- Gute Nachrichten für alle, die den Karneval nicht in den Genen haben: Brauchtum kann man lernen, Jecksein auch.
- Man muss es nur wollen. Eine Anleitung.
Köln – Das ist eines dieser hoffnungslosen Unterfangen, einem Nicht-Kölschen die Faszination des kölschen Fasteleer nahezubringen. Mit Worten. Im Trockenkurs sozusagen. Wie soll man etwas erklären, was sich nur erschunkeln, erfühlen und erleben lässt? Wie soll das bitteschön gehen? Am Rosenmontag!
Nun gehören Sie ja zu denen, die sich diesen Text vorgenommen haben. Doch leider steht zu befürchten, dass Sie ihn nicht verstehen werden. Warum? Weil Sie vermutlich das kölsche Narren-Gen nicht in sich tragen. Sonst hätten Sie heute wahrlich etwas anderes tun. Oder sind Sie eines von jenen bedauernswerten Geschöpfen, die der Fasteleer blöderweise mit der Grippe infiziert und aufs Bett geworfen hat, bevor er selbst mit letzter Kraft seinem Höhepunkt entgegentaumelt. Das wäre entsetzlich, aber wat willste maache? Was bin ich eigentlich?
Deshalb machen Sie jetzt mal nicht so ein Ingwer-Gesicht! Machen wir das Beste draus. Versuchen wir gemeinsam, dem Phänomen des kölschen Fasteleer auf die Spur zu kommen, seine Faszination zu ergründen. Stellen wir uns zuerst eine simple Frage: Was bin ich eigentlich? Kölscher oder Kölner? Kölsche oder Kölnerin?
Worin der Unterschied besteht? Kölner kann man werden, wenn man will. Kölscher hingegen nie. Das hat der renommierte Brauchtumsforscher Wolfgang Oelsner schon vor Jahren herausgefunden. Ein Kölscher ist in Kölle geboren, aufgewachsen, trinkt Kölsch, spricht kölsch, denkt und träumt kölsch. Ob man Kölner ist, kann man hingegen selbst bestimmen. Auch wenn man keinen Kurs in der Akademie för uns kölsche Sproch besucht hat.
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„Köln ist eine der wenigen Städte, die es zulässt, dass man sich per Selbstdefinition zu einem der ihren ernennt“, sagt Oelsner. „Wenn immer etwas an dem Lied »Unsere Stammbaum« von den Bläck Fööss dran sein soll, dann das: Ich muss nicht hier geboren sein, um sagen zu können, ich bin ein Kölner.“
Vermutlich gibt es also wesentlich mehr Kölner als Kölsche. Die meisten von ihnen hadern ihr Leben lang mit dem Schicksal, dass sie den Status „Kölscher“ niemals erreichen können. Was tun sie also? Sie versuchen möglichst viel von dem aufzunehmen und zu verinnerlichen, was dem Kölschen in die Wiege gelegt wurde.
Damit wären wir schon beim Kern des kölschen Fasteleer und einer guten Nachricht. Sie müssen keine gentechnischen Veränderungen vornehmen, um närrisch zu werden. Brauchtum kann man lernen. Jecksein auch. Man muss es nur wollen.
Früher ging das vor allem ganz traditionell – in den klassischen Karnevalsgesellschaften, die mit ihren Kamellebüggeln im Zoch auch viel Tradition herumschleppen. Das muss so sein. Weil das Brauchtum ist. Doch längst führen viele Wege abseits der uralten Traditionen zum Jecksein, zumal ja immer neue hinzukommen.
