Köln – Herr Hunold, es geht wieder los mit dem Karneval. Am Wochenende ist „Jeck im Sunnesching“. Haben Sie schon ein Kostüm?
Nein, natürlich nicht. An der Position des offiziellen Karnevals hat sich ja nichts geändert. Ein Oktoberfest in München findet im Oktober statt, und niemand käme auf die Idee, das in eine andere Jahreszeit zu transportieren. Selbst in Shanghai findet das Oktoberfest im Oktober statt. Weihnachten ist im Dezember und Karneval zwischen dem 1. Januar und Aschermittwoch. Dann gibt es den 11.11. als Insel, und alles andere hat mit Karneval nichts zu tun.
Da trifft sich eine Partygesellschaft, die das genau so etwa am Ballermann in Mallorca tut oder bei Junggesellenabschieden. Ich bin ja selbst jemand, der gerne feiert und für jede Party zu haben ist, aber man muss einfach auch gucken, dass es schützenswerte Güter gibt. Der Karneval ist so ein schützenswertes Gut, eingebettet in eine christliche Tradition – und am Aschermittwoch ist alles vorbei.
Der Sommerkarneval ist ein knallhartes Geschäft, initiiert von einer Brauerei, aber das Thema passt nicht zum Image dieser Stadt, die aufpassen muss, dass sie nicht zur Partymeile verkommt. Das kann schnell als Bumerang zurückkommen, weil wir Köln ganz anders zeigen, als es wirklich ist.
Es wird ja auch immer mehr. Jetzt kommt noch der „Jeckliner“ – Kreuzfahrt im Kostüm zwischen Mallorca und Barcelona.
Absolut. Und wenn jede Reiseagentur auf den Zug aufspringt, um auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen, müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir das so wollen.
Können Sie denn dagegensteuern? Das lässt sich ja schlecht verbieten.
Wir werden auf jeden Fall darüber reden. Wir haben einen Dachverband, das Festkomitee, das die Werte des Kölner Karnevals schützen soll.
Da sind aber weder die Musiker noch die Sponsoren oder die Konzertagenturen drin.
Die Musiker muss man da rausnehmen, die spielen ihre Konzerte so oder so das ganze Jahr. Und die Qualität des Liedgutes ist ja so gut, das will man auch das ganze Jahr hören. Aber bei der Marke Karneval muss man aufpassen, dass man sich nicht zu sehr dem schnöden Mammon hingibt.
Der ehrenamtliche Karneval ist ja nur ein Teil des Festes, und wenn man diese Studien sieht, hat er eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für diese Stadt. Da reden wir von weit mehr als einer halben Milliarde Euro in einer Session. Und er ist ein Exportschlager.
Wenn wir mit den Roten Funken 2010 in China unterwegs waren, mit Wirtschaftsdelegationen, der c/o Pop, der Universität, der Oper, dann repräsentieren wir das Kapital dieser Region. Ein Kapital, das du so in keiner anderen Stadt in Deutschland findest. Auch das, was andere Gesellschaften zeigen, etwa die Blauen Funken in China oder die Ehrengarde in New York, ist eine völlig andere Geschichte als unser Karnevalsfest in Köln unter dem Jahr zu verballermanisieren.
Also wenn die Roten Funken demnächst nach Kuba und in die USA fahren, dann ist das okay?
Natürlich kann man uns vorwerfen, das wir eine Manöverfahrt außerhalb der Session machen, aber das hat ja einen ganz anderen Anstrich als feiern um des Feierns willen: Wir haben einen politischen Anlass, wir bringen unsere Kölner Kultur und Tradition in die Welt. Wenn wir unsere Vielfältigkeit, unsere Farben, unsere Fröhlichkeit zeigen, unseren Humor, unsere Menschen, auch unter der Facette Brauchtum, Karneval, Kultur, dann ist das eine großartige Geschichte.
Was bedeutet das konkret?
Wir bringen das Rheinland nach Havanna, in bewährter Manier mit den Höhnern. Wir werden an Schulen gehen und den Reiseteilnehmern zeigen, wie dort ausgebildet wird in den Bereichen Tanz und Musik. Wir werden in der deutschen Botschaft 800 Diplomaten hoffentlich begeistern mit einem Auftritt am Tag der Deutschen Einheit, und es gibt eine Art Funkenbiwak für die Bevölkerung.
Dann geht es weiter in die USA: Am 6. Oktober, dem German-American Day, werden wir in Wickenburg, Arizona, sein, einer von Deutschen gegründeten Kleinstadt. Dort wird es ein Rodeo geben und wir werden die Highschool besuchen. Dort haben wir ein Stipendium ausgeschrieben zum Thema: Was können Deutsche und Amerikaner voneinander lernen. Das wird sehr spannend.
