Walter Hoischen war Freigeist, Oberbürgermeisterkandidat und ständig auf Achse. Im vergangenen Sommer ist er friedlich eingeschlafen.
Tod im Sommer 2024Walter Hoischen wird in Köln-Sülz noch immer schmerzlich vermisst

Walter Hoischen korrigierte oft die städtische Pflanzung.
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Gelber als Sonnenblumen können Blüten nicht leuchten. Größer als die „Sülzer Riesen“ können sie kaum werden. Walter Hoischen hat alljährlich ein gigantisches Zeichen gesetzt. Ab Juli erblühte in seinem Heimatviertel Sülz an der Euskirchener Straße eine Pflanzenparade, wie ein spätsommerliches Feuerwerk. Hoischen hat es liebevoll inszeniert, einen großen Teil seines Lebens mit dem Hegen und Pflegen von Pflanzen und Menschen verbracht.
Im vergangenen Sommer ist Walter Hoischen verstorben, hat brache Beete hinterlassen und Kneipenabende ohne seinen Auftritt: Der Mann mit dem langen Zopf und dem Zeitschriftenfächer strahlte eine augenzwinkernde Aufmüpfigkeit aus, verkaufte die Stadtrevue, Ökotest und Asterix und Obelix, aus Überzeugung, und er diskutierte gerne mit den Menschen über das Leben.
Walter Hoischen: Vom Bauernhof in die Kommunen
Seines begann am 8. Januar 1950 auf einem Bauernhof in Warburg, in einem Nachkriegsdilemma: Der erste Mann seiner Mutter war im Krieg gefallen. Sie hatte bereits vier Kinder. Die Schwiegereltern erwarteten aber, dass sie sich einen neuen Mann sucht, um den Hof zu bewirtschaften. Sie wurde fündig und schnell wieder schwanger. Das jüngste Kind aus erster Ehe verstarb ein Jahr vor Walters Geburt. Nach ihm kam noch Bruder Norbert.
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Die kleinen Jungs blieben die zweite Besetzung. Der eigene Vater hatte auf dem Hof nicht viel zu melden – aber einiges aus dem Krieg mitgebracht. Traumata, Nazi-Parolen, den Alkohol, eine kurze Zündschnur. Prügel waren an der Tagesordnung. So berichten Walter Hoischens Söhne, Friedrich und Sebastian Mauel. Mit der Pubertät erwachte Walters Widerstand. „Er hat sich dann gewehrt“, sagt Sebastian. Auf der höheren Handelsschule stieß er auf Marx und Engels.

Walter Hoischen verkaufte abends Zeitschriften auf der Schildergasse.
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„Als Vater in den 70er-Jahren an der Sporthochschule in Köln studierte, war er überzeugter Kommunist“, erzählt Friedrich. Er lebte in Kommunen, die freie Liebe, verabschiedete sich von der katholischen Kirche, war auf Demos unterwegs, als Fotosetzer der Stadtrevue, dann im Vertrieb. Er baute ein eigenes Vertriebssystem auf, stand tagsüber mit den Zeitschriften auf der Schildergasse und verkaufte sie abends in Kneipen, verteilte dort auch selbstverfasste Gedichte.
„Die Kneipentour war sein Lebenselixier“, berichten seine Söhne: „Er hat sich eigentlich nie verabredet. Er hat geschaut, wen er dort trifft. Es war eine Mischung aus Vertrieb und Freunde treffen. Sie wurden aber nie als Freunde deklariert.“
Familienvater und Oberbürgermeisterkandidat
Ihre Mutter, eine Künstlerin, traf er Ende er 80er-Jahre beim Zeitschriftenverkauf auf der Schildergasse. Es funkte sofort. Bald waren die Jungs auf der Welt. Doch als sie sechs und vier Jahre alt waren, trennte sich das Paar wieder. „Unsere Eltern haben eine semi-offene Beziehung geführt“, begründet Friedrich. „Es wurden dann aber Absprachen verletzt, Verletzungen aktiviert, wunde Punkte aus der Kindheit. Sie konnten das nicht miteinander aufarbeiten.“

Walter Hoischen mit seinen Söhnen.
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An den zwei „Papa-Wochenenden“ im Monat, gab der Vater allerdings sein Bestes. Manches blieb schwierig: Reden. Vater-Sohn-Gespräche. Er erzählte viel, fragte wenig. „Das konnte er nicht gut“, so Friedrich. Der Vater steuerte Anekdoten bei, die Ansichten eines Freigeists. Ihm fehlte der Bezug zum gewöhnlichen Leben der anderen. Manches blieb eine lebenslange Lernaufgabe.
Im Alter von 50 Jahren schrieb Walter Hoischen noch seine Diplomarbeit, der er sich jahrzehntelang verweigert hatte. 2009 kandidierte er als Oberbürgermeisterkandidat, empört über die Korruptionsskandale in der Stadt – und erhielt für einen parteilosen Außenseiter viele Stimmen, allerdings nicht ausreichend.
Sonnenblumen und spirituelle Heimat
So korrigierte er zumindest die städtischen Pflanzungen in Baumscheiben, grub Bäume wieder aus, entfernte den Bauschutt, füllte das Loch mit Kompost, pflanzte die Gewächse wieder ein und fügte eigene hinzu. Mit den ausgegrabenen Steinen füllte er Gabionen, die er am Auerbachplatz als Sitzgelegenheiten aufstellte – gegenüber der Sonnenblumenbeete. Dort traf man ihn regelmäßig, wenn er nicht gerade zu Guru Sai Baba unterwegs war.

In Indien unterstützte Walter Hoischen auch eine Schule.
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In Indien unterstützte er eine Schule und Mädchen mit Schulgeld. Später fand er dann auch in Köln wieder eine spirituelle Heimat, zunächst in der evangelischen Kirchengemeinde in Weiden, wo er sogar Laienprediger wurde, dann in Klettenberg.
Vor anderthalb Jahren erkrankte Walter Hoischen an einem Glioblastom, einem aggressiven Gehirntumor. Es wurde sein letzter großer Kampf. „Er hat bis zum Schluss noch an ein Wunder geglaubt“, sagt Friedrich. Doch schließlich ist er friedlich eingeschlafen, am 7.7. um 7 Uhr 7. Für Sebastian ist das kein Zufall, sondern ein letztes Zeichen. „Ich hatte dann auch plötzlich diesen 80er-Jahre-Song von Geier Sturzflug im Ohr“, sagt Sebastian. „Eines kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben.“