„Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen“, sagt OB Reker im Interview. Sie spricht auch über eine Lösung für den Geißbockheim-Streit.
Kölns OB Reker über Karneval„Wer mitten in der Stadt wohnt, muss hartgesotten sein“
Frau Reker, wie bewerten Sie das Jahr 2023?
Bei uns ist die Zeitenwende angekommen. Wir leben hier zwar in einer relativen Stabilität, aber um uns herum sind ja nur noch Krisen, beispielweise in der Ukraine, in Israel, dazu die Inflation, in der Vergangenheit Corona. Ich werde oft gefragt, wann die Krisen vorbei sind und ich sage dann immer: Die Krise ist der neue Normalzustand. Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Zusätzlich hat uns das Bundesverfassungsgericht wichtige Entscheidungen mit auf den Weg gegeben, beispielsweise zum Existenzminium, der Generationenaufgabe Klimaschutz und zur Schuldenbremse. Aus allen drei Entscheidungen nehme ich mit: Wir müssen lernen zu priorisieren, das Geld wird knapper. Allerdings müssen wir solche Priorisierungen besser erklären, damit die Menschen sie verstehen. In Krisen liegen aber ja auch immer Chancen und diese sollten wir nutzen.
Priorisieren bedeutet auch Weglassen. Was würden Sie weglassen?
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Wir werden in Zukunft alles auf den Prüfstand stellen müssen. Priorisieren heißt für mich, das Geld dort auszugeben, wo es absolut notwendig und wirksam ist. Zeitenwende heißt für uns alle, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen. Aber wir müssen daran arbeiten, für die Zukunft zu arbeiten.
Die Verkehrsversuche haben für viele Diskussionen gesorgt in diesem Jahr. Wie bewerten Sie das rückblickend?
Es ist doch klar, dass neue Herangehensweisen für Diskussionen sorgen. Ich bin froh, dass wir viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verkehrsdezernat haben, die an dem so wichtigen Projekt der Mobilitätswende arbeiten. Meiner Meinung nach waren viele Probleme der Tatsache geschuldet, dass wir nicht genug Bürgerinnen und Bürger erreicht haben. Und das zeigt sich doch sehr oft: Läuft eine Kommunikation nicht gut, läuft ein gesamtes Projekt nicht gut. Wir müssen viel mehr erklären als früher.
Fällt dieses Jahr eine Entscheidung über den Ausbau der Ost-West-Achse?
Köln muss sich entscheiden. Will es eine Großstadt oder eine Metropole sein? Ich bin für den Tunnel, wenn er förderfähig ist. Es laufen gerade gutachterliche Untersuchungen dazu. Ist ein Tunnel nicht förderfähig, kann ich dem Rat die Tunnellösung nicht vorschlagen. Geplant ist es, die Vorlage bis Sommer in den Rat einzubringen, damit die Politik sich entscheiden kann.
Auch der angedachte Klinikverbund kommt seit Jahren nicht recht voran. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance für den Klinikverbund der städtischen Klinik mit der Uniklinik?
Ich bleibe dabei, der Klinikverbund ist eine Riesenchance für die medizinische Versorgung in Köln und den Forschungsstandort NRW. Dazu hat das Land auch noch nicht Nein gesagt und ich sehe weiter eine Chance. Es muss im Frühjahr entschieden werden, wenn das Land sich dazu geäußert hat.
Ist es denn möglich, dass die Kliniken nicht mehr pro Jahr dreistellige Defizite einfahren, wenn die drei Standorte in Merheim zusammengeführt werden?
Es ist schon sehr hilfreich, wenn man Standorte zusammenlegt und mit einem guten medizinischen Angebot Patienten aus der ganzen Region anzieht.
Sie haben immer betont, wie wichtig es Ihnen ist, die sanierten Bühnen zu eröffnen. Jetzt ist der Fertigstellungstermin um drei Monate auf Ende Juni 2024 verschoben worden. 2015 hat die Stadt unbedingt am Eröffnungstermin für die Bühnen festgehalten, die Baustelle endete im Chaos. Droht das jetzt wieder?
