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Offene Drogenszene in KölnSo arbeiten die verdeckten Zivilfahnder der Polizei auf dem Neumarkt

Lesezeit 7 Minuten
Ein Zivilfahnder der Polizei Köln setzt einen mutmaßlichen Ladendieb auf dem Neumarkt in einen Gefangenentransporter der Polizei.

Ein Zivilfahnder der Polizei Köln setzt einen mutmaßlichen Ladendieb auf dem Neumarkt in einen Gefangenentransporter der Polizei.

Unauffällig schwimmen Zivilermittler im Strom auf dem Neumarkt mit. Im Auto haben sie Wechselkleidung – falls sie ihre Tarnung ändern müssen.

Es ist kurz nach 15 Uhr an einem Dienstagnachmittag Ende Juni. Die Sonne brennt vom Himmel, und am Zeitungskasten auf dem Neumarkt, gleich neben dem KVB-Wartehäuschen, brummt das tägliche Geschäft: Dealer und Kunden tauschen Geld gegen Heroin, Kokain oder verschreibungspflichtige Medikamente – heimlich beobachtet von der Polizei.

Die Fahnder des zivilen Einsatztrupps (ET) haben sich an verschiedenen Standorten postiert und das Wartehäuschen fest im Blick. Über Handykonferenzschaltung und Knopf im Ohr teilen sie sich gegenseitig mit, was sie sehen.

Köln: Zivilermittler beobachten den Neumarkt von verschiedenen Standorten

„Der Mann mit dem pinken Rucksack und der schwarzen Kappe hat gerade gekauft, geht jetzt Richtung Gesundheitsamt.“

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„Der Verkäufer mit dem weißen Pulli stellt sich ins Wartehäuschen.“

„Der mit dem gelben T-Shirt hat aus der linken vorderen Hosentasche Kleingeld rausgeholt und dem gegeben.“

Über mehrere Stunden wird das an diesem Tag so laufen, bis in den Abend hinein. Und auch an diesem Tag wird es Zugriffe geben. Die verdeckte Observation der Drogendeals, die Befragungen von Käufern und die Festnahmen mutmaßlicher Verkäufer auf dem Neumarkt sind Alltag für den „ET Mitte“, die Fahndungseinheit der Polizeiinspektion Innenstadt. Für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben sich die Zivilermittler erstmals bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen lassen.

Die einzige Absprache im Vorfeld lautete: Nicht alles darf auch geschrieben werden. Vor allem konkrete Observationstaktiken sollen die Tatverdächtigen nicht aus der Zeitung erfahren. „Wir wollen ja noch ein paar Joker im Ärmel behalten“, sagt Robert Marczincik.

Das Bild zeigt den Chef des Einsatztrupps Mitte der Polizei Köln, Robert Marczincik.

Robert Marczincik ist der Chef des Einsatztrupps Mitte der Polizei Köln.

Der 55 Jahre alte Hauptkommissar leitet den ET Mitte seit sechs Jahren, und – so viel scheint sicher – die Arbeit geht ihm und seinem Team nicht aus. Obwohl die Polizei täglich auf dem Neumarkt präsent ist, kehren die Dealer und ihre Kunden zuverlässig immer wieder zurück. Die Heroinsüchtigen treibt die pure Not.

Schwerstabhängige konsumieren bis zu 20 Heroin-Einheiten pro Tag, eine kostet zwischen acht und 15 Euro. Ungefähr 5000 Schwerstabhängige gibt es laut Polizei in Köln. Viele leben „von Schuss zu Schuss“, wie es ein Fahnder ausdrückt. Und dazwischen besorgen sie sich das nötige Geld. Mit Betteln, mit Ladendiebstählen, mit Autoaufbrüchen oder anderen Straftaten. Manche Frauen prostituieren sich. „Wir haben es auf dem Neumarkt oft mit kranken Menschen zu tun und bemühen uns immer, menschlich mit ihnen umzugehen“, sagt Marczincik.

