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Streit der WocheIst es richtig, dass die Grundschulen wieder öffnen?

Lesezeit 6 Minuten
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Ab dem 15.06.2020 werden 600.000 Grundschüler in NRW wieder in voller Klassenstärke unterrichtet.

  1. Ab Montag dürfen alle Grundschulkinder wieder jeden Tag den Unterricht besuchen.
  2. Eine gute Entscheidung nach drei Monaten Verzicht auf Lernen im sozialen Austausch? Oder hochriskant?
  3. Ja, sagt Tanja Wessendorf, ihren Kindern haben die drei Monate ohne Schule nicht gut getan. Nein, sagt Jenny Meyszner, es ist das falsche Signal und der falsche Zeitpunkt. Unser Streit der Woche.

KölnPro: Die Nachricht kam plötzlich. Nach drei Monaten zu Hause dürfen die Grundschulkinder endlich wieder uneingeschränkt in die Schule gehen. Ich finde das gut. Natürlich habe ich mich gefragt: Ist das richtig? Was, wenn sich doch jemand ansteckt? Und vor allem: Warum jetzt? Zwei Wochen vor den Sommerferien? Lohnt sich doch gar nicht. Aber ich finde, es lohnt sich doch.

Drei Monate mit Homeoffice und Homeschooling haben meinen Kindern nicht gut getan. Der Jüngere ist erst vergangenen Sommer in die erste Klasse gekommen. Die Umstellung von Kindergarten auf Schule fiel ihm nicht leicht. Es hat Monate gedauert, bis er sich in der Schule richtig eingewöhnt hatte, eigentlich sogar bis Anfang des Jahres. Gerade erst lief alles halbwegs rund. Und dann kam Corona und machte alles wieder kaputt. Mein Sohn ist jetzt beinahe genauso lange zu Hause wie er zur Schule gegangen ist.

Er hat beinahe vergessen, wie seine Lehrerin aussieht, wer in seine Klasse geht. Obwohl er von Anfang an ein wissbegieriger, gewissenhafter und fleißiger Schüler war, fiel es ihm jede Woche schwerer, seinen Lernplan zu erfüllen und sich zu motivieren. „Ich kann zu Hause nicht lernen, Mama. Ich kann das nur in der Schule“, sagte er. Er hat doch gerade erst angefangen, lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Ich habe Angst, dass er alles wieder vergisst.

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„Drei Monate Verzicht auf sozialen Austausch und Bildung sind genug“

Die Bedingungen zu Hause sind nicht ideal. Alle sind zu Hause, alle müssen arbeiten. Da ist – wie immer, wenn Menschen zu lange zu eng aufeinander hocken – die Stimmung nicht gerade überschwänglich. Seit ein paar Wochen darf der Jüngste wieder jeden Dienstag mit der Hälfte seiner Klasse in die Schule gehen. Vom ersten Tag an hat er es geliebt. „Es war so toll! Ich will morgen wieder hin“, sagte er beim Abholen freudestrahlend. „Das geht leider nicht, morgen sind die Zweitklässler dran. Du muss noch eine Woche warten“, musste ich ihn enttäuschen.

Das ist nun zum Glück vorbei. Kinder brauchen andere Kinder. Erstklässler wie mein Sohn haben jetzt die Chance, sich wieder an das Prinzip Schule zu erinnern und das Gelernte aufzufrischen. Sie sehen endlich ihre Lehrer und Betreuer wieder, die gerade in dem Alter so wichtig sind. Die Viertklässler dürfen in Ruhe von ihrer Grundschulzeit Abschied nehmen und die letzte Zeit als die Größten genießen. Alle erhalten Struktur zurück. Konsequent wäre es, nicht nur die Grundschulen, sondern alle Schulen wieder zu öffnen. Schließlich haben alle Schüler – egal wie alt – drei Monate auf Bildung und sozialen Austausch verzichtet. Drei Monate ohne Schule und Freunde sind für Kinder eine unendlich lange Zeit. Mit den Sommerferien stehen danach weitere sechs Wochen bevor. Das geht nicht.

Die Schüler brauchen vor den Ferien wenigstens einen kleinen Eindruck von Normalität. Auch, wenn diese Normalität ganz anders aussehen wird als vor Corona. Die Klassen dürfen sich nicht mischen, es gibt gestaffelte Pausenzeiten, verschiedene Eingänge und die Kinder tragen Masken. Und doch ist diese Lösung besser als weitere acht Wochen zu Hause. Wir freuen uns auf Montag.