Zurück zum Sommerkarneval: Auf den Profit wird keiner verzichten wollen. Am Wochenende kommen allein 30.000 Menschen zu den Open-Air-Veranstaltungen im Jugendpark und der Bonner Rheinaue.
Ich schlage vor, statt „Jeck im Sunnesching“ im nächsten Sommer ein „Fest der Kölner Kulturen“ aufzuziehen. Hier in Köln leben Menschen aus mehr als 180 Nationen. Was wäre das für ein Schauspiel, wenn sich diese Kulturen präsentieren würden, in ihren Trachten, mit ihren Tänzen, ein Fest der Integration, bei dem sich die Stadt in ihrer ganzen Vielfalt präsentieren kann.
Die Kölner Künstler wären natürlich auch dabei, die Bierbuden. Ich glaube nicht, dass da weniger Leute hinkommen würden. Da hätte jeder etwas von.
Haben Sie schon mit jemandem darüber gesprochen?
Ich habe da schon mit den Jeck-Veranstaltern drüber geredet, genau wie mit den Korps-Gesellschaften. Einige Politiker haben positiv reagiert.
Das Problem ist: Wer will es organisieren? Mich würde das schon reizen, so ein Fest auf die Beine zu stellen, aber wir Ehrenamtler sind mit dem, was wir für unseren Verein machen, ganzjährig ausgebucht. Ich habe eine Firma mit 100 Mitarbeitern. Das und Präsident der Roten Funken – mehr geht nicht.
Apropos Politiker. Wie ist man als ehrenamtlicher Brauchtumspfleger mit der Kölner Politik und ihrer Außendarstellung zufrieden?
Was mir auffällt ist: Früher gab es so etwas wie eine interfraktionelle Zusammenarbeit bei den wichtigen Themen, wenn es Sinn machte. Heute habe ich häufig den Eindruck, dass die politischen Lager zu oft diesen Sinn aus dem Auge verlieren. Es wird unter den demokratischen Kräften der Mitte doch sehr viel gestritten, obwohl man gar nicht so weit auseinanderliegt. Das schürt die Kräfte links und rechts außen, zumal die Diskussion auch durch die sozialen Medien oft sehr oberflächlich geworden ist.
Diese Mitte, die ja von einer breiten Mehrheit getragen wird, die Geist und Willen unserer Gesellschaft repräsentiert, ist eigentlich zu mehr Einigkeit verdammt. Ich würde mir wünschen, dass dieser Geist auch wieder erkannt wird. Ich gebe allerdings zu, dass etwa wir Unternehmer das Spiel häufig vom Zuschauerplatz aus betrachten und uns zu wenig engagieren.
Sie haben vor etwa zwei Jahren gesagt: Wir wollen uns als Rote Funken mehr in der Stadtgesellschaft einbringen, Stellung beziehen. Da ist aber nicht so viel gekommen.
Das ist eine berechtigte Kritik, wobei wir politischer geworden sind. Wenn ich an den 22. April 2017 denke, den Tag des AfD-Parteitags im Maritim, da haben wir sehr deutlich Flagge gezeigt. Wir haben gesagt, dass diese Stadt kein Platz für Randale ist, kein Platz, um zu spalten, kein Platz für politische Krawalle und tumben Populismus.
Nochmal: Sie haben gesagt, wir müssen uns mehr einbringen. Das ist nicht nur eine Kritik an den Roten Funken, sondern an allen Traditionskorps. Was sie eben als Mitte der Gesellschaft beschrieben haben, ist doch in allen Korps vertreten.
Absolut. Das politische Spektrum bildet sich auch in unseren Vereinen ab. Die Frage ist: Wie politisch wollten wir werden, und wie politisch sind wir geworden. Ich denke schon, dass wir Einfluss haben in dieser Stadtgesellschaft. Wir Roten Funken waren die Einzigen, die in Uniform Farbe bekannt haben. Aber selbst bei uns im Korps gab es hitzige Diskussionen, ob uns ein solches Engagement überhaupt zusteht. Das haben nicht alle verstanden oder gut geheißen.
Aber die Diskussion hat auch gezeigt, dass so ein Korps mit 550 Mitgliedern lebt, das hat uns weiter gebracht. Letztendlich ist auch unser Präsidium mehrheitlich gewählt, und so haben wir entschieden – vielleicht unsere bisher politischste Position. Wobei wir bei unseren Auslandsreisen immer die politischen Kontakte gesucht haben. Das waren nie Kegelclubtouren, sondern wir hatten immer auch einen politischen Anspruch.
