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Geheimer Drogenbunker im AutoGebürtiger Kölner wickelte Drogengeschäfte über Kryptosoftware ab

Lesezeit 5 Minuten
Ungenutzte Handys liegen auf dem Boden.

Ungenutzte Handys – unter anderem der Marke BlackBerry (Symbolfoto).

Über die Software Encrochat werden Drogengeschäfte abgewickelt – so führte auch der gebürtige Kölner Metin A. seine Deals durch.

Metin A. wähnte sich sicher. Der 21-jährige Deutsch-Türke aus Bergheim organisierte über sein spezielles Mobiltelefon, das mittels der Verschlüsselungssoftware Encrochat lief, sein Drogengeschäft. Solche Krypto-Handys sollten laut Hersteller nicht durch die Sicherheitsbehörden zu knacken sein. Um auf Nummer sicher zu gehen, chattete der gebürtige Kölner mit seiner Kundschaft unter dem Synonym „limptuna“. Auf diese Weise sollten ihn selbst seine Geschäftspartner nicht identifizieren können.

Ende August 2020 orderte Metin A. (Name geändert) bei einem Händler vier Kilogramm Kokain im Wert von 132.000 Euro. Der Stoff wurde zu ihm nach Hause geliefert. Mit einem Abnehmer traf sich der Rauschgifthändler dann in einem Dönerlokal in Köln-Ehrenfeld, um den Deal abzuwickeln.

Gut ein Jahr später wanderte Metin A. in Untersuchungshaft. Im Mai 2022 wurde der Encrochat-Dealer durch das Kölner Landgericht zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ führen seine Spuren vom Elternhaus in Bergheim über Köln bis nach Dortmund zum kurdisch-libanesischen Miri-Clan.

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„Wie ein Lottogewinn“ – monatelange Arbeit der Ermittler zahlt sich aus

Seine kriminelle Vita ist typisch für die neue Generation der Rauschgifthändler, die jahrelang mittels Kryptosoftwares wie Encrochat oder SKY ECC der Gegenseite einen Schritt voraus waren. „Über die normale Telefonüberwachung erfahren wir in den Kreisen kaum noch etwas“, sagt der Chef der Abteilung Organisierte Kriminalität, Dirk Schuster, im Kölner Polizeipräsidium.

Ein Mann steht in einem Gebäude und lächelt in die Kamera.

Dirk Schuster ist Kriminaldirektor bei der Polizei Köln.

„Deshalb war es wie ein Lottogewinn, als französische und holländische Kollegen den codierten Chatverkehr entschlüsseln konnten.“ Im Frühjahr 2020 infiltrierten die IT-Techniker einen Encrochat-Server. Monatelang protokollierten die Beamten des internationalen Ermittlerteams den geheimen Chatverkehr zehntausender Krimineller mit.

Krypto-Handys wirken wie normale Mobiltelefone

Bei Krypto-Handys wird die Kommunikation durch eine Verschlüsselung geschützt. Solche Geräte muten wie normale Mobiltelefone an. Die abgeschirmten Smartphones beschränken sich meist nur auf den codierten Nachrichten- und Bilderaustausch. Kommuniziert wird einzig zwischen identisch ausgerüsteten Handys, oft von der Marke Blackberry. Die durchschnittlichen Kosten belaufen sich auf 1500 Euro für ein halbjähriges Abo nebst Verschlüsselungssoftware.

Drogendealer in Europa und Übersee gerieten in Aufruhr, als sich herumsprach, dass die Ermittler Nachrichten der Kriminellen geknackt hatten. Seither füllen sich gerade auch in Deutschland die Strafakten. Inzwischen hat das Bundeskriminalamt gut 3200 Fälle an die regionalen Strafverfolgungsbehörden weitergegeben.

Insgesamt wurden über 220 Jahre Gesamtfreiheitsstrafen verhängt
Jens Scherf, Oberstaatsanwalt

Allein bei den beiden Abteilungen für Organisierte Kriminalität (OK) der Staatsanwaltschaft Köln wurden bereits 58 Verfahren eingeleitet. „Inzwischen liegen bereits überwiegend rechtskräftige Urteile gegen 29 Personen vor, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Insgesamt wurden über 220 Jahre Gesamtfreiheitsstrafen verhängt, gegen viele weitere Personen wird derzeit international gefahndet“, sagt Oberstaatsanwalt Jens Scherf, Leiter einer der beiden OK-Abteilungen der Staatsanwaltschaft Köln. Im Schnitt hätten die Täter in den Encrochat-Verfahren knapp siebeneinhalb Jahre Haft bekommen, 22 Millionen Euro wurden eingezogen.

Kripo leidet unter Datenflut und Kölner Landgericht verzeichnet mehr Drogenverfahren

Die Verfahrensflut bindet allerdings bei Kripo und Justiz erhebliche personelle Ressourcen. Oft agieren die Täter in den Encrochats unter Aliasnamen. Anhand von Hinweisen zur Person, der IP-Adresse oder Aufnahmen aus dem privaten Umfeld versuchen die Beamten, auf die wahre Identität des Drogendealers zu schließen.

