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200 Kindergärten geschlossen„Ein Hilfeschrei“ – Warum in Kölner Kitas am Donnerstag gestreikt wird

Lesezeit 5 Minuten
28.06.2024, Köln: Sommerfest bei der Kita "Siedlungsstrolche". Die Kita sollte vor einem Jahr geschlossen werden, weil Köln-Kitas den Betrieb eingestellt hat. Die Awo übernahm kurzfristig. Foto: Arton Krasniqi

Die Lage in vielen Kölner Kitas hat sich zugespitzt.

Den Streikenden geht es nicht nur um höhere Gehälter, sondern um die Zukunft ihres Berufs und der Kinder.

Für die Eltern von Kita-Kindern war es eine Hiobsbotschaft: Am heutigen Donnerstag bleiben die städtischen Kölner Kitas wegen des Streiks im öffentlichen Dienst geschlossen. „Die Streikbereitschaft bei den Erzieherinnen und Erziehern in den 200 städtischen Kitas ist sehr hoch“, sagt Jonathan Thull, Gewerkschaftssekretär von Verdi Köln. Allenfalls in einigen wenigen Kitas werde ein Notbetrieb mit reduziertem Personal aufrechterhalten. Für die meisten Kölner Eltern heißt das mal wieder: irgendwie improvisieren oder sich von der Arbeit abmelden.

Dabei liegen wohl in keinem der Bereiche des öffentlichen Dienstes, in denen jetzt gestreikt wird, die Nerven so blank wie in den Kitas. Eltern sind aufgerieben vom ständigen Betreuungsnotstand und Gruppenschließungen, die Beschäftigten sind dauergereizt. „Die Situation in den Kitas ist extrem belastet“, fasst Dita Kerschkamp zusammen, die als stellvertretende Leitung in einer städtischen Kita im Kölner Osten arbeitet: sehr hohe Arbeitsbelastung, hohe Anforderung an individuelle Förderung, Inklusion und frühkindliche Bildung, viel zu wenig Personal in Kita-Gruppen von 25 Kindern.

Verdi: Forderung nach acht Prozent mehr Lohn

Acht Prozent mehr Gehalt fordert Verdi in der Tarifrunde von Bund und Kommunen für die 3800 Beschäftigten der Kölner Kitas. Mindestens aber 350 Euro. Aber gerade an den Kitas geht es nicht nur um Geld: Es gehe darum, diesen Beruf durch andere Arbeitsbedingungen wieder attraktiv zu machen, damit junge Menschen ihn auch ergreifen, so Kerschkamp. Eine Kernforderung von Verdi ist mehr Zeitsouveränität und Flexibilität im Umgang mit Überstunden. „Viele Kita-Beschäftigte schieben 200 bis 300 Überstunden vor sich her. Sie arbeiten ständig über der Belastungsgrenze und können nicht selbst entscheiden, wann sie diese abbauen“, erläutert Thull.

11.12.2024
Köln: 
Das Kölner Bildungsinstitut Elex bietet die Möglichkeit, in Teilzeit zur Erzieherin zu werden. Eine gute Möglichkeit gegen den Fachkräftemangel, Treffen mit einer Erzieherin, die so ihre Ausbildung machen konnte.
Kita Rio in Ehrenfeld
Foto:Martina Goyert

Gummistiefel in einer Kölner Kita

Der Streik ist wie eine Art kollektiver Hilfeschrei eines Systems am Anschlag. Durch den Fachkräftemangel bleiben immer mehr Stellen unbesetzt: Allein in Köln gibt derzeit 300 offene Stellen. Inzwischen arbeiten in Köln knapp die Hälfte der Erzieherinnen und Erzieher in Teilzeit. Es sind also noch deutlich mehr Fachkräfte, die für die 300 Stellen gesucht werden. Das mit der hohen Teilzeitquote ist für Kerschkamp auch ein Krisensymptom: Durch immer mehr Überstunden und Überforderung getrieben, gingen immer mehr diesen Weg. Andere würden krank. Allein 80 Erzieherinnen und Erzieher der städtischen Kölner Kitas sind langzeiterkrankt.

