Warum Tacker, Heißklebepistole und Sicherheitsnadel den Karneval zusammenhalten. Und was ein Düsseldorfer Familienbetrieb damit zu tun hat.
Was den Karneval zusammenhältDas heimliche Dreigestirn aus dem Werkzeugkasten
Ich bin mir sicher. Die wenigsten von Ihnen werden George W. McGill kennen. Doch die Frage, wie sich der Kölner Karneval ohne seine Erfindungen entwickelt hätte, lässt viel Raum für Spekulationen.
Durchaus möglich, dass sich das Festordnende Komitee von 1823, als es vor 200 Jahren damit begann, das wilde Treiben in Köln in geordnete Bahnen zu lenken, mit seinen steifen Karnevalsregeln in ihrer ganzen Radikalität durchgesetzt hätte. Vielleicht wäre der Rosenmontagszug heute nur eine Parade stolzer Traditionskorps in prunkvollen Uniformen mit schicken Revers und blitzenden Knöpfen, an denen jede Naht sitzt. Gefolgt von einem Dreigestirn im Ornat ohne Fehl und Tadel. Perfekt bis ins Detail. Wie die Prinzenproklamation im Gürzenich. Ganz ohne Lappenclown, Matrose und Froschkönigin.
Die Geburtsstunde des Tackers schlägt 1879 in den USA
Zum Glück ist es anders gekommen. Am 24. Juli 1866 erhielt George W. McGill das US-Patent 56,587 für eine kleine, biegsame und maschinell herstellbare Heftklammer. Ein gutes Jahr später, am 13. August 1867 folgte das Patent 67,665 für eine Presse, mit der die Heftklammern in Papier hineingedrückt werden konnten. Im Jahr 1879 bekam McGill das Patent für den Einzel-Heftklammerer verliehen, damals ein Schwergewicht von einem Kilogramm.
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Das ist die Geburtsstunde eines Geräts, das wir heute fälschlicherweise Tacker nennen, obwohl es eigentlich eine Heftzange ist. Zusammen mit der Sicherheitsnadel und der Heißklebepistole bildet es das wahre Kölner Dreigestirn. Weil es den Karneval zusammenhält, wenn die Jecken mal wieder vor Freude zu platzen drohen. Oder wenn es darum geht, ein schnelles und fantasievolles Kostüm aus den Resten zu zaubern, die sich in jeder Kölner Karnevalskiste finden.
Die Helden jeder Volkssitzung
Tacker, Sicherheitsnadel, Heißklebepistole sind ein Dreigestirn für die Ewigkeit. Sie sind die Helden jeder Volkssitzung – ob auf dem Neumarkt, im Pfarrsaal oder in der Schule. In einer Stadt, die ihre Provisorien zum Brauchtum erklärt hat, müsste der Tacker überdies noch Ehrenbürger sein.
Noch hat das wahre Dreigestirn im Karnevalsmuseum am Maarweg keinen Platz gefunden, geschweige denn gibt es eine Ausstellung der Haute Couture des spontanen Fastelovends, die ohne seinen Einsatz niemals zustande gekommen wäre. Ihr Titel kann nur „Kostüme auf den letzten Drücker“ lauten. Die Prinzenrolle steht dem Tacker zu – wem sonst?
Wenn Karin Feldges (62) über ihren ehemaligen Chef spricht, huscht immer noch ein Lächeln über ihr Gesicht. Rodger Joseph Byrne, ein Ire, der 1961 mit dem Zug nach Düsseldorf kam, ist der Mann, der den Tacker in Deutschland populär gemacht hat.
Seit 40 Jahren arbeitet Feldges in der Düsseldorfer Niederlassung der Dr. Gold & Co. KG, in einem unauffälligen Büro in den oberen Etagen eines Geschäftshauses auf der Königsallee, jener Prachtstraße, die von den Kölnern immer mit einer Mischung aus Argwohn und Bewunderung beäugt wird.
Das Familienunternehmen hat seinen Hauptsitz in Nürnberg, ist spezialisiert auf die Herstellung und den Vertrieb von Werkzeugen und Büroartikeln und beschäftigt 25 Menschen.
