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„Schießt mich ab“Die Leidensgeschichte eines Kölner Affenpocken-Patienten

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Leonard P. im Gespräch mit Clara Lehmann.

Köln – In seinem Leben, sagt Leonard P., habe er schon viele Schmerzen erlitten. Aber noch nie so schlimme Schmerzen wie im Juli 2022. Leonard P., über 40 Jahre alt, hat sich mit dem Affenpocken-Virus infiziert. Er heißt eigentlich anders, und er möchte nicht, dass sein exaktes Alter in der Zeitung steht. An einem Donnerstag bemerkt er erste Läsionen im Genitalbereich. Am Freitag wurden sie größer, er meldete sich bei einer Praxis. Dann erste Medikamente, am Samstag Fieber, am Sonntag hohes Fieber und starke Schmerzen. Krämpfe beim Stuhlgang.

Leonard P. beißt ab Sonntag beim Toilettengang auf zusammengerollte Handtücher, hat Krämpfe im ganzen Körper. Das Brennen, der Druck. „Der Darm produziert Schleim ohne Ende.“ Bei jedem Toilettengang verliert er eine Tasse Blut. Dann zur Uniklinik: „Schießt mich ab“, Leonard P. wollte Medikamente, am liebsten so viele, dass er nichts mehr spürt. Er bekommt Medikamente gegen Schmerz und Fieber, gegen Bauchkrämpfe. Dazu Beruhigungsmittel, Opiate.

Affenpocken und die schwule Community: „Kümmert euch um die Impfung“

Es hilft. Ein wenig. Trotzdem: Eine Woche Schmerz steht Leonard P. zu diesem Zeitpunkt noch bevor. Wenn er jetzt, zwei Wochen nach dem Ende der dreiwöchigen Quarantäne, über die Krankheit spricht, liegt ein Tränenfilm über seinen Augen. Seine Stimme zittert, wenn er versucht, das Wort „Pocken“ auszusprechen.

„Kümmert euch um die Impfung, wenn ihr mit wechselnden Partnern Sex habt“, sagt er und wendet sich mit seinem Appell vor allem an die schwule Community, auf die sich die Infektionen in Köln bislang mindestens größtenteils beschränken. „Die Nummer ist nicht lustig, das kann euch wirklich belasten.“ Er wünsche sich, dass man in der schwulen Szene aktiv mit Plakaten und Flyern über das Thema informiere.

Affenpocken in Köln: Es gibt zu wenig Impfstoff

Das wünscht sich auch Clara Lehmann. Die Infektiologin hat die medikamentöse Behandlung für Leonard P. an der Uniklinik eingestellt. „Die Kommunikation der unterschiedlichen Behörden und Institutionen fand ich nicht gut. Ich frage mich, woran das liegt“, sagt sie. „Offenbar will man bestimmte Dinge nicht ansprechen. Diese Krankheit kann traumatisieren und die Aufgabe des Staates ist es, davor zu schützen.“ Man müsse, meint Lehmann, die Dinge doch klar ansprechen können: „Es ist so, dass vor allem schwule Männer betroffen sind. Und wer als Mann Sex mit Männern hat, sollte sich impfen lassen, so einfach ist es.“

Das Problem: Der Impfstoff steht bislang nicht flächendeckend zur Verfügung. Dabei gibt es ihn längst, es ist der Pocken-Impfstoff, der auch zuverlässig vor schweren Affenpocken-Verläufen schützt – auch noch nach der Infektion. „Es ist eine Blamage, dass wir nicht in der Lage sind, existierenden Impfstoff schnell zu produzieren“, sagt Leonard P. Seine schwere Erkrankung wäre vermeidbar gewesen.

Langzeitfolgen bei Affenpocken? „Wir wissen noch gar nichts“

Als er nach der dreiwöchigen Quarantäne zum Bäcker gehen wollte, musste er sich nach 500 Metern hinsetzen. „Ich konnte für 500 Meter ja kein Taxi zurück nehmen, die halten mich ja für bekloppt“, sagt Leonard P. Für den Rückweg hat er zu Fuß eine halbe Stunde gebraucht. „Die Krankheit hat etwas mit mir gemacht. Dieses Laissez-faire kotzt mich an“, sagt er: „Niemand hat den Schuss gehört.“

Arbeiten kann er aktuell nur im Sitzen. An der Uniklinik ist Leonard P., ein sportlicher Typ, außer Atem, weil er vom Parkplatz aus zu Fuß gehen musste. „Ich bin ein Schatten meiner selbst.“ Fünf Kilo hat er seit der Infektion abgenommen, spricht von einem unlöschbaren Durst, den er seitdem hat. „Ich will mein altes Leben zurück“, sagt er.

„Das kommt wieder“, sagt Clara Lehmann; nicht als Medizinerin, denn wissen kann sie das nicht. „Wir wissen noch gar nichts“, sagt sie, gefragt nach möglichen Langzeitfolgen. Die globale Ausbreitung der Affenpocken hat niemand kommen sehen. „Bislang kannten wir nur lokale Ausbrüche.“

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Leonard P. hat die Infektion zuhause überstanden. Neun von 348 Affenpocken-Patienten mussten in Köln bislang stationär betreut werden, den Großteil hat Clara Lehmann versorgt. „Wir haben fünf Patienten betreut, alle zwischen 20 und Mitte 40. Zwei hatten eine Immunschwäche, die anderen gar nichts.“ Ihre Botschaft: Ein schwerer Verlauf kann jeden treffen, der sich infiziert.

Dass Leonard P. anonym sprechen möchte, liegt auch daran, dass er fürchtet, stigmatisiert zu werden. In der Gesellschaft, aber auch in der eigenen Community. „Ich fühle mich erinnert an die HIV-Zeiten.“ Er hält sich an die die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, vorerst weiterhin auf sexuelle Kontakte zu verzichten, „die Nummer will ich keinem verpassen.“

Affenpocken und die Kommunikation: „Es ist eine Gratwanderung“

Es passiere, dass Männer innerhalb der Community „fertig gemacht werden“, wenn sie eigenen Sexualpartnern von der Infektion erzählen. „Kapiert ihr es eigentlich noch? Der Überbringer der schlechten Botschaft wird erschossen. Ich kann nachvollziehen, wenn man sich da zurückhält“, sagt er.

Auch Clara Lehmann fällt es nicht leicht, über die Affenpocken zu reden. „Es ist eine Gratwanderung“, sagt sie. „Die Debatte wird auch in den Fachkreisen der Stadt total emotional geführt, weil vieles schnell als Stigmatisierung empfunden wird.“ Ihr gehe es darum, auf die medizinischen Gefahren hinzuweisen. „Egal, wie man das Thema diskutiert: Man macht es immer ein bisschen falsch.“