Zum Thema Rosenmontagszug: Die Roten Funken sind ja verschrien, den Zug in die Länge zu ziehen.
Völliger Quatsch. Wir haben ja mittlerweile eigene Tracking-Systeme, eine App, die alle Traditionskorps mit der Telekom in Bonn entwickelt haben, wo wir genau sehen, wie der Abstand zwischen dem ersten und dem letzten Funk ist. Das ermöglicht es uns, dass wir auf der ganzen Strecke ein geschlossenes Bild abgeben können.
Und wie ist Ihre Haltung zum umstrittenen Thema der Pferde im Rosenmontagszug?
Zunächst einmal allergrößten Respekt für die Verantwortlichen, die sich ehrenamtlich um ein solches Riesenprojekt kümmern. Und die durch die Art und Weise, wie die Gesellschaft heute reagiert, viel schneller in die Kritik geraten. Das Thema Pferde im Zug ist enorm schwierig.
Wir haben am 1. April auf unserer Homepage gesagt, wir nehmen die Pferde raus und dafür Elefanten mit. Das ist eine Anspielung auf das Jahr 1947: Damals hat der Circus Williams den Roten Funken die Pferde gestellt, der Koch saß auf einem Esel. Und es gab einen Elefanten, der den kompletten Weg mit den Funken gegangen ist. Menschentrauben scharten sich um das Tier. Heute unvorstellbar.
Zurück zur Problematik der Pferde...
Wir haben vielleicht gar nicht so sehr das Problem der Pferde, sondern das der sich extrem verändernden Bevölkerung am Zugrand. Die Parade mit Pferden ist traditionelles Brauchtum. Und jeder, der zu einem Rosenmontagszug geht, setzt sich, ähnlich wie wenn er zum FC geht, mit der eigenen Entscheidung einer möglichen Gefährdung aus.
Es gab ja schon andere tragische Unfälle auch ohne Pferde. Das ist natürlich immer eine Katastrophe. Dennoch ist es für mich nicht vorstellbar, ohne Pferde im Zoch unterwegs zu sein. Ich begrüße die Entscheidung des Festkomitees ausdrücklich.
Was halten Sie von der durchgehenden Beschallung des Zugwegs?
Das mag für Sicherheitsdurchsagen durchaus sinnvoll sein. Aber es ist eine Unart, die Tambourzüge totzuspielen. Wenn einer von denen vorbeizieht, muss die Musik auf der Tribüne aus sein. Es gibt Strategen, die meinen, wir hätten genug Musik auf den Tribünen, da bräuchte man im Zug keine mehr. Das halte ich für eine Katastrophe.
Diese individuelle, spontane, aber auch traditionelle Kultur der live gespielten Lieder wird doch gerade durch Musikzüge gelebt. Da müssen die Moderatoren auf den Tribünen Rücksicht drauf nehmen. Aber Rücksichtnahme ist vielleicht eines der großen Probleme, die wir heute gesellschaftlich haben. Wir müssen alle aufeinander aufpassen, uns benehmen: die im Zug genau wie die am Wegesrand.
2023 gibt es ein Doppeljubiläum – 200 Jahre Rote Funken und 200 Jahre Festkomitee.
Wir steuern auf ein großes Jubiläum zu. Wir arbeiten schon immer sehr stark inhaltlich.Wenn wir darüber nachdenken: 200 Jahre, wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was soll da passieren? Wie kann man das Phänomen Karneval herausarbeiten, aber auch die Verbundenheit der Menschen damit?
Wir machen das zusammen mit dem Festkomitee, treten gemeinsam auf. Es wäre fatal, wenn jeder sein Ding macht. Es geht darum, die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Hören Sie danach als Präsident der Roten Funken auf?
Erst muss ich erneut gewählt werden. Wenn das klappt, würde ich das bis 2024 machen. Dann wäre es Zeit für einen Wechsel. Das muss ich frühzeitig so kommunizieren, auch um eine neue Generation zu bitten, mitzumachen. Aber wir sind da gut aufgestellt.
Man kann noch nicht sagen : „Mer han ’ne Neue im Blick“, aber wir haben eine Menge Leute, die sich aktiv beteiligen. Ich werde Rotz und Wasser heulen, weil ich das leidenschaftlich gerne mache, aber es ist gut, auch für sich selbst zu sagen, dann ist die Zick eröm.
Zur Person
Heinz-Günther Hunold (59), verheiratet, drei Kinder, Senior-Partner der AHW Steuerberater Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte, ist seit 2001 Präsident der Roten Funken.