Ein Ire brachte den Tacker in den 1960er Jahren nach Düsseldorf
Warum ihr Chef, der vor zehn Jahren starb, ausgerechnet in Düsseldorf hängenblieb, ist nicht überliefert. Die Stadt habe ihm einfach gefallen, sagt Karin Feldges. In den ersten drei Jahren nach seiner Ankunft arbeitete Byrne als Englischlehrer an der Berlitz School – und das ohne jede Deutschkenntnisse. „Nur durch Zufall, weil einer seiner Kollegen keine Zeit hatte, besuchte er ein Vorstellungsgespräch bei einem britischen Händler für Bürobedarf. Die suchten einen Mitarbeiter für den Vertrieb.“
Die Firma Ofrex wollte damals mit einem neuartigen Gerät den deutschen Markt aufmischen, das in England schon ein Verkaufsschlager war. Der „Industrial Gun Tacker“ war der deutschen Heftpistole mit ihren umständlichen Hebeln, an denen man ziehen musste, weit überlegen. Den Tacker drückte man nur herunter, er verfügte über ein Kolbensystem mit verstellbarem Druck.
„Als mein Chef damit angefangen hat, bei Hettlage und den anderen großen Kaufhäusern dieses Gerät anzubieten, haben die Dekorateure noch mit geköpften Nägeln die Befestigungen gemacht“, sagt Feldges. „Das war sehr mühselig. Deshalb war der Tacker eine Revolution.“
Das Wort „tackern“ hat in der deutschen Sprache einen guten Klang
Der Siegeszug des Tackers, der eigentlich eine Heftpistole ist, war nicht mehr aufzuhalten. „Herr Byrne hat damals das Wort ‚tackern‘ nach Deutschland gebracht. Wir glauben bis heute, dass das eine Art Lautsprache ist. Das englische Verb ,tuck' bedeutet übersetzt „etwas einschlagen“ oder „befestigen“. Wenn man tackert, entsteht dieses typische Geräusch. Das Wort hat einfach auch in der deutschen Sprache einen sehr guten Klang“, sagt Feldges.
Ein paar Jahre später habe sich Byrne selbstständig gemacht. „Die Firma wurde verkauft. Man wollte ihn als erfolgreichsten Vertriebler gleich mit abgeben. Das hat ihn als stolzen Iren so verärgert, dass er seinen eigenen Weg gegangen ist.“ Heute fertigt die Dr. Gold & Co. KG in Schweden, Kroatien und Taiwan und leistet sich am Hauptsitz „einen erstklassigen Reparaturservice. Wir liefern heute noch Ersatzteile für Heftzangen, die mehr als 40 Jahre alt sind.“
Auf die Idee, dass der Tacker im Karneval eine wichtige Rolle spielen könnte, ist Karin Feldges noch nicht gekommen. „Wenn jemandem auf der Messe die Naht an der Hose aufgegangen ist, haben wir sie auf die Schnelle schon mal festgetackert“, sagt sie. Aber sonst? Ganze Kostüme mit dem Tacker herstellen? Vorstellen könne sie sich das schon, sagt Feldges. „Und so wie die Karnevalswagen heute gebaut werden, mit Kleister, Pappmaché und Hasendraht, da ergeben sich für den Tacker sicherlich viele Einsatzmöglichkeiten.“
Jene Tacker, mit denen man auf die Schnelle einem Kostüm die nötige Stabilität verleiht, seien eigentlich Heftzangen. Aber was heißt das schon? Der Kölner schreit bei jedem Rosenmontagszug immer noch nach Kamelle – auch wenn die schon seit Jahrzehnten nicht mehr geworfen werden.
Eigentlich ist der Tacker eine Heftzange
Deshalb müssen wir an dieser Stelle auch im Sinne der Erweiterung des karnevalistischen Grundwissens etwas klarstellen: Ein Tacker ist ein Gerät, das zum Beispiel von Dekorateuren und Polsterern benutzt wird. Ein Tacker treibt die Heftklammer u-förmig in das Material. Das Gerät, das in Büros allgemein als Tacker bezeichnet wird, jagt sie so in das Material, dass die Klammerbeine umgelegt werden. Sein Name ist: Heftzange.
