Seitdem klar ist, dass die Grundschulen wieder öffnen, hat der Kölner Kinderarzt Anselm Bönte Eltern in seiner Praxis, die ihre Kinder krankschreiben lassen wollen – auch aus Sorge um den Sommerurlaub.
Im Interview bewertet er die Öffnungen der Grundschulen aus medizinischer Sicht und gibt Tipps zum Besuch bei den Großeltern.
Köln – Herr Bönte, am Montag kehren die Grundschulen wieder zum Regelbetrieb zurück. Finden Sie das vertretbar?Bönte: Ich höre häufig Eltern, die klagen: Muss das jetzt zwei Wochen vor den Ferien sein? Dann sage ich: Natürlich! Wir haben eine Schulpflicht. Es gibt ein Recht auf Schule. Das ist ein hohes Gut. Und deshalb lohnen sich diese zwei Wochen. Jeder Tag lohnt sich. Aus Ärztesicht kann man sagen: Wir erleben seit vielen Wochen einen Rückgang der Infektionszahlen. Wir heben den Lockdown Schritt für Schritt auf und dennoch kommt es zu keinem allgemeinen Rückfall. Je länger dieser Zustand andauert, umso sicherer bin ich, dass Schulen und Kitas wieder öffnen sollten.
Aber dennoch scheint es so zu sein, dass infizierte Kinder das Virus weitergeben können?
Ja. Wir sehen zwar, dass Kinder, wenn sie infiziert sind, ähnlich hohe Virusmengen ausscheiden wie Erwachsene, aber wir erleben auch, dass Kinder viel weniger krank werden und vielleicht auch andere weniger häufig infizieren.
Und wenn wir die einzelnen Kinder betrachten: Ist das nicht ein Experiment mit deren Gesundheit?
Denken Sie mal an den Beginn der Schulschließungen. Man hat die Schulen nicht deshalb dicht gemacht, um die Kinder oder die Familien zu schützen. Man hat sich dazu entschlossen, um die Gesellschaft zu schützen und die Pandemie einzudämmen.
Das scheint jetzt nicht mehr in diesem Maße nötig zu sein. Ich halte Schulöffnungen für absolut vertretbar, wenn wir gleichzeitig genau hinsehen und sofort testen, wenn es einen winzigen Hinweis darauf gibt, dass jemand infiziert ist. Dann müssen wir im Falle eines Ausbruchs lokal die Lockerungen wieder zurück nehmen. Wir sollten bei der Debatte zudem nicht nur die Pandemie sehen. Der Kinderschutzbund und Sozialverbände haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es durch die Schulschließungen zu großen sozialen Ungerechtigkeiten kommt.
Gibt es Eltern in Ihrer Praxis, die Sorge haben und ihr Kind krankschreiben lassen wollen?
Ja, es gibt Familien, die wegen der Schulöffnung Angst um die Gesundheit ihrer Kinder haben. Ich kenne aber auch Familien mit wirklich schwerkranken Kindern, die ihre Söhne oder Töchter trotzdem in die Kita oder Schulen schicken. Es gibt da zum Beispiel eine Familie mit einem drei Jahre alten Jungen, der einen schweren Herzfehler hat und beatmet werden musste. Dieses Kind sollte kein Corona bekommen. Und dennoch sagen die Eltern bei aller Sorge: Wir wollen, dass er wieder in die Kita geht. Weil die anderen Kinder wichtig für ihn und seine Entwicklung sind. Das ist sehr schwer abzuwägen. Aber ich würde glaube ich ebenso handeln.
Ihre Tochter ist 16 Jahre alt und gesund. Muss die noch Abstriche machen bei ihrer Freizeitgestaltung?
Naja, natürlich. Sowas wie wilde Partys und Konzerte mit Gröhlen, da würde ich immer noch intervenieren. Aber wenn sie mal drei Freunde trifft, habe ich da keine Sorge. Was die Schule betrifft, würde ich ihr auch mehr Unterricht wünschen. Es ist schon ein paar Wochen her, da sagte sie, sie stünde zwei Stunden vor ihrem Latinum. Ohne Klassenarbeit. Mit kaum Unterricht. Das ist schon verrückt.
Mehr Lockerungen, mehr Abstriche. Gab es schon einen Corona-Fall in Ihrer Praxis?
Nein. Wir machen etwa zwei Abstriche am Tag im Schnitt. Immer dann, wenn Kinder Fieber haben, aber keinen eindeutigen anderen Infekt wie zum Beispiel eine Mandelentzündung. Bislang waren alle negativ. Ich habe ein bisschen Sorge, wie das im Winter sein wird, wenn sich Corona, Influenza und andere Virusinfektion vermischen. Dann wird es für uns schwerer zu entscheiden, wann wir einen Abstrich machen sollen. Und insgesamt gibt es dann schlicht sehr viel mehr zu tun.
Ich habe ja selbst Kinder und denke mir manchmal: Ich lass die jetzt alle testen und wenn alle negativ sind, fahren wir schnell zu den Großeltern. Gute Idee?
Leider eher nicht. Erstens müssen Sie bedenken: Der Abstrich ist fies. Würde ich den bei Ihrem dreijährigen Sohn machen, würde der danach sagen: Zu dem geh ich nicht mehr. Wir müssen einmal ganz nach hinten in den Rachen und dort kräftig mit dem Stäbchen rühren. Aber was noch schlimmer ist: Wir müssen auch einmal ganz nach hinten in die Nase. Da sind die Kinder erstmal sauer, glauben Sie mir. Außerdem können Sie für den Test und die Fahrt zu den Großeltern nicht den perfekten Zeitpunkt finden.
Wenn sich das Kind gerade eben angesteckt hat und inkubiert ist, dann kann der Test aber noch negativ sein. Zwei bis drei Tage später beim Besuch der Oma ist dann das Kind aber ansteckend und gibt den Virus weiter. Der Abstrich ist nur eine Momentaufnahme. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Auch hier gilt: Wir machen aber ja keine Abstriche, um das Individuum zu schützen, sondern um ein Kind zu identifizieren, das Symptome hat und möglicherweise in den nächsten Tagen in der Klasse andere Kinder anstecken könnte. Wir wollen die Infektionsketten unterbrechen.
Also besser immer noch keine Großeltern besuchen?
Spazierengehen ist glaube ich unproblematisch. Kaffeetrinken im Garten mit entsprechend Abstand vielleicht auch. Von kuscheln und übernachten und Familienfeiern mit mehreren Alten würde ich abraten.
Und was ist mit Fußball im Stadion? Die Vereine wollen in der kommenden Saison wenn irgend möglich wieder Fans.
Ich gucke selbst gern Fußball und weiß, wie wichtig das für manche Leute ist. Aber um ehrlich zu sein: Im Stadion sind viele Menschen auf engem Raum, es wird viel geschrien. Wenn da einer auf den Schiri schimpft oder den gegnerischen Stürmer, dann werden dabei jede Menge Viruströpfchen und Aerosolwolken ausgestoßen. Und dann hat am Ende der ganze Block E Corona. Da fürchte ich, müssen wir noch ein wenig Geduld haben.