„Mitunter hatten wir Fälle mit 50.000 Datensätzen, das dauert Wochen, ehe die Auswertung abgeschlossen und der Täter überführt ist“, sagt Kriminaldirektor Schuster. Trotz aller Erfolge wünscht sich der OK-Chef mehr Kollegen, die sich wieder verstärkt anderen Felder der organisierten Unterwelt widmen könnten.

Auch das Kölner Landgericht ächzt unter der Last. 2022 seien 25 Prozent mehr Anklagen bei den Großen Strafkammern eingegangen, sagt Justizsprecher Jan Orth. Zwei Drittel seien auf Drogenverfahren zurückzuführen.

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch und lächelt in die Kamera.

Jan Orth ist Justizsprecher.

Derzeit stellen die rheinischen Ermittler eine regelrechte Kokainschwemme über die Seehäfen gerade aus den Niederlanden fest. „Das Geschäft in Köln liegt fest in albanischer Hand“, sagt Kriminaldirektor Schuster. „Diese Banden organisieren den Import und den Straßenhandel über Landsleute, die sie in der Heimat anheuern.“ Manche Protagonisten sind über Encrochat-Verfahren ins Netz gegangen. Inzwischen aber bedienen sich die Kriminellen neuer geheimer Kanäle.

Oberstaatsanwalt Scherf beschreibt den typischen Krypto-Drogendealer folgendermaßen: „Männlich, unter 40 Jahre alt, enorm gewinnfixiert.“ Die Klientel reiche von gut bürgerlich bis ins Rockermilieu.

Urteil Kölner Strafkammer: Metin A. soll Ephedrin überführt haben

Oft genug, so ist in Sicherheitskreisen zu hören, weisen Encrochat-Dealer einen Migrationshintergrund auf. Metin A. zum Beispiel. Nach seinem Fachabitur witterte der Bergheimer 2019 die Chance auf das große Geld. Selbst kokainabhängig, versuchte er seine Sucht mit Kurierfahrten für die ganz Großen der arabisch-kurdischen Unterwelt oder in Eigenregie zu finanzieren.

So etwa beim Dortmunder Ableger des kurdisch-libanesischen Miri-Clans. Insbesondere für den mutmaßlichen Bandenchef Esmat E., alias Sammy Miri. Der Clan-Boss fühlte sich so unantastbar, dass er Fotos von Koksblöken auf einer Waage via Kryptohandy postete. Die Großfamilie soll den Rauschgifthandel bestens organisiert haben.

Handlanger wie der Bergheimer Metin A. besorgten in den Niederlanden laut dem rechtskräftigen Urteil der Kölner Strafkammer im Auftrag des Clans kiloweise das Aufputschmittel Ephedrin, um die Koks-Mengen zu strecken. Für seine Kurierdienste hatte er eigens in seinem Peugeot Kastenwagen im Rücksitz einen besonderen Bunker installiert, um die Ware zu transportieren. Das Versteck ließ sich nur über einen verborgenen Hebel öffnen.


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Insgesamt 19 Fälle legte die 14. Große Strafkammer dem Angeklagten zur Last. Demnach hortete Metin A. in einem Erdbunker eine 12 Millimeter Pistole vom Typ Glock sowie eine Maschinenpistole der Marke Skorpion. Beide soll er Sammy Miri angeboten haben. Doch dieser winkte ab. Besser sei es, so antwortete der Clan-Boss, die Schusswaffen für spätere Auseinandersetzungen vorzuhalten.

Clan-Chef Samy Miri vermutlich in die Türkei geflüchtet

Metin A. sitzt inzwischen im Gefängnis. Die Strafverfolger brauchten mehrere Tage, um das Versteck in seinem Auto zu finden. Erst mithilfe eines Röntgengerätes entdeckten die Beamten den Drogenbunker. Unterdessen verhöhnt sein mutmaßlicher Auftraggeber Samy Miri die deutschen Justiz-Behörden in den sozialen Netzwerken. Er würde sich gerne stellen, sagte er, rechne aber mit einem unfairen Verfahren.

Miri konnte rechtzeitig vor einer Razzia in seinem Haus im Sommer 2021 fliehen. Kürzlich erst hatte seine Verteidigerin beim Bundesverfassungsgericht erreicht, dass die Durchsuchung seiner Villa als unrechtmäßig gilt. Dennoch wird der flüchtige Clan-Chef weiterhin mit internationalem Haftbefehl gesucht. Die Encrochats, so die Staatsanwaltschaft, seien eindeutig. Die Fahnder vermuten Sammy Miri in der Türkei. Nur selten liefert Ankara Tatverdächtige an die deutschen Behörden aus.