Solange der Stoff und die Nachfrage da sind, hört das nie auf
Robert Marczincik, Leiter des Einsatztrupps Mitte der Polizei Köln

Im Visier haben die Fahnder nicht nur die Kleindealer, die oft selbst süchtig sind. „Wir wollen nicht nur Nadelstiche setzen“, sagt der Hauptkommissar. „Wir wollen tiefer eindringen und auch an die Dealer auf den nächst höheren Ebenen gelangen.“ Marczincik macht sich allerdings auch keine Illusionen: „Solange der Stoff und die Nachfrage da sind, hört das nie auf.“

Vor einigen Monaten gelang die Festnahme einer Bande albanischer Dealer. In so genannten Bunkern – zum Beispiel unter Bodenplatten oder in Blumenbeeten – rund um den Neumarkt hatten sie ihr Kokain versteckt. Die Polizei konnte die Bunker aufdecken, mehrere Verdächtige wurden angeklagt. Nach dem Aufgriff habe es fast sechs Wochen kein Kokain mehr auf dem Neumarkt gegeben, berichtet Marczincik. Inzwischen aber sind neue Dealer in die Lücke vorgedrungen.

„Der Käufer geht Richtung Sparkasse.“

Fahnder aus Marczinciks Team haben zwei Männer bei einem Handel auf dem Neumarkt beobachtet. Den mutmaßlichen Käufer halten sie ein paar Meter weiter in einer ruhigen Ecke an und finden ein Bubble Heroin bei ihm. Ein zweites Team stoppt den mutmaßlichen Dealer in einer Seitenstraße. Ein 41 Jahre alter Mann. Die Ermittler durchsuchen ihn und finden 40 Euro. Einer der Fahnder sagt zu ihm: „Wir haben ein Problem damit, wenn sich jemand bereichert an der Sucht der Leute.“

Kölner Neumarkt: Mutmaßlicher Dealer kriegt Platzverweis

Doch der Verdächtige tut unschuldig. Behauptet, er habe gekauft, nicht verkauft. Drogen aber hat er nicht dabei. In den Augen der Polizisten schließt sich die Beweiskette. Aber für eine Festnahme oder eine Verhaftung reicht der eine beobachtete Deal dennoch nicht. Die Beamten erteilen dem Mann einen Platzverweis, den Neumarkt muss er für den Rest des Tages meiden, bald bekommt er Post und eine Ladung zur Vernehmung.

Zwei Fahnder des Einsatztrupps Mitte kontrollieren einen mutmaßlichen Drogendealer, den sie auf dem Neumarkt beobachtet haben.

Zwei Fahnder des Einsatztrupps Mitte kontrollieren einen mutmaßlichen Drogendealer, den sie auf dem Neumarkt beobachtet haben.

Im Gespräch mit dem Reporter wiederholt der 41-Jährige seine Version. „Ich habe was für mich gekauft, ich habe nicht verkauft.“ Mit 15 habe er das erste Mal Heroin genommen, erzählt er mit leiser Stimme. Sieben Jahre sei er clean gewesen. Dann habe seine Frau ihn verlassen „und ich bin wieder reingerutscht in die ganze Scheiße.“ Inzwischen lebe er in einem Wohnheim.

Sein größtes Problem sei nun, dass die Polizisten ihm die 40 Euro abgenommen hätten, weil das Geld angeblich aus einer Straftat stamme. 50 Euro benötige er jeden Tag für Heroin. „Jetzt muss ich mir irgendwie Geld besorgen.“ Den nächsten Schuss brauche er in ein paar Stunden. „Ich stehe hier und habe keine Ahnung, was ich tun soll.“

Meine Frau hat mich verlassen, dann bin ich wieder reingerutscht in die ganze Scheiße
Heroinsüchtiger mutmaßlicher Dealer auf dem Neumarkt

Unauffällig und scheinbar beiläufig schlendern die Zivilfahnder indes weiter über den Neumarkt. Mal alleine, mal zu zweit. „Sie schwimmen im Strom mit, verändern ständig ihren Standpunkt, damit sie nicht aufkippen“, erklärt Marczincik. Im Auto haben sie einen Rucksack mit Wechselkleidung – falls sie ihre Tarnung ändern müssen.

