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„Liebe deine Stadt“Künstler baut Schriftzug ab und kündigt Neuaufbau in Köln an

Lesezeit 6 Minuten
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Mit einem Kran wurden die drei Wörter vom Dach an der Schildergasse transportiert.

Köln – Mahnend rot und freundlich haben die drei Worte in den vergangenen 13 Jahren über der Nord-Süd-Fahrt das Sanierungsdesaster des Opernensembles mit angesehen und uns aufgefordert, die Stadt (trotzdem) zu lieben. Jetzt sind die Straßen leer und die Köpfe voller Sorgen, nur wenige Menschen bleiben am Dienstagnachmittag stehen und nehmen Notiz, als der bekannteste Schriftzug der Stadt Wort für Wort vom Dach der Schildergasse 72-74 verschwindet.

Künstler kündigt Wiederaufbau an

Um kurz vor halb drei schwebt die „Liebe“, angeseilt und von einem gewaltigen Kran gesteuert, für ein paar Minuten über der Stadt, nur wenige Zentimeter trennt das Metallskelett in der Luft vom Glaspalast von „Peek & Cloppenburg“, wenig später liegen die Worte auf dem Pflaster der Schildergasse, um verladen zu werden. Wo und wann die 26 Meter lange Skulptur wieder aufgebaut wird, will der Künstler Merlin Bauer nicht verraten.

„Sie kommt wieder, es wird auch wieder im Herzen der City sein, allerdings wohl nicht mehr in diesem Jahr“, sagt er, im Nieselregen den Abbau dirigierend.

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Liebe deine Stadt ganz

Das Gebäude, auf dem der Schriftzug bisher prangte, muss saniert werden.

Die Dauerbaustelle Dom-Hotel würde der Slogan schmücken oder die Hässlichkeitsqueen Barbarossaplatz, das Herkuleshochhaus mit Sicht auf die coronagebeutelte Flüchtlingsunterkunft oder die alten KHD-Hallen, an denen sich mal wieder zeigen wird, wem die Stadt gehört. Vielleicht kehrt es nach der Sanierung des Gebäudes von Architekt Wilhelm Riphahn auch zurück an seinen Aussichtsplatz auf dem Dach der Schildergasse.

Was heißt das in der Krise: Liebe deine Stadt?

„Eigentlich ist der Shutdown ein trauriger Zeitpunkt für den Abbau“, sagt Bauer, „der Slogan ist ein Zeichen für die Gemeinschaft, eine Aufforderung, sich zu engagieren. Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich die Demokratien unter Druck befinden, in der Solidarität, Abwägung und Debatte besonders wichtig sind.“ Was eben auch die Frage aufwerfen sollte: Was heißt in der Krise: Liebe deine Stadt?

Auf dem Weg durch die Innenstadt geht man an den Heillosen vorbei, die vor den Auslagen dösen, sieht die verrammelten Geschäfte, die Fenster der verlassenen Restaurants und Cafés, die leeren Schulhöfe und Maskengesichter, riecht den Unrat in den Unterführungen am Dom, nimmt sich einen Kaffee-to-go mit, fragt den Wirt, wie es so geht, nimmt kaum noch Notiz von der alten Frau mit dem Dutt und der Nickelbrille, die die Mülleimer neben dem Luxusimmobilienverwalter gewissenhaft nach Flaschen absucht; und könnte abheben zu einem Gedankenausflug zur eigenen Solidarität.

Plastik stellt Frage nach der Solidarität

Der Autor muss für sich feststellen, dass sie kleiner geworden ist: Im Frühjahr waren die Einkäufe für Nachbarn und Eltern selbstverständlich, die Sonntagskonzerte in den Straßen des Viertels wirkten verbindend wie die Gespräche im Supermarkt oder die Aktionen für Künstler, Obdachlose und Gastronomen. Die lange Isolation in der eigenen Wohnung fördert den Selbstbezug – die Frage, nach der Liebe zur Stadt in Zeiten ohne Karneval und Stadionbesuche, ohne volle Kneipen und Theater und Museen und volle Plätze, fällt schwer zu beantworten.

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Mit einem Kran wurden die drei Wörter vom Dach an der Schildergasse transportiert.

Auf dem Dach der Schildergasse 72 sieht Köln am Dienstag sehr leer und sehr grau aus, wie in Trauer. Im Angesicht der ewigen Opernbaustelle – fast eine Milliarde soll sie jetzt kosten (hier lesen Sie mehr) – liegen andere Fragen nahe als die nach der Liebe. Wie konnte es dazu kommen? Ist das in Zeiten des Verlusts ganzer Branchen noch vermittelbar?

