufwendig gearbeiteten und prachtvollen Gräbern wohlhabender Familien, deren Ursprünge bis in die 1920er Jahre und die Anfänge des 20. Jahrhunderts reichen. Bei den oft im Jugendstil gehaltenen, aus Sandstein, Marmor oder Travertin gearbeiteten Grabmalen gibt es jedoch ein Problem, auf das Leitner beim Nordfriedhof sehr oft stößt: „Wir wissen nicht viel über diese Familien“, so der Friedhofskenner. Oft sei nicht klar, wie diese ihren Wohlstand verdient hätten, hinter welchen Firmen diese gestanden hätten und welchen Einfluss sie folglich im Kölner Norden gehabt hätten. Auf der Suche nach den Antworten auf diese Fragen wälzt Leitner etwa alte Adressbücher des 19. Jahrhunderts, doch diese seien nach Straßen und nicht nach Namen geordnet. „Die dynastische Verfolgung der hiesigen Grabstätten ist jedenfalls schwierig“, stellt er fest.
Ohnehin stoße man auf dem Nordfriedhof nicht so häufig auf prominente Namen wie etwa auf dem Südfriedhof – die Fabrikantenfamilie Clouth etwa suche man hier vergeblich, auch wenn sich die Clouth-Werke in Nippes befunden hätten. „Die Zuordnung, wer auf welchem Friedhof zu begraben sei, richtete sich nach dem Wohnort, nicht dem Geschäftssitz“, erklärte Leitner. „Der Bereich des Nordfriedhofs reichte bis an den Theodor-Heuss-Ring – wer dort auf der Nordseite wohnte, der wurde hier begraben.“
Zwei der wenigen wirklich bekannten Persönlichkeiten, die hier begraben liegen, finden sich in nächster Nähe: Zum einen das gruftähnliche, aus Carrara-Marmor gearbeitete Grabmal von Jean Harzheim, dessen Abbruchunternehmen Kölns Erscheinungsbild über ein Jahrhundert prägte. „Die Unterlagen dieses Unternehmens sind für Stadthistoriker ein enorm wertvolles Quellenmaterial“, wusste Leitner. Nicht weniger einflussreich war sein „Grabnachbar“ Robert Gerling, der sein gleichnamiges Versicherungsunternehmen zu einem „weltumspannenden Imperium“ ausbaute. Zur Heldenverehrung eignet sich seine Grabstätte jedoch nicht – Leitner zeigte auf, dass diese ganz in der Ästhetik des Nationalsozialismus gehalten ist. Als Teil der Grabinschrift findet sich etwa der Spruch „Sein Kampf“. Zum Grab der zumindest für das heutige Publikum prominentesten Person, die auf dem Nordfriedhof die letzte Ruhe gefunden hat, führte Leitner ganz zum Schluss: Auch Trude Herr liegt hier – in einem einfachen Reihengrab nahe der Friedhofsmauer, gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern. Ein schöner Gegensatz zur den vergessenen Namen auf den Prachtbauten der Millionenallee– „auch wenn Bescheidenheit nicht gerade eine der hervorstechenden Eigenschaft von Trude Herr war“, wie Leitner sagte.