Tanja Wessendorf (41), Redakteurin Freizeit & Ratgeber, hat zwei Söhne (7 und 11 Jahre). Die vergangenen Wochen hat sie mit ihrem Mann versucht, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen und dabei einigermaßen die Nerven zu behalten.

Contra: Dass wir uns nicht missverstehen: Ich bin für eine Rückkehr zum Normalbetrieb. Urlaub in Italien statt im Sauerland. Freundinnen in einer Bar treffen statt im Garten. Arbeiten im Büro statt im Wohnzimmer. Und natürlich: dem Kind ein Butterbrot schmieren und es in die Schule schicken. Tag für Tag. Normalbetrieb – eine herrliche Vorstellung. Aber noch ist nichts normal. Wir müssen Abstand einhalten, Masken in der Öffentlichkeit tragen und dürfen uns bloß nicht zu elft im Park treffen. Die Infektionsgefahr. Sie wissen schon.

Für die rund 600000 Grundschulkinder in NRW gelten diese Regeln nicht mehr: Sie haben ab Montag wieder regulär Unterricht. Nicht in kleinen Lerngruppen und tageweise abwechselnd wie zuletzt, sondern jeden Tag und in voller Besetzung. 29 Kinder und eine Lehrerin in einem überschaubar großen Raum heißt das im Fall meiner Tochter, einer Zweitklässlerin. An Abstandsregeln ist da nicht zu denken, weswegen das Schulministerium die als erstes über Bord gestoßen hat. Stattdessen sei „der notwendige Infektionsschutz durch das Prinzip konstanter Lerngruppen erfüllt“, teilt das Ministerium mit. Innerhalb dieser konstanten Lerngruppen muss übrigens auch kein Mundschutz mehr getragen werden.

„Es ist ein Experiment mit der Gesundheit unserer Kinder“

Das ist das falsche Signal und auch der falsche Zeitpunkt. Nach wie vor gibt es keine aussagekräftige Studie darüber, dass Kinder sich seltener mit dem Virus infizieren oder es verbreiten. „Es gibt keine nachweisbaren Unterschiede in der Viruslast“, sagt Christian Drosten. Die Wahrheit ist: Es ist ein Experiment mit der Gesundheit unserer Kinder – und der der Lehrerinnen und Lehrer. Wenn es blöd läuft, kommt es zu Ansteckungen und dann beginnen die Ferien für viele Familien mit zwei Wochen Quarantäne.

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Warum überhaupt die plötzliche Eile? Nachdem man die Eltern wochenlang mit der Beschulung ihrer Kinder weitgehend allein gelassen hat, beteuert Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP): „Wenn es um die Bildung unserer Kinder geht, zählt jeder Tag.“ Was hingegen nicht mehr zählt, sind die von den Schulen mühsam erarbeiteten Konzepte für den tageweisen Präsenzunterricht bis zu den Ferien. Umsonst gemacht.

Wäre es nicht besser, die Schulen könnten die letzten Wochen vor den Ferien dazu nutzen, sich auf die Zeit nach den Ferien vorzubereiten? Auch Eltern- und Lehrerverbände fordern das. Nicht zuletzt, weil Konzepte dazu aus der Landesregierung bislang fehlen. Zu den drängendsten Problemen gehört die Frage nach dem fehlenden Lehrpersonal an manchen Schulen: 20 Prozent der Grundschullehrer in NRW haben ein Attest, das sie vom Präsenzunterricht befreit, weil sie ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Ein Vollbetrieb der Schulen ist schon aus diesem Grund nicht möglich. Wie sollen Kinder, die zu Risikogruppen gehören, jetzt ihr Recht auf Bildung wahrnehmen? Wie lassen sich die technischen Voraussetzungen schaffen, um nach den Ferien einen guten Mix aus Präsenz- und Fernunterricht anzubieten? Wie bekommen Familien Zugang zu technischen Geräten, die sich keine eigenen leisten können?

Keine einzige dieser Fragen ist leicht zu beantworten, machen wir es uns also auch nicht zu leicht. Noch ist nichts normal.

Jenny Meyszner (45), Leiterin Redaktion Freizeit & Ratgeber, hat eine Tochter (8 Jahre) und schickt diese ab Montag nun mit gemischten Gefühlen wieder zur Schule. Die Tochter ist aber guter Dinge: Endlich ist die Klasse wieder komplett.