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Weltweit erste Operation dieser ArtWie ein Kölner Kinder-Chirurg der dreijährigen Soraya das Leben rettete

Lesezeit 4 Minuten
25.11.2018, Berlin: ILLUSTRATION- Sogenannte «Knopfzellen» liegen neben einer aufgerissenen Packung. Wenn Kleinkinder sie verschlucken, können die Minibatterien in der Speiseröhre stecken bleiben und Verätzungen auslösen. (Zu dpa «Bundesamt mahnt: Eltern sollen Knopfzellen kindersicher wegsperren») Foto: Stephanie Pilick/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wenn Kleinkinder Knopfzellen-Batterien verschlucken, können sie in der Speiseröhre stecken bleiben und Verätzungen auslösen.

Als die drei Jahre alte Soraya im Kölner Zoo etwas vom Boden aufhebt und in den Mund steckt, dachte sie, es handle sich um einen Bonbon. Kurz darauf musste man ihr Leben retten.

Soraya und ihre Familie lieben den Kölner Zoo. Sie haben eine Jahreskarte. Auch im Februar vergangenen Jahres setzen sich die Eltern ins Auto und fahren vom Mittelrheintal mit den Kindern eineinhalb Stunden, um die Kölner Tiere zu sehen. Aber diesmal endet der Ausflug nicht mit fröhlichen Unterhaltungen über die lustigen Begebenheiten am Affenfelsen. Soraya erzählt im Auto, sie habe etwas verschluckt. Ein Bonbon, mutmaßt sie. Es habe süßlich geschmeckt. Nach Zitrone.

Aber ihr Vater ist sofort alarmiert. Er gibt Gas und rast ins Krankenhaus. Im Kehlkopf der Dreijährigen finden die Ärzte nichts, bringen das Kleinkind aber immerhin per Rettungswagen in das Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße. Dort handelt man sofort. Lässt das Kind Honig essen, um eine schützende Barriere zwischen Batterie und Speiseröhre zu schaffen, entfernt die Batterie. Und rettet dann durch eine weltweit zum ersten Mal durchgeführte Operation das Leben des Mädchens.

Gemisch kann ein Loch in die Speiseröhre brennen

Knopfzellenbatterien können tödlich sein, wenn man sie verschluckt. In der feuchten Umgebung der Speiseröhre kann es zu einem Kurzschluss kommen. Strom und Speichel ergeben dann Hydroxid-Ionen. Zur Einordnung der Dramatik: Das sind Stoffe, die auch in Abflussreinigern stecken. Im schlimmsten Fall kann das Gemisch ein Loch in die Speiseröhre brennen. Laut Jost Kaufmann, leitender Arzt der Endoskopie am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße, endet das vor allem dann lebensbedrohlich, wenn das Loch in der Nähe eines Blutgefäßes entstünde.

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„Nach Daten aus den USA sind hieran in den vergangenen Jahren immerhin 70 Kinder verstorben.“ Daten für Europa gebe es nicht, allerdings sind in den vergangenen Jahren sowohl Todesfälle aus der Schweiz als auch aus Österreich bekannt geworden. Dennoch haben sich Ärztinnen und Ärzte in diesen Fällen bislang davor gescheut, den Hals des Kindes aufzuschneiden.

Jost Kaufmann sieht sich mittels MRT die Situation im Hals der Patientin an. Er überlegt nicht lange, beruft eine Notfall-Konferenz mit der Kinderradiologie, Gefäß- und plastischen Chirurgie sowie der Kinderchirurgie ein. Man ist sich einig, dass ein Verbluten des Kindes kurz bevorsteht. Daher wird in einer Notfall-Operation zwischen die verätzte Speiseröhre und die Hauptschlagader ein Stück Schweineherzbeutel sowie ein Schwämmchen zur Blutstillung eingelegt. Diskutiert habe man diesen Eingriff unter Experten zwar schon häufig. Den Mut für den Schnitt hatte man im Februar 2024 aber erstmals in Köln. „Ohne ihn wäre unser Kind gestorben“, sagt Sorayas Vater im Gespräch mit unserer Zeitung. Während des Krankenhausaufenthalts schläft er auf einem Stuhl neben Sorayas Bett.

Leitlinien skizzieren verbindliches Vorgehen nach Unfällen

Jost Kaufmann hat mit dem Team des Kinderkrankenhauses den Fall nun in einer Fachzeitschrift international veröffentlicht. „Es ist wichtig, dass mehr Ärzte in diesen Fällen per Bildgebung kontrollieren, wie weit die Verätzungen fortgeschritten sind und sich dann auch zur lebensrettenden Operation entschließen“, sagt Kaufmann. Die Tücke liege oft darin, dass es den betroffenen Kindern zunächst nicht sehr schlecht ginge, während sich die ätzende Flüssigkeit aber schon durch die Speiseröhrenwand fräße.

„Manchmal sind die Symptome ähnlich die eines Atemwegsinfekts, die Kinder essen oder trinken vielleicht schlecht. An Lebensgefahr denken da auch Mediziner häufig nicht“, sagt Kaufmann. Um seine Kolleginnen und Kollegen zu sensibilisieren, hat Kaufmann gemeinsam mit zehn Fachgesellschaften nun auch die Leitlinien bei Unfällen mit Knopfzellenbatterien aktualisiert. Darin wird klar das verbindliche Vorgehen skizziert: Honiggabe, Batterie-Entfernung, MRT-Untersuchung und präventive Operation.

JOST KAUFMANN, Kliniken der Stadt Köln gGmbH, Kinderkrankenhaus , 25.10.2023

Jost Kaufmann von den Kliniken der Stadt Köln.

Sorayas Vater hat nach der schockierenden Erfahrung im vergangenen Jahr eine Petition im Bundestag gestartet. Er fordert darin, dass Knopfzellenbatterien gesetzlich verpflichtend mit einer bitteren Folie überzogen werden müssen. Es gibt bereits einzelne Hersteller, die das freiwillig machen. Sorayas Vater hat den Effekt selbst ausprobiert. „Wenn Sie sich eine solche Batterie auf die Zunge legen, spucken Sie das sofort wieder aus und haben stundenlang damit zu tun, den bitteren Geschmack beim Zähneputzen wieder loszuwerden“, sagt er. Die Kosten seien gering, es gehe um „Centbeträge“, eine Umstellung könne aber Leben retten.

Sorayas Vater will sich aber nicht nur auf den Bundestag verlassen. Er hat große Batterie-Hersteller angeschrieben. Er pinnt Warnaushänge in Kindertagesstätten und Musikschulen. Dazu einen Erste-Hilfe-Plan und den Hinweis, dass bei einem Verdacht, keinesfalls Wasser getrunken werden darf, dadurch beschleunige sich die chemische Reaktion.

Soraya ist mittlerweile fast fünf Jahre alt. Sie hat den Zoovorfall und die anschließende Operation unbeschadet überstanden. Auch die zwischenzeitliche Stimmbandlähmung durch die Verätzung sei wieder folgenlos abgeheilt. Geblieben ist die Angst. „Manchmal gerät sie in Panik, wenn sie einen Bonbon verschluckt. Wir versuchen das aufzuarbeiten, damit sie kein Trauma entwickelt“, sagt der Vater. Im Kölner Zoo war die Familie seit dem Vorfall nicht mehr. Irgendwann werden sie sich diesen Ausflug aber wieder zutrauen, da ist sich Sorayas Vater sicher: „Soraya vermisst vor allem die Affen und die Elefanten.“