Nein, dafür ist schon zu viel fertig, auch wenn noch nicht so viel fertig gebaut ist, wie ich gehofft habe. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich nichts davon halte, ein konkretes Datum für die Fertigstellung zu nennen, weil schon bei einem privaten Umzug ist es schwer, Termine einzuhalten. Wichtig ist, dass wir die Oper in der Spielzeit 2024/2025 eröffnen.
Was optimistisch ist, ein Umzug aus den Interimsspielstätten zurück an den Offenbachplatz dauert.
Ich glaube daran. Ich habe es noch nicht aufgegeben.
Die Stadt arbeitet mit drei Szenarien zur Eröffnung, je nachdem, wann die Sanierung beendet ist: Herbst 2024, Winter 2024/2025 und Frühjahr 2025. Ein Wechsel aus den Interimsspielstätten zurück an den Offenbachplatz in einer laufenden Spielzeit gilt als schwierig. Ist es vorstellbar, die Spielzeit 2024/2025 im Interim fertig zu spielen und erst im Sommer 2025 umzuziehen, auch wenn dann die sanierten Häuser möglicherweise zwischenzeitlich leer stünden.
Aus meiner Sicht könnten wir den fertig sanierten Offenbachplatz nicht mehrere Monate leer stehen lassen.
…nachdem man ihn zwölf Jahre saniert hat.
Ja, das fände ich nicht so prickelnd. Aber was nicht geht, geht nicht.
Alle Jahre wieder: Wann gibt es eine Lösung für den Geißbockheim-Ausbau?
Ich habe dem FC zuletzt ein Angebot gemacht, was die Stadt bezahlen kann für die Aufbauten und Plätze am Geißbockheim, um dort eine Bezirkssportanlage anzulegen. Es ist auch eine Frage des Beihilferechts. Doch das Angebot war für den FC aus seiner Sicht nicht auskömmlich. Jetzt prüfen wir, ob wir das Angebot nachbessern können.
Der Ball liegt also beim FC?
Der Ball ist in der Luft. Wir prüfen, ob wir das Angebot nochmal verbessern dürfen. Und dann muss der FC sich entscheiden.
Sie haben 2019 plötzlich Ihre Position verändert und lehnten den Ausbau im Grüngürtel ab. Sehen Sie sich deshalb in der Pflicht, eine Lösung anzubahnen?
Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich sehe mich in der Pflicht, aber nicht wegen meiner veränderten Position, sondern weil der FC für die Stadt wichtig und identitätsstiftend ist. Ich habe meine Position verändert, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben, der Rat hatte den Klimanotstand ausgerufen. Aber ich will das lösen. Es gibt ein paar besondere Punkte, die ich gerne gut regeln möchte. Und dazu gehört eine gute Lösung für den FC.
Im Herbst 2025 sind die Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen. Gehen Sie in Ihr letztes volles Kalenderjahr als Kölner Oberbürgermeisterin?
Wahrscheinlich ja.
Sie können sich die Anschlussfrage vermutlich denken.
Es ist nicht mein Plan, nochmal zu kandidieren. Das habe ich immer gesagt.
Im März haben Sie gesagt, der Wunsch werde an Sie herangetragen.
Ich sage auch jetzt: Es ist nicht der Plan. Ich schaue mir jetzt mal an, was sich so tut bei möglichen Kandidatinnen und Kandidaten. Es gibt Parteitagsbeschlüsse der CDU und Grünen, die mich nicht mehr wie in der Vergangenheit unterstützen und eigene Kandidaten aufstellen wollen.
Sie könnten alleine antreten.
Inzwischen ja.
Haben Sie noch genug politische Macht? Bei der Suche nach einem Direktor für das Kölnische Stadtmuseum ist die Politik nicht Ihrem Vorschlag Philipp Hoffmann gefolgt. Die grüne Bürgermeisterin Brigitta von Bülow hat das Verfahren und Hoffmann sogar öffentlich kritisiert.
