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„Uns läuft die Zeit davon“Auch in Köln ist die „Zombie-Droge“ Fentanyl auf dem Vormarsch

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Mitarbeitende des Ordnungsamtes gehen die Treppen an der Neumarkt-Unterführung hoch, dort sitzen Drogenabhängige.

In Köln könnte sich die Situation für Heroinabhängige durch Fentanyl verschärfen (Symbolbild).

Noch gibt es wenige Fälle, doch Experten schätzen, dass Fentanyl bald in Köln zu mehr Drogennotfällen führen kann. Auch die Stadt bereitet sich vor.

Regen prasselt auf den Neumarkt und verscheucht die Drogenszene auf der Suche nach einem trockenen Unterstand in die Nebenstraßen und in die Unterführung. Ein Mann flüchtet dort in eine der verwinkelten Ecken, packt sein Spritzbesteck aus und setzt sich einen Schuss, während Passanten an ihm vorbei zu ihrer Straßenbahn eilen.

Szenen wie diese, beobachtet Ende Februar, sind Alltag auf dem Neumarkt. Seit Jahren ist der Platz in der Innenstadt einer der Hotspots der harten Drogenszene, vor allem Heroin wird hier konsumiert. Und nun gibt es Anzeichen dafür, dass bald ein noch gefährlicheres Opioid seinen Weg auf Kölns Straßen finden könnte: Fentanyl. „Ich gehe davon aus, dass Fentanyl in zwölf bis 18 Monaten ein noch größeres Thema in Deutschland und damit auch in Köln sein wird“, sagt Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Er beschäftigt sich seit Jahren unter anderem mit Suchtforschung und Obdachlosigkeit und hat in Köln in der Suchthilfe gearbeitet.

Fentanyl gilt als „tödlichste Drogengengefahr“ in den USA

Fentanyl ist ein synthetisches, also künstlich hergestelltes Opioid. Es wirkt etwa 50-mal stärker als Heroin, schon winzige Mengen können zu einer Überdosis führen. Eigentlich handelt es sich um ein Schmerzmittel, das in Deutschland etwa bei Krebspatienten eingesetzt wird. Doch vor allem in den USA wird Fentanyl als Droge missbraucht und hat dort eine regelrechte Pandemie mit mehreren tausend Toten im Jahr ausgelöst. Die amerikanische Drogenbehörde DEA stuft Fentanyl als die „tödlichste Drogengengefahr für dieses Land“ ein.

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Dass Fentanyl bald auch eine größere Rolle in Deutschland spielen könnte, hat mit Verschiebungen auf dem internationalen Drogenmarkt zu tun. „Ein Großteil des Heroins auf dem europäischen Markt stammt aus Afghanistan“, erklärt Deimel. Weil die Taliban aber seit ihrer Machtübernahme den Schlafmohnanbau bekämpfen, sinkt dort die Heroinproduktion. Dealer könnten zunehmend auf das günstig herzustellende Fentanyl als Beimischung von Heroin umsteigen. „Und das wiederum könnte zu mehr Überdosierungen und dementsprechend mehr Drogentoten führen“, sagt Deimel.

Daniel Deimel im Porträt

Prof. Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.

Wie weit Fentanyl in Köln bereits verbreitet ist, lässt sich schwer sagen. Bei der Kölner Polizei jedenfalls sei die Droge noch kein größeres Thema, so ein Sprecher. Die Stadt berichtet, dass derzeit zwei Fentanylkonsumenten im Drogenkonsumraum bekannt sind. Bei einer Befragung, die das Kölner Gesundheitsamt mit der Katholischen Hochschule NRW in der Drogenszene am Neumarkt im vergangenen Jahr durchgeführt hat, gab ein Prozent der Befragten an, regelmäßig Fentanyl konsumieren – Einzelfälle also. „Die Studie erfasst allerdings nicht, wie es bei den Beimischungen von Straßenheroin aussieht“, so Deimel, der die Studie begleitet hat.

Genau das hat die Deutsche Aidshilfe getestet. In 17 deutschen Drogenkonsumräumen untersuchte sie Straßenheroin auf Beimischungen von Fentanyl. Mitte Februar veröffentlichte sie die Ergebnisse: In 3,6 Prozent der Proben fanden sie Fentanyl. Der Kölner Drogenkonsumraum nahm nicht an der Studie teil. Deimel aber sagt: „Der Drogenmarkt ist global aufgestellt und kennt keine Landesgrenzen. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Situation hier ähnlich aussieht wie im Landesschnitt.“

Fentanyl-Monitoring und Gegenmittel in Köln gefordert

So sieht das auch Claudia Schieren, Geschäftsführerin von „Vision“, einem Kölner Verein für Drogenselbsthilfe. „Unserer Einschätzung nach wird Fentanyl momentan noch wenig konsumiert, aber das wird sich voraussichtlich bald ändern.“ Deswegen warne ihr Verein die Konsumenten in Köln regelmäßig vor der neuen Droge. Und das offenbar zu Recht. „In den vergangenen Wochen haben wir bereits einige untypische Überdosierungen bei Rauchkonsum von Heroin festgestellt.“ Zu Überdosierungen komme es beim Rauchen eher selten, so Schieren. „Es deutet einiges darauf hin, dass es sich bei dem Stoff um Fentanyl-Beimischungen gehandelt hat.“

Diese Beispiele veranlassen Schieren auch zu Kritik an der Stadt: „Es braucht dringend aktuelle Zahlen und ein Monitoring, damit wir sehen können, wie oft und wo Fentanyl vorkommt.“ Das habe auch Wirkung in die Szene, so Schieren. „Wenn es keine Zahlen gibt, kann man die Gefahr auch als Konsument einfach abtun.“

Es kann nicht darum gehen, dass eine Kiste Schnelltests im Drogenkonsumraum steht.
Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit Katholischen Hochschule

Die Stadt müsse Einrichtungen wie den Drogenkonsumraum mit Schnelltests ausrüsten, damit Konsumenten herausfinden können, ob in ihrem Stoff Fentanyl enthalten ist. Außerdem müsse die Stadt die Einrichtungen mit Naloxon, einem Gegenmittel für Opioide, ausgestattet werden. „Wir sind gerade in der glücklichen Lage, dass wir noch Zeit haben, um Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Aber wir müssen es jetzt tun, uns läuft die Zeit davon“, sagt Schieren.

Tatsächlich plant die Stadt genau das. Auch eine Sprecherin der Stadt prognostiziert: „Wir rechnen damit, dass der Konsum von Fentanyl zunehmen wird.“ Deswegen wolle man künftig Fentanyl-Schnelltests im Drogenkonsumraum anbieten. Auch Naloxon halte man dort vor, um im Notfall helfen zu können.

Daniel Deimel sieht das als guten ersten Schritt, fordert aber: „Es kann nicht darum gehen, dass eine Kiste Schnelltests im Drogenkonsumraum steht. Die Tests sollten dazu genutzt werden, ein effektives Monitoring aufzubauen, damit man reagieren kann, falls sich mit Fentanyl verunreinigtes Heroin ausbreitet.“ Außerdem fordert er, dass auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes und KVB-Sicherheitsleute mit Naloxon ausgerüstet und geschult werden. „Das kann im Zweifel Leben retten.“