In diesem Job brauche man „ein geschultes Auge für das, was vor einem passiert“, sagt Marczincik. „Man muss unterscheiden können: Was ist wichtig? Was nicht? Optimal ist, wenn nicht nur die Zielperson die Observation nicht bemerkt, sondern auch sonst niemand.“ Etwa zwei Jahre dauere es, bis man alle Grundlagen der Observation verinnerlicht habe und anwenden könne. Geschult wird auf regelmäßigen Lehrgängen.

Zwei Männer auf einem Treppenabgang auf dem Neumarkt, einer setzt sich einen Schuss Heroin.

Die offene Drogenszene auf dem Neumarkt erregt den Unmut von Anwohnern und Passanten

Die offene Drogenszene ist das eine, die verdeckte das andere. Rauschgift wird vielfach auch aus Wohnungen oder Geschäften wie zum Beispiel Kiosks heraus verkauft. Stammkunden haben die Handynummer ihres Dealers und vereinbaren immer andere Treffpunkte zur Übergabe. Ihnen auf die Spur zu kommen, ist für die Polizei deutlich aufwendiger und schwieriger. Aber auch das gelingt immer wieder. Ende Mai hat der „ET Mitte“ in der Südstadt nach Zeugenhinweisen einen 36-Jährigen verhaftet und in seiner Wohnung kiloweise Ecstasy, Amphetamine, Kokain, mehrere zehntausend Euro Bargeld und eine scharfe Pistole gefunden.

Köln: Immer mehr Kokain auf dem Schwarzmarkt

In den vergangenen Monaten beobachten die Ermittler eine deutliche Zunahme von Kokain auf dem Kölner Schwarzmarkt – vereinzelt auch am anderen großen Kölner Dealer-Hotspot auf dem Ebertplatz, wo ansonsten fast ausschließlich Marihuana verkauft wird. Kokain ist generell leichter verfügbar und immer billiger geworden. Ob sich die Dealer auf dem Ebertplatz angesichts der bevorstehenden Cannabis-Legalisierung ein zweites Standbein aufbauen wollen, lasse sich schwer beurteilen, sagt Marczincik. „Ist aber denkbar.“

Die Belebung des Ebertplatzes mit einem Café und dem Springbrunnen habe das Sicherheitsgefühl bei vielen Menschen erhöht – was schon mal gut sei, findet Marczincik. „Aber gedealt wird hier immer noch, jetzt mehr in den Randbereichen.“

Bevor der Einsatztrupp auf die Wache an der Stolkgasse zurückkehrt, um den Schriftkram des heutigen Tages zu erledigen, packen zwei Ermittler um kurz nach 19 Uhr auf dem Neumarkt noch einmal die Handfesseln aus: Ein Mann hat einem Dealer eine Tüte mit offensichtlich gestohlenen Klamotten zum Tausch gegen Heroin angeboten. Und das schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Ein Basketballshirt, nagelneue Socken und zwei original verpackte Geldbörsen stecken in der Tüte. Der Mann bestreitet, sie gestohlen zu haben. Die Polizisten sind anderer Überzeugung.

Ein Gefangenentransporter holt den mutmaßlichen Ladendieb ab und bringt ihn ins Präsidium nach Kalk. Bis zum Geschäftsschluss muss er in einer Zelle im Gewahrsam bleiben. Und auch ihn treibt jetzt erst einmal nur eine Sorge um. Wann er denn den nächsten Schuss brauche, fragt ihn ein Beamter. Der Mann zuckt nur mit den Schultern: „Keine Ahnung“, sagt er und blickt zu Boden. „Noch geht’s.“


Drogenreport Köln 2023: Lesen Sie hier alle Reportagen und Hintergründe.