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Kölnerin über Kirchenaustritt„Keinen Moment länger kann ich denken, die auf der Kanzel sind heilig“

Lesezeit 8 Minuten
Porträt von Andrea Laska

„Der Glaube an die Gemeinschaft macht micht frei“, sagt Andrea Laska. An die katholische Kirche glaube die 64-jährige Kölnerin nicht mehr.

In der Serie „Der Moment“ erzählt Andrea Laska über die Gründe für ihren Austritt aus der katholischen Kirche und über ein tragisches Ereignis, das sie prägte.

Andrea Laska war 16, als sich ihr erster Freund das Leben nahm. Die Erinnerung fällt ihr 48 Jahre später noch schwer. Sie habe nur gewusst, dass die Mutter des Freundes depressiv war. Er selbst sei melancholisch und sensibel gewesen, gewiss. Laska sitzt am Küchentisch ihrer Altbauwohnung im Agnesviertel, ihre laute, klare Stimme wird leiser. „Er wollte nicht zur Bundeswehr“, sagt sie, „und musste hin.“ Am Ende habe das womöglich den Ausschlag gegeben. Wer weiß.

Nach seinem Tod sei sie eine Zeitlang zu den Zeugen Jehovas gegangen, sagt sie, „ich fand es toll, dass die immer so happy waren und sagten, in Gottes Hand kann Dir nichts passieren“. Überzeugen ließ sie sich nicht. „Die waren mir am Ende doch zu abgedreht.“

Ihre protestantische Mutter habe ihr nach dem Tod des Freundes gesagt, sie solle sich zusammenreißen und ihr Leben leben, „das bringt Dich nicht um, geh raus in die Welt!“ Das habe sie versucht.

Studierte BWL, fand einen gut bezahlten Job bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Sie lernte einen Studenten kennen, kam mit ihm zusammen. „Gefühlsmäßig war ich aber nicht dabei. Es war, als stünde ich die ganze Zeit neben mir, als lebte ich mit angezogener Handbremse.“

Ich habe etwas gesucht, das mir Vertrauen gibt. Denn wie will man Kindern Vertrauen schenken, wenn man es selbst nicht hat?
Andrea Laska, die mit 40 in die katholische Kirche eintrat

Zehn Jahre nach dem Tod des ersten Freundes sei sie mental zusammengebrochen, sagt Andrea Laska. Eine Therapie brachte Linderung und – seit langem zum ersten Mal – das Gefühl: Ich werde gesehen in meinem Leid.

In der Folge ging es ihr besser. „Ich habe meinen Mann kennengelernt, wir haben zwei Kinder bekommen. Ich habe gemerkt, dass mir Familie und Gemeinschaft sehr wichtig sind. Und etwas gesucht, das mir Vertrauen gibt. Denn wie will man Kindern Vertrauen schenken, wenn man es selbst nicht hat?“ So habe sie auch einen Weg zur Kirche gefunden.

Andrea Laskas Vater war katholisch, ihre Mutter evangelisch: Die Mutter ließ sich auf eine katholische Eheschließung ein, im Gegenzug mussten die Kinder evangelisch werden. Andrea Laska ließ sich konfirmieren, einen besonderen Bezug zur Kirche fand sie als Jugendliche nicht.

Mit ihrem Mann erlebte sie die Geschichte nochmal: Er war katholisch, sie evangelisch. „Ich bin dann katholisch geworden, weil ich dieses Gezerre in meiner Familie nicht nochmal wollte.“ Laska war 40, als sie in die katholische Kirche eintrat. In der Agneskirche traf sie auf eine lebendige Gemeinschaft, in der sie sich wohlfühlte.

Dass sie sich angekommen fühlte in St. Agnes und Vertrauen fand, lag vor allem an einem Literaturkreis, in dem sie sich engagierte: Zu „Literatur in St. Agnes“ kamen namhafte Autoren wie Katharina Hacker, Navid Kermani oder die Jüdin Lilly Brett.

Andrea Laska

Andrea Laska

Die Schriftstellerin Ulla Hahn sagte, Lesungen im Dom zu Speyer oder in der Kölner Agneskirche seien etwas sehr Besonderes, der Ort verleihe den Texten eine Kraft der Transzendenz: „Da spürt man, dass Gebet und Gedicht aus einer Wurzel kommen. Im Anfang war das Wort und Gott war das Wort auch in unsere Kirche“, sagte Hahn einmal.

Kölner Agneskirche: Als die katholische Lesungen verbot, erlebte Andrea Laska das als Bruch

Andrea Laska hat das ähnlich erlebt. „Das waren Abende und Begegnungen, bei den vielen Menschen intensive Erfahrungen gemacht haben“, sagt sie. Wie vor den Kopf gestoßen war sie, als das Erzbistum Köln in Person von Generalvikar Dominik Schwaderlapp die Lesungen im Gotteshaus verbot. Der Sakralraum sei nicht für Diskussionen, Dichterlesungen oder Konzerte geschaffen, argumentierte er im Jahr 2008. Die Kirche sei nun mal der „intimste Raum des katholischen Glaubens“.