Das finde ich nicht in Ordnung. Erstens beschädigt das Menschen, die in Köln kandidieren. Und zweitens ist es auch falsch, weil Herr Hoffmann die nötigen Voraussetzungen als Führungskraft erfüllte.
Wirklich? Es gab da große Zweifel.
Das hat uns das Personalamt bestätigt und darauf verlasse ich mich. Und ich lasse mir solche Aussagen, die Sie angesprochen haben, nicht gefallen. Aber wegen einer Einzelmeinung hat sich mein Verhältnis zu den Grünen nicht verschlechtert.
Trotzdem ist die Politik Ihrem Vorschlag nicht gefolgt.
Das wissen wir nicht, er hat seine Kandidatur zurückgezogen.
Weil keine Mehrheit für seine Bestätigung in Aussicht war.
Das ist eine Spekulation. Mich stört, wie hier mit Kandidaten umgegangen wird. Wer will sich denn hier noch bewerben?
Der 11.11. ist gut einen Monat her: Hat Sie überrascht, wie überrannt die Stadt worden ist von vielen, vielen Feiernden?
Nein. Was heißt auch überrannt? Es kamen einfach viele Menschen, wie es ja erwartet wurde und wir es auch von anderen Events wie dem CSD, dem Rosenmontagszug oder den Kölner Lichtern kennen. Köln zieht immer wieder viele Menschen an. Ich habe mir das am 11.11. vor Ort angeschaut: Ich habe noch nie so viele gut gelaunte und fröhliche Menschen auf einer Stelle gesehen wie an der Zülpicher Straße.
Ist es denn Ihrer Meinung ein Tag des Frohsinns oder ein Tag, an dem die Stadt am Limit ist?
Es ist beides. Wie bei anderen großen Veranstaltungen in unserer Stadt bin ich froh, wenn der Tag ohne große Zwischenfälle abgelaufen und vorbei ist.
Die Menge der Feiernden nimmt zu, die Stadtverwaltung hat stets betont, sie sei kein Veranstalter, beispielsweise das Festkomitee solle sich mehr einbringen. Ist diese Position noch haltbar, auch vor dem Hintergrund, dass einige Kneipen an Karneval nicht mehr öffnen? Das Angebot wird also kleiner, aber die Menschen werden mehr. Muss die Stadt das nicht mehr steuern?
Wenn man wüsste, wie. Ich bin auch dafür, noch weitere Veranstaltungsangebote zu machen. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir das nicht gänzlich steuern können. Wir können nicht den Hauptbahnhof dicht machen und keine Menschen mehr in die Stadt lassen. Die Zülpicher Straße ist für die jungen Menschen unter 20 Jahren der Platz, wo sie sein wollen. Ich will aber auch mal sagen, dass mich meine Amtskollegen aus NRW nach dem 11.11. oft beglückwünschen, wie toll der Karneval in Köln sei. Es gibt auch eine andere Sicht auf die Dinge, nämlich die von außen.
Aber für die Anwohner in der Innenstadt ist es eben etwas anderes, sie leiden teils auch darunter.
Dafür habe ich volles Verständnis. Ich möchte auch am nächsten Tag keinen Hauseingang so vorfinden, wie es in der Innenstadt nach dem 11.11. vorkommen kann. Aber: Wenn man in Köln mitten in der Stadt lebt, muss man nicht mit allem rechnen, aber man muss auch leidensfähig sein, was Lärm und solche Veranstaltungen angeht. Wir können nicht alles verhindern.
Aber viele Menschen wohnen dort schon länger als es die neuen Karnevals-Exzesse gibt. Und am nächsten Tag ist ihr Auto voller Flaschen, die Straße ebenfalls. Denen Menschen kann man ja schlecht sagen: Das ist halt so.
Ich möchte das auch nicht erleben. Das ist alles nicht schön, aber so funktioniert momentan leider unsere Gesellschaft. Aber wenn man das überhaupt nicht ertragen kann, dann muss man das Auto im Vorfeld schon wegfahren. Wer mitten in der Stadt wohnt, muss hartgesotten sein.
