Die Ermittler sehen einen 22-jährigen Kölner im Zentrum des Konflikts. Sein Drogenversteck könnte von den eigenen Leuten verraten worden sein.
Neue ErkenntnisseDieser Raub erzürnte die Drogenbosse – und führte zu den Explosionen in Köln
Die Nachricht aus Frankreich klang vielversprechend. Die wochenlange Suche der Sonderkommission „Sattla“ (arabischer Name für Marihuana) der Kölner Polizei nach der Schlüsselfigur im öffentlich ausgetragenen Drogenkonflikt rund um Köln fand am 1. Oktober ihr Ende. Am Pariser Flughafen Charles De Gaulle nahm die französische Polizei den 22-jährigen Samir Ahmed (Name geändert) fest. Die Kölner Behörden haben inzwischen über ein Rechtshilfeersuchen seine Auslieferung beantragt.
„Das Verfahren kann sich noch Wochen hinziehen“, sagt der Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, „insbesondere dann, wenn der Beschuldigte Rechtsmittel gegen die Überstellung einlegt“. Der Mann aus Köln-Kalk war Ende Juni abgetaucht – just zu dem Zeitpunkt, als die ersten Bomben vor den Häusern und Geschäften mutmaßlicher Drogendealer hochgingen.
Sprengsätze mitten in der Kölner Innenstadt
Seit Ende Juni machten Sprengstoffanschläge in der Keupstraße, in den Stadtteilen Buchheim und Meschenich, in Engelskirchen im Bergischen Land, Duisburg oder Düsseldorf Schlagzeilen. Vermutlich waren es Taten der „Mocro-Mafia“ – ein Begriff für ein Netzwerk von Drogenhändlern aus den Niederlanden, die teils eine marokkanische Herkunft haben. Von der Machart her ähnelten die selbstgebastelten Sprengsätze jenen Modellen, die auch die Drogennetzwerke in den Niederlanden benutzen, um Rivalen einzuschüchtern oder Geld einzutreiben.
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In Solingen sprengte sich ein 17-jähriger Attentäter versehentlich selbst in die Luft. Am 5. Juli wurden in Bochum ein Mann und eine Frau entführt und in einer Villa in Köln-Rodenkirchen gefoltert. Tags darauf befreite ein Spezialeinsatzkommando der Polizei die Gefangenen und nahm ihre Wächter fest. Drei weitere mutmaßliche Täter konnten in die Niederlande flüchten. Nahe Amsterdam verlor sich ihre Spur. Seither wird ebenfalls nach ihnen gefahndet.
Zuletzt explodierten Sprengsätze mitten in der Kölner Innenstadt – vor dem Nachtclub Vanity auf den Ringen und in einem Bekleidungsgeschäft an der Ehrenstraße. Dass auch sie auf das Konto der Niederländer gehen, liegt nahe, klar ist der Zusammenhang jedoch nicht. Denn die beiden Sprengsätze glichen einander zwar, unterschieden sich jedoch von allen vorherigen.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Ermittlerkreisen erfuhr, steht Samir Ahmed im Mittelpunkt des Bandenkrieges. Er gilt als Kopf einer Kölner Bande, die über gute Kontakte zu dem niederländischen Rauschgiftnetzwerk verfügt. Der Sohn eines Restaurantbesitzers soll dort 700 Kilogramm Cannabis geordert haben. Die Drogen im Wert von 1,5 Millionen Euro lagerte er zunächst vor den Toren Kölns in einer Lagerhalle in Hürth. Als Wachen setzte Ahmed fünf mutmaßliche Mitglieder seiner Bande ein.
Vermutlich hatte er auf das falsche Personal gesetzt. Seine Männer wurden von bisher unbekannten Räubern überfallen. Offenbar hatten die Täter jedoch nicht mit einer derart großen Menge Marihuana gerechnet. Da ihr Transporter zu klein war, ließen sie nur 350 Kilogramm Stoff mitgehen. Das soll Samir Ahmed in erhebliche Finanzprobleme gebracht haben: Er musste sich den Erkenntnissen zufolge gegenüber seinen niederländischen Lieferanten für den Verlust der Drogen verantworten und einen Ausgleich zahlen.
Zugleich begann die Suche nach den Rauschgiftdieben. Offenbar handelte es sich um Insider, heißt es aus Ermittlerkreisen. Wer sonst hätte von der Lagerhalle in Hürth gewusst? Und so tauchten am 25. Juni drei Gesandte der „Mocro-Mafia“ aus Holland im Marihuana-Versteck in Hürth auf. Sie fesselten und schlugen auf die Drogenwächter ein, um sie zum Reden zu bringen.
Drogenkurier entdeckte die Angreifer und rief die Polizei
Allerdings kamen sie nicht weit. Gegen 20.45 Uhr ging ein Notruf bei der Polizei ein. Ein Kurierfahrer der Kölner Drogenbande war zur Lagerhalle beordert worden. Als der Bote sein Ziel erreicht hatte, lugte er durch einen Spalt ins Lagerinnere. Dabei sah er mehrere gefesselte Männer, die bewacht wurden. Der Zeuge floh in Todesangst, als die Angreifer ihn entdeckt hatten. Die Polizei verhinderte Schlimmeres. Vor Ort befreiten die Beamten die fünf Gefangenen von Kabelbindern und Klebebändern. In der Nähe stellten die Polizisten die drei Niederländer.
Die Männer sollen die Drogenwächter massiv gequält und bedroht haben. Eines der Opfer schilderte in einer Vernehmung die Angstmomente, als die drei Niederländer in bruchstückhaftem Deutsch immer wieder brüllten: „Wo ist?“, um dann zu drohen: „Heute stirbst du!“ Zudem konfiszierten sie die Handys ihrer Opfer und scannten sie auf verdächtige Inhalte – ohne Ergebnis.
Angesichts fehlender Antworten geriet der mutmaßliche Kölner Drogenboss Samir Ahmed gegenüber seinen niederländischen Lieferanten in Erklärungsnöte. Unter Druck gesetzt, so der Verdacht der Ermittler, soll der 22-jährige Großdealer unter seinen Drogenwächtern den Verräter samt der Marihuana-Räuber gesucht haben.
Fakt ist: Vor den Wohnadressen hochrangiger Mitglieder der Kölner Gang explodierten in den folgenden Wochen Sprengsätze. So traf es etwa Ibrahim K. (Name geändert). Er scheint die Marihuana-Wächter in Hürth befehligt zu haben. Mit Kopfverletzungen wurde er nach den Folterverhören durch die holländischen Angreifer ins Krankenhaus gebracht. Später ging ein Sprengkörper vor seiner Wohnadresse hoch. Offenbar war K. in Verdacht geraten, in den Diebstahl verwickelt zu sein. Inzwischen ist die Milieugröße abgetaucht und wird mit Haftbefehl gesucht.
In der Kölner Drogenszene geht die Angst um – wobei sich die Rollenverteilung im Laufe der Zeit wohl veränderte. Inzwischen scheint es eher unwahrscheinlich, dass niederländische Syndikate allein hinter den Anschlägen und der Geiselnahme stecken. Eine These der Ermittler lautet, dass die Niederländer durch mutmaßliche Dealer wie Samir Ahmed nach Köln beordert wurden, um den Raub ihrer Drogen gewaltsam aufzuklären.
Inzwischen sitzen 13 Tatverdächtige in Untersuchungshaft. In den Fall ist auch ein Polizist aus Bonn verwickelt. Der Beamte auf Probe soll im Polizeicomputer illegal Daten zu zwei Beschuldigten aus der Kölner Bande abgefragt haben.