Hoher Anteil an Stellen in Köln nicht besetzt

Der aktuelle Kita-Report der Kölner Gewerkschaften bestätigt die deutliche Zuspitzung der Lage in städtischen Kitas. Es ist ein Teufelskreis aus Überlastung, Erkrankung, Fluktuation und einer immer dünner werdenden Personaldecke. Laut dem Report, der Daten aus einer Befragung in 150 städtischen Kitas heranzieht, gaben dort die Fachkräfte an, dass in 72 Prozent der teilnehmenden Kitas nicht alle Planstellen besetzt seien. Bei über 40 Prozent bleiben derzeit zwei oder mehr Stellen unbesetzt.

Mit gravierenden Folgen für die Kinder. So berichteten 53 Prozent von einer Reduzierung der Betreuungszeiten. In fast 60 Prozent der teilnehmenden Kitas gab es laut den ebenfalls befragten Eltern bis zu zehn unplanmäßige Ausfalltage im Jahr. Die Zahl der Kitas, die ihre Betreuungszeiten auf 35 Stunden reduzieren mussten, wächst stetig. Immer wieder treten die sogenannten Notfallpläne in Kraft, die dann eben spätere Öffnung oder frühere Schließung bedeuten. Erzieherinnen und Erzieher berichten von unschönen Szenen mit verzweifelten Eltern, die unter Druck stehen und nicht wissen, wie sie ihren Alltag bewältigen sollen.

Der Mangel ist nicht neu, aber die Dimension: „Alle sind überfordert. Die Fachkräfte müssen Gruppen schließen und können nur verwahren. Das macht krank und unzufrieden“, konstatierte Kita-Personalrätin Karina Mester bei der Vorstellung des Kita-Reports.

Bis 2030 geht ein Viertel der Erzieherinnen in Rente

Kürzlich prangerten 300 Wissenschaftler und Organisationen in einem offenen Brief an die Spitzen aller Parteien und die Bundesregierung die Überlastung vieler Kitas an und warnten gar vor einer Gefährdung des Kindeswohls.

Dabei sind die Aussichten für die Zukunft noch viel düsterer: Nach Angaben von Verdi wird bis 2030 ein Viertel der derzeitig beschäftigten Erzieherinnen und Erzieher in Köln in Rente gehen. Etliche von ihnen überlegten derzeit nach Angaben der Personalrätin Mester, wegen der ständigen Überlastung sogar früher auszusteigen. Gleichzeitig verließen mehr als die Hälfte der Auszubildenden den Beruf noch während der Ausbildung. „Wir bilden konstant aus und haben eigentlich durchgehend auch Praktikantinnen und Praktikanten“, berichtet Kerschbaum. „Aber die allermeisten sagen dann danach, dass sie sich das unter den Bedingungen nicht dauerhaft vorstellen können.“

Köln bezahlt schlechter als Düsseldorf

Die bessere Bezahlung sieht Verdi angesichts der gestiegenen Anforderungen als wichtigen Hebel. Hinzu kommt, dass in Köln nach Angaben von Verdi und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) weniger als die Hälfte der Erzieherinnen in der deutlich lukrativeren Entgeltgruppe 8b entlohnt werden. In Städten wie Düsseldorf und Leverkusen würden dagegen alle Erzieherinnen mit 8b entlohnt – ein eindeutiger Standortnachteil. Aber das reiche nicht.

Es brauche nicht weniger als eine umfassende Reform des Kitasystems, konstatierte Sabrina Wagner, Geschäftsführerin der Kölner Diakonie Michaelshoven, im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wagner gehörte zu den Unterzeichnern des offenen Briefs. „Politisch muss der Bereich Kitas viel stärker priorisiert werden. Die pädagogischen Mitarbeitenden brauchen Entlastung und die Eltern auch. Schon die Erhöhung des Mindestpersonalschlüssels hätte einen Effekt, um Fachkräfte zu gewinnen. Alle könnten ihren Aufgaben gerecht werden und der Job wäre attraktiv und wirksam.“ Am Ende habe das alles mit Wertschätzung ihrer Arbeit zu tun, fasst Kerschbaum zusammen: „Wir legen die Grundlagen für die Gesellschaft in 20 Jahren. Das wird viel zu selten gesehen.“