Merlin Bauer ist ein Fan des Opernensembles. Die Pläne, den Riphahn-Bau am Offenbachplatz abzureißen, brachten ihn erst auf die Idee zu seiner sozialen Plastik. Nach zwei Jahren auf dem Dach des Panoramapavillons der ehemaligen Messehallen hat der Slogan nun mit kurzer Unterbrechung 13 Jahre über der Nord-Süd-Fahrt geprangt – finanziert anfangs auch von Kölner Mäzenen, die den Spruch genauso liebten wie die Hipster und Türsteher, die sich den Imperativ auf Oberarm und Fußfessel tätowieren ließen.

Plagiate und Tätowierungen

„Es ist erstaunlich, welche für Blüten ,Liebe deine Stadt' getrieben hat“, sagt Bauer, „vom ersten Tag an wurde der Slogan plagiiert. Manche dieser Blüten sind absurd: Kürzlich erst wollte ein Moderator mit dem Slogan ,Liebe Deine Seife' werben. Und auch die vielen Tätowierungen zeugen eher von einem Missverständnis.“

Die geführten Prozesse hat Bauer aufgehört zu zählen, markenrechtlich ist sein Slogan nicht geschützt. Wenn Lukas Podolski die Worte für ein Lied verwende und auf ein Kooperationsangebot „eher aggressiv“ reagiere, finde er das schade, sagt Merlin Bauer. „Trotzdem dreht sich das Projekt auch mit solchen ungefragten Nutzungen weiter.“

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„Liebe-Deine-Stadt“-Erfinder Merlin Bauer auf dem Dach des Hauses Schildergasse 72-74, auf dem seine Plastik 13 Jahre lang stand.

Dass die Aufforderung zur Stadtliebe gleichzeitig Langzeitkunstprojekt und Marke geworden ist, liegt vor allem daran, dass sie gut ist. Gute Sätze bleiben im Gedächtnis. Manchmal haben sie einen doppelten Boden. Oft schaffen sie Identifikation. Fast immer sind sie einfach. Und werden gern plagiiert. Ich bin ein Berliner. I have a dream. Wir sind Papst. Wohnst Du noch, oder lebst Du schon? Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst.

Komplexes Diskurslabyrinth

Der Satz „Liebe deine Stadt“ kommt so daher, als flirte er mit der viel bespöttelten Kölner Selbsttrunkenheit. Lokalpatriotisch interpretiert, mündet er womöglich in eine Runentätowierung. Hat man die Oberfläche verlassen, führt er allerdings in ein Labyrinth aus individuellen und städtebaulichen, ethischen, sozialen und ökonomischen Wegen und Gedanken, die komplexer sind als die Haustechnik von Oper und Schauspielhaus.

Dass über dieses Labyrinth weit über Köln hinaus debattiert und geschrieben wird, ist Merlin Bauer zu verdanken, der Künstler ist und Netzwerker, Intellektueller und PR-Profi. Am Dienstag steht er auf dem Hausdach und wirbt für seine „neue, erschwingliche Fotoedition“, er hat auch schon Unterhosen mit Liebe-Deine-Stadt-Gummizügen in Auftrag gegeben.

Vor allem aber hat es Bauer stets verstanden, die richtigen (und wichtigen) Leute in das Projekt mit einzubinden: Wenn er seine Wanderpreis-Schleife für Kölner Gebäude der Nachkriegszeit verlieh, seinen Liebe-Deine-Stadt-Slogan 2016 nach der verschobenen Wiedereröffnung des Opernensembles um das Wort „trotzdem“ erweiterte, wenn er einlud und neue Türen für sein Projekt öffnete, kamen fast alle: die Museumsdirektoren Kasper König, Yilmaz Dziewior und Stefan Kraus, die Fotokünstlerin Candida Höfer, die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die Architekten Peter Zumthor und Gottfried Böhm, auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker – alle erkannten, dass sich mit der Liebesaufforderung etwas anstellen lässt.

Desinstallation als Chance für das Werk

Und wenn der Slogan fremdgenutzt wurde, minderte das nicht seinen Wert. Das Verschwinden des Schriftzugs auf unbestimmte Zeit empfindet Merlin Bauer als „Zäsur“. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise mache ihn das „etwas melancholisch“. Er hoffe aber, dass die „Desinstallation und Dekonstrukion auch eine Chance bedeutet, das Werk neu zu verstehen und neu zu interpretieren“.

Wie sähe ein Leben ohne Nachbarn und Kioskbesitzer, ohne Lieblingskneipe und Museum, ohne Theater, Kino und Geschäfte aus? Die Krise zeigt, dass das für eine Zeit irgendwie geht, wenn auch zunehmend trostlos und zu hohen Preisen. Aber ein Leben ohne Liebe und Solidarität?