Aber welcher Tacker ist denn nun besonders empfehlenswert für die kölschen Karnevalsbedürfnisse? Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Karin Feldges greift nach der Regur 68, dem Volkswagen unter den Heftzangen. „Das ist unser Allrounder“, sagt sie. „Wenn Karnevalisten etwas heften müssen, sollten sie diese nehmen. Diese Zange wird sie glücklich machen. Die wurde immer gern gekauft, auch weil es dafür Ersatzteile gibt.“ Der Amboss, das ist die Platte, auf die der Tacker niedersaust, um die Heftklammer ihrer Bestimmung zuzuführen, ist drehbar. So lasse sich die Klammer nach außen oder innen biegen. Je nachdem, wie ob sie schnell entfernt werden soll oder nicht. „Halboffen geht auch“, sagt Feldges.
Großeinsatz an Frischfleischtheken
Die Regur 68 sei früher in den Metzgereien und an den Frischfleischtheken zum Einsatz gekommen. Heute sei das kaum noch der Fall. „Irgendwann ist mal die Angst aufgekommen, eine Heftklammer könne aus dem Versehen im Gehackten landen.“ Die wenigen Metzger, die es noch gibt, kleben deshalb ihre Wursttüten lieber zu. Das stimme sie schon traurig, weil diese mögliche Fehlfunktion eines Regur 68 nie nachgewiesen werden konnte.
Selbstverständlich könne man Kostüme auch mit einem 3,99 Euro-Hefter vom Discounter zusammenbasteln, sagt Feldges. Ob das aber viel Spaß bereite, einen Billig-Tacker derart zu malträtieren, wolle sie mal offenlassen. „Die Firma Dr. Gold beliefert nur den Fachhandel, keine Endverbraucher.“
Das Ehrenmitglied in jeder Karnevalskiste
Dass sie die Regur 68 zum Einkaufspreis von derzeit 21,45 Euro gern als Ehrenmitglied in jeder kölschen Karnevalskiste sähe, muss die Fachfrau in Vertrieb und Marketing nicht betonen. Für einen Tacker von der Königsallee, der in der Lage ist, nahezu jeden Stoffrest in ein Kostüm zu verwandeln und über jahrelange Metzgerei-Erfahrung verfügt, also weiß, dass Flönz, Hämchen und Mettigel dem Kölner heilig sind, könne das ein angemessenes Umfeld sein.
Im Gegensatz zur Heftzange M 85 des spanischen Büroartikelherstellers El Casco. Den Rolls-Royce unter den Heftzangen im Design der 1930er Jahre will Karin Feldges dem Besucher auf keinen Fall vorenthalten. Auch wenn die Dr. Gold GmbH & Co. KG den M 85 gar nicht herstellt, sondern den Vertrieb organisiert. Seit mehr als 40 Jahren.
Für einen Moment gerät sie ins Schwärmen. „Schauen Sie, hier kann man sehr schön sehen, was das Wesen eines Hefters ausmacht. Eine kleine Führung sorgt dafür, dass die Klammer sauber vom Klammerstab abgetrennt wird. Der Treiber hat auf der einen Seite Zähnchen, um die Klammer akkurat zu fassen. Wenn die Zähnchen abgenutzt sind, kann man sie ausbauen, umdrehen und wieder einbauen. Dann hat der Hefter wieder neue Zähnchen.“ Alle 50 Jahre sei das nötig. Je nach Gebrauch.
Das unterscheidet die Luxus-Heftzange vom Regur 68. „Der M 85 ist zum Designobjekt geworden“, sagt Feldges. „Man stellt ihn auf den Schreibtisch neben Locher und Spitzmaschine, weil er so schön anzusehen ist.“
Zum Designobjekt taugt Regur 68 nicht. Er hat schließlich eine Mission: Er muss den Kölner Karneval zusammenhalten.