Friedliche Koexistenz
Echte Kölsche und selbst ernannte Kölner leben zumeist in friedlicher Koexistenz, auch wenn es echten Kölschen manchmal schwer fällt, eine Liedzeile der Bläck Fööss, der Mutter aller kölschen Bands, zu akzeptieren, die da lautet: „Bes du he nit jebore, dat es doch janit schlemm. Wichtig es, wofür et schläät, dat kleine rude Ding.“ Und jetzt glauben Sie bloß nicht, dass die Bläck Fööss in ihrer Urbesetzung alles echte Kölsche sind. Von wegen. Hartmut Priess beispielsweise stammt aus Berlin. Mit dem „rude Ding“ ist übrigens das Herz gemeint, das in dieser Session bekanntlich im Veedel schlägt.Spüren Sie schon, worauf das hier hinausläuft? Genau. Auf dat Jeföhl. „Et Hätz schleiht im Veedel.“
Selten hat es ein emotionaleres Sessionsmotto gegeben. Kölsche und Kölner haben es gleichermaßen aufgesaugt und beim Wühlen in ihren Kostümkisten voller Erstaunen festgestellt, dass sich fast alles aus dem Fundus vieler Karnevalsjahre für dieses urkölsche Motto verwerten lässt. Hauptsache rut-wiess.
So fantasievoll kostümiert wie in diesem Jahr waren die Jecken selten. Das ist das Faszinierende am Fasteleer. Jetzt sind die Tage gekommen, in denen das Wurfmaterial für den noch so kleinsten Nachbarschaftszug, über das Jahr hinweg gesammelt, unters Narrenvolk geschmissen wird. In der das Geklebte, Getackerte und Genähte raus will auf die Straße, nachdem es in den Sälen schon im Einsatz war. Bei den Stunkern, den Imis, bei Deiner Sitzung, beim Jeckespill, bei Fatal Banal und in den Pfarrheimen, wo der Pastor noch persönlich in die Bütt steigt.
Mit kindlicher Freude
Der Chef eines großen Kölner Unternehmens, das deutschlandweit mit dem Verkauf von Kostümen sein Geld verdient, hat kürzlich festgestellt, dass die Düsseldorfer deutlich mehr in ihr Kostüm von der Stange investieren als die Kölner. Die basteln lieber. Mit kindlicher Freude.Und sie lieben die Figuren, die im Fastelovend besungen werden fast mehr noch als ihre Veedel. Die meisten dieser Alltagshelden sind nach einer Session verschwunden, einige überdauern ein paar Jahre, manche werden zu Legenden. Wie der ahle Mann vür d’r Weetschaffsdüür, der Kölsche Jung, Tosca, Rosa oder Carmen, die dicken Mädchen mit den schönen Namen.
Auch diese Session hat eine solche Figur hervorgebracht, der zwar keine große Halbwertszeit beschieden sein dürfte, die es bei „Loss mer singe“ aber gleich zum Massenkostüm gebracht hat. Der „Flip-Flop-Jupp vum Aqualand“ ist dermaßen kölsch, der muss im Severinsklösterchen das Licht der Welt erblickt haben. Er hat so jot wie kene Plan, doch ne superjeile Schwemmbotz an. Der Jupp würde sich bestimmt blendend verstehen mit dem Saunaboy oder mit einem gelben Gießkännchen bekleidete Ralf, der im Supermarkt seine Mutter zur Verzweiflung treibt.
Nur in der Fantasie
Wir könnten die Reihe der kölschen Figuren ewig fortsetzen, die Kölner und Kölsche auf dem Höhepunkt des Straßenkarneval unermüdlich ihren Gästen vorstellen. Dä Pitter und dä Speimanes, dat Katrin und dat leev Marie. Damit alle Nicht-Kölner ihre Begeisterung spüren für die kleinen Gestalten, die von Weiberfastnacht bis zur Nubbelverbrennung lebendig werden. Mit all ihren kleinen Fehlern, ihrem Witz, ihrer Schlitzohrigkeit und der Gabe, die Dinge nicht so ganz ernst zu nehmen.
Dieses Zugehörigkeitsgefühl geht einher mit der Botschaft, sich diese Vielfalt nicht von nichts und niemandem kaputt machen zu lassen. Der Fasteleer 2020 ist mit einer klaren politischen Aussage verknüpft, die emotionaler kaum vorgebracht werden könnte: Su läuf dat he!