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Eklatante WidersprücheBGH zerpflückt Urteil um Kölner Ebertplatz-Tragödie

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Tatort Ebertplatz, August 2019: Die Leiche des getöteten 25-Jährigen wird abtransportiert.

Köln – Im schriftlichen Urteil um eine tödlich geendete Attacke auf dem Ebertplatz hat sich eine Schwurgerichtskammer des Kölner Landgerichts dermaßen in Widersprüche verstrickt, dass der Bundesgerichtshof Karlsruhe die Entscheidung regelrecht zerpflückt und zurückverwiesen hat. Seit Dienstag wird der Fall daher vor einer neuen Richterin neu aufgerollt. Fast drei Jahre nach der Tat am berüchtigten Drogen-Hotspot, die für großes Entsetzen gesorgt hatte.

Köln: Zerbrochene Flasche in den Hals gestochen

Seit dem Vorfall am 25. August 2019 sitzt der Angeklagte Akram A. (28) in Untersuchungshaft. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Flüchtling aus Somalia am Tattag in Köln gefeiert, bis er gegen 4.40 Uhr morgens auf dem Ebertplatz mit einem Bekannten in Streit geraten war. Es ging nicht um Drogengeschäfte, wie die Polizei zunächst vermutet hatte, sondern um rein persönliche Animositäten. A. war kein Dealer, er soll aber zuvor Marihuana und Kokain konsumiert haben.

In die Auseinandersetzung, die erst verbal und dann körperlich geführt wurde, mischte sich auch das spätere Opfer ein. Der Angeklagte wehrte sich gegen zwei Männer, musste letztlich aber diverse Faustschläge einstecken. Der Vorsitzende Richter Peter Koerfers hatte im damaligen Prozess von einem mehraktigen Geschehen gesprochen. Als die Lage beruhigt schien, soll der Angeklagte eine Glasflasche zerbrochen und sie einem seiner Kontrahenten in den Hals gestochen haben.

Opfer verblutete auf dem Kölner Ebertplatz

Das Opfer verblutete auf dem Ebertplatz, nachdem die Scherben dessen Halsschlagader durchtrennt hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte damals zehn Jahre und drei Monate Haft beantragt, Verteidiger Wolfgang Kutsch einen Freispruch aufgrund von Notwehr. Das Gericht glaubte dem Angeklagten nicht, dass er „in Angst und Panik“ versucht habe, seinen Gegner mit der Flasche lediglich auf Abstand zu halten. Die Schwurgerichtskammer verhängte sechseinhalb Jahre Haft wegen Totschlags.

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Der Angeklagte mit Verteidiger Wolfgang Kutsch und einem Wachtmeister beim Prozessauftakt im Landgericht Köln.

Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein, der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs musste über den Fall entscheiden. Der BGH attestierte den Kollegen vom Kölner Landgericht in einem entscheidenden Punkt eine „rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung“. Und zwar in der Abgrenzung zwischen Totschlag und Mord – die darüber entscheidet, ob ein Täter nur zeitweise oder lebenslang und damit sehr viele Jahre hinter Gitter muss und womöglich gar nicht mehr frei kommt.

Widersprüche in der Urteilsbegründung

Laut BGH hatten Richter Koerfers und seine Kammer sich eklatant widersprochen, indem sie einerseits einen Totschlag annahmen, andererseits aber von einem Angriff „ohne Vorwarnung“ sprachen. „Der Angeklagte wollte dabei das Überraschungsmoment aufgrund der Ablenkung des Geschädigten und dessen daraus folgende Wehrlosigkeit ausnutzen“, heißt es im Kölner Urteil. Doch dieser beschriebene Sachverhalt spreche für Heimtücke. Und damit wäre ein Mordmerkmal erfüllt.

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Die BGH-Richter erteilen der Kölner Schwurgerichtskammer in ihrem Urteil eine Lehrstunde und erklären: „Arglos im Sinne heimtückischer Begehungsweise ist ein Tatopfer dann, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet“. Demnach hätte das Landgericht nach eigener Beweiswürdigung wohl eher wegen Mordes verurteilen müssen.

Dem Angeklagten droht somit eine lebenslange Freiheitsstrafe. Doch einen Ausweg gibt es für ihn. Im ersten Urteil hatte das Gericht – ebenfalls widersprüchlich – festgestellt, das Opfer habe aufgrund des vorherigen Streits mit einem weiteren Angriff gerechnet. Damit könnte das Mordmerkmal letztlich wieder wegfallen. Um das herauszufinden, müssen nun alle Zeugen erneut gehört werden. Der Angeklagte zog es zum Prozessauftakt vor, zu den Vorwürfen zu schweigen.