Mit dem Verbot der Lesungen in der Kirche habe sich in ihr der Gedanke verfestigt, „dass das Erzbistum seine Dogmatik ohne Rücksicht auf Verluste und die Interessen seiner Gemeinden durchsetzt“, erinnert sich Laska. Nicht nur sie habe die Lesungen und Diskussionen in St. Agnes als intimes Element ihres eigenen Glaubens erlebt. „Es war ein erster Bruch.“

Der Moment, als Laska feststellte, dass die Beziehung zur katholischen Kirche in Köln nicht mehr zu retten ist

Dann kam die Studie über die Missbrauchsfälle im Erzbistum. „Keinen Tag länger kann ich hier auf der Bank sitzen und denken, der da vorn auf der Kanzel ist heilig“, so sei es ihr durch den Kopf geschossen. Es war der Moment, als sie wusste, dass es mit ihrem Weg und der katholischen Kirche zu Ende war. Ein schwerer Moment, sagt sie, „wie die Erkenntnis, dass eine Beziehung nicht mehr zu retten ist“.

Vor dem Austritt habe sie mit dem Pfarrer gesprochen. Sie wolle keine Revolution, habe sie ihm gesagt, aber eine Kirche, die bei den Predigten auf der Seite der Betroffenen stehe und auf der Seite der Frauen, die nicht die gleichen Rechte haben wie die Männer, aber in den Gemeinden viele der wichtigen Aufgaben übernehmen. Der Pfarrer habe sie mit seiner Antwort nicht überzeugt.

Dominik Meiering, dem leitenden Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden, habe sie gesagt, der Spagat zwischen den konservativen Dogmen der Kirche und einem Schweigen zum Missbrauch auf der einen Seite und Predigten von moralischer Haltung, Mut, Hoffnung und Nächstenliebe, der sei nicht möglich. Sie halte das für unglaubwürdig. Im Mai 2022 trat Andrea Laska aus der Kirche aus.

Anfangs habe sie gedacht, sie nehme mit ihrem Austritt auch der Kirche etwas, sagt sie. Immerhin war sie nicht allein: Vor dem Amtsgericht warteten Scharen von Menschen, die ihren Glauben an die Kirche verloren hatten. Drei oder vier Monate habe sie auf den Termin warten müssen, so viele Kölner flüchteten aus der Kirche. „Aber das Gefühl, allein zu sein, hat dann doch wohl nur jeder Einzelne.“ Als sie ihre Unterschrift unter den Austritt gesetzt hatte – mehr war es nicht – sei sie rausgegangen und habe geweint.

Sie habe sich (wieder) allein gefühlt, enttäuscht, frustriert auch, weil sie als emanzipierte Frau auch in St. Agnes für Gleichberechtigung in der Kirche gekämpft hatte: „Die Kommunion auszuteilen, das war ja keine gleichberechtigte Mitbestimmung“, sagt sie. „Frauen dürfen nicht predigen, für alle wichtigen Entscheidungen muss der Pfarrer die Absolution erteilen.“

Dabei habe man in der Gemeinde an allen Ecken und Enden gesehen, dass es ohne die Frauen, die Fair-Trade-Kaffee verkauften, den Kunstkreis und Literaturkreis organisierten, die den Laden zusammenhielten, nicht laufe.

Der Moment des Kirchenaustritts sei ein Bruch gewesen, der ihr Vertrauen erschüttert habe. Allerdings nur ihr Vertrauen in die Amtskirche, nicht in die Gemeinschaft. Andrea Laska schloss sich der Initiative Maria 2.0 an, die für Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche kämpft, und dem Verein „Umsteuern! Robin Sisterhood“, der sich für Menschen einsetzt, die Gewalt und Diskriminierung erfahren haben.

07.08.2021 Köln: Agneskirche mit Neusser Platz im Vordergrund  und dem Fahrradmarkt Foto: Martina Goyert

Die Agneskirche gehört zu den bekanntesten Kölner Gotteshäusern.

Nach ein paar Monaten sei sie auch wieder nach St. Agnes gegangen. Anfangs zweifelnd, ob das okay sei, aus der Kirche auszutreten und trotzdem weiter in die Gemeinde zu gehen – „erstaunlicherweise waren da aber einige, denen es ähnlich ging: Sie wollten nicht länger Teil der Kirche sein, aber Teil einer Gemeinschaft sehr wohl“.

Ein fester Glaube, manifestiert als Vertrauen – aller Schwierigkeiten, Schicksalsschläge und Ungewissheiten zum Trotz – sei für sie wohl das wichtigste im Leben, sagt Andrea Laska. In Gemeinschaften wie St. Agnes, bei Maria 2.0 oder Robin Sisterhood treffe sie auf Menschen, die nach erschütternden Erlebnissen Trost und Gemeinschaft suchen. „Ich glaube“, sagt sie, „dass in uns allen eine Energie ist, die uns trägt und das Schlimme – sei es Krankheit, Missbrauch oder Tod – aushalten lässt“.

Sie finde diese Energie in Menschen, die ähnlich denken und diese Energie gemeinsam suchen. Im Kölner Erzbistum, „einem System mit großem Machtgefälle, in dem viele an ihren Posten kleben und sich offenbar ein schönes Leben machen“, finde sie diese Energie nicht. „Der Glaube an die Gemeinschaft“, sagt sie, „macht mich frei.“ Sie lebe diese Gemeinschaft also einfach weiter – nur ohne die Amtskirche.


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