Nun gibt es zumindest die Idee, eine Bühne auf dem Ring aufzustellen, um die Zülpicher Straße und die Uniwiese zu entlasten. Die Karnevalsgesellschaft „Die Grosse von 1823“ hätte Interesse das zu organisieren. Kommt diese Bühne?
Das kann ich noch nicht sagen, aber wir sind in guten Gesprächen.
Die Kosten allein für das Sicherheitskonzept sollen bei rund 300.000 Euro liegen. Wird die Stadt einen Teil davon bezahlen?
Wenn wir einen Veranstalter finden, sollten wir ihn auch finanziell unterstützen, damit er die Veranstaltung umsetzt. Aber es ist noch nicht entschieden. Wir sollten es einfach versuchen. Es kann nicht so bleiben, wie es ist.
Das Thema steht jedes Jahr an. Die Außenwirkung ist doch jedes Jahr, dass die Stadt staunend davor steht und sich fragt, wie sie den Karneval in diesem Jahr hinbekommt. Braucht es nicht eine Stabsstelle Karneval bei der Stadt, die sich wie das Festkomitee das ganze Jahr damit beschäftigt?
Die Außenwirkung in Köln mag so sein, über die Stadtgrenze hinaus ist das ganz anders. Dort wird wahrgenommen, dass Hunderttausende junge Menschen friedlich zusammen feiern. Ich weiß, dass viele sich mit der Art zu feiern auf der Zülpicher Straße schwertun, aber das wohnt doch dem Karneval inne, dass sich jede Generation den Karneval macht, den sie möchte. Als die Bläck Fööss damals aufkamen, haben sich die Alten auch beschwert über die langhaarigen Bandmitglieder ohne Schuhe. Aber wir fanden die damals als junge Leute alle toll. Ich kann momentan nur versuchen, das schrittweise zu ändern. Damit eben nicht das passiert, was Sie angesprochen haben: Dass die Karnevalstage überraschend kommen.
Wie ist Ihr Ausblick auf 2024?
Es wird ein gutes Jahr für Köln. Wir haben sportliche Großereignisse wie die Handball- und Fußball-EM, den NRW-Tag und ich glaube fest an die Eröffnung der Oper. Ich will auch, dass mehr Wohnungen gebaut werden und ich mache mir Gedanken, wie die Stadt als Arbeitgeberin attraktiv ist, um die vielen offenen Stellen zu besetzen. Dazu kommen die angesprochenen geplanten Entscheidungen zur Historischen Mitte, zur Ost-West-Achse, zu den Kliniken, zum FC. Und ich denke an den städtischen Haushalt, den wir einbringen werden, und dass wir als Stadt priorisieren müssen.
Beispielsweise das jährliche Defizit der Kölner Verkehrs-Betriebe wird bald so hoch sein, dass es kaum noch zu stemmen ist.
Wir arbeiten gerade daran, das zu lösen. Auch dort gilt: Wir müssen in Köln stärker priorisieren.
Zur Person: Henriette Reker, 67, ist seit dem 22. Oktober 2015 die erste Oberbürgermeisterin Kölns. Die damalige Kölner Sozialdezernentin war als parteilose Kandidatin angetreten, unter anderem hatten sie CDU, Grüne und FDP unterstützt. Sie setzte sich in ihrer Geburtsstadt im ersten Wahlgang mit 52,66 Prozent der Stimmen durch. Bei einem Wahlkampfauftritt hatte ein Attentäter sie zuvor bei einem Messerangriff lebensgefährlich verletzt. Der Mann hatte Rekers Flüchtlingspolitik als Begründung angeführt.
Fünf Jahre später brauchte die gelernte Juristin die Stichwahl, um gegen Andreas Kossiski von der SPD mit 59,27 Prozent der Stimmen zu gewinnen. 2020 hatten nur noch Grüne und CDU Reker unterstützt. Für 2025 haben beide Parteien angekündigt, eigene Kandidatinnen oder Kandidaten aufzustellen. (mhe)