Michael Mader und Natalie Riha versuchen bei ihren Gängen über den Neumarkt das Schlimmste zu verhindern. Einblicke in eine Sisyphus-Arbeit.
Die Kunst der StraßendiplomatieZwei Ordnungsamt-Ermittler zeigen, wie sie am Drogen-Hotspot Neumarkt arbeiten
Es ist einer der ersten kalten Herbsttage in Köln. Pendler, eingepackt in Daunenjacken, stapfen strammen Schrittes über den Neumarkt, vorbei an Dealern und Drogensüchtigen auf der Suche nach dem nächsten Schuss. Mittendrin stehen Natalie Riha und Michael Mader, Ermittler des Ordnungsamtes der Stadt Köln.
„Heute Morgen hat es hier eine Razzia der Polizei gegeben“, sagt Mader, 36, kantiges Gesicht, gleich nach der Begrüßung, mit kölschem Singsang in der Stimme. Das passiere regelmäßig an den Drogen-Hotspots hier, am Wiener Platz oder am Ebertplatz. Die Konsumenten und Dealer seien aufgescheucht worden und wahrscheinlich in die umliegenden Straßen geflüchtet. Für zwei Stunden wollen sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ trotzdem Einblick in ihre Arbeit geben.
Köln: Ordnungsamt fast rund um die Uhr am Neumarkt
Auf ihren ersten Einsatz müssen sie allerdings nicht lange warten. Wenige Meter entfernt haben sich fünf Männer auf die Treppe zur Unterführung gesetzt. Einer von ihnen beugt sich zu seinem Knöchel hinunter, die anderen stehen um ihn herum. Es sieht aus, als wolle sich der Mann einen Schuss setzen. Riha, 45 Jahre alt, Brille, offenes Gesicht, begrüßt die Männer mit einem „Schönen guten Tag“. Kurz blicken sie die Beamten verdutzt an, doch schnell wissen die Angesprochenen, was das Auftauchen der Ordnungskräfte zu bedeuten hat. Sie setzen sich in Bewegung. Nur ein Mann bleibt stur und knurrt Mader an. Der wählt nun eine direktere Ansprache. „Hier laufen Kinder entlang, geh weg hier, mein Freund.“ So lässt auch er sich überzeugen. „Entschuldigung“, sagt er noch zu Mader, bevor er den anderen folgt.
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„Eine Standardsituation“, nennt der Beamte das Gespräch mit der Gruppe später, während er mit Riha durch die Unterführung läuft. „Ein Arbeitsehepaar“ seien sie, sagt Riha und lacht. Schon zuvor arbeiteten sie zusammen im Dom-Umfeld, seit über einem Jahrzehnt sind die beiden schon für das Ordnungsamt auf den Straßen Kölns unterwegs.
Im Schichtdienst sind im Wechsel 15 Mitarbeiter des Ordnungsamtes fast rund um die Uhr hier unterwegs. Gemeinsam mit Streetworkern, Obdachlosenorganisationen und der Polizei versuchen sie, die Situation am Drogen-Hotspot für alle Beteiligten zumindest etwas erträglicher zu machen. Die Rollenverteilung zwischen Polizei und Ordnungsamt ist klar umrissen. Während sich die Polizei um alles kümmert, was strafrechtlich relevant ist, versucht das Ordnungsamt deeskalierend einzuwirken.
Oder wie Riha und Mader ihre Aufgabe beschreiben: „Wir kümmern uns darum, dass hier keine Spritzen herumliegen, dass nicht mitten auf dem Platz konsumiert wird und dass sich Passanten hier sicherer fühlen können“, fasst Riha zusammen. Es ist eine Sisyphusarbeit: „Wir könnten das 24 Stunden am Stück machen“, ergänzt Mader mit Blick auf die verscheuchten Konsumenten.
Auf dem Vorplatz des Rautenstrauch-Joest-Museums hält Mader nach Spritzen Ausschau. „Wenn die hier herumliegen, ist das besonders gefährlich. Hier laufen viele Kinder herum.“ Um die Ecke, auf dem Parkplatz der St. Cäcilien-Kirche werden die beiden fündig. Der Boden ist mit Alufolie, Fäkalien und Spritzen übersät. Riha seufzt und zieht ihre Handschuhe an, um die Spritzen aufzusammeln. Fünf von ihnen wird sie im Laufe des Nachmittags finden. „Das sind die Schattenseiten einer Großstadt wie Köln“, stellt Mader fest. „Das wollen viele nicht sehen, aber das ist die Realität.“
Stimmung seit Corona aggressiver
Wichtig im Umgang mit der Szene sei das richtige Fingerspitzengefühl: „Uns und besonders der Gesellschaft muss klar sein: Das sind suchtkranke Menschen.“ Je nachdem, ob jemand gerade seine Dosis genommen hat oder auf Entzug ist, sei eine andere Ansprache erforderlich. Die hohe Kunst der Straßendiplomatie ist gefragt. „Und unabhängig davon ist wichtig, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen. Denn es sind immer noch Menschen, mit denen wir hier zu tun haben.“
Doch seit Corona hat sich etwas verändert, spürt Riha: „Die Stimmung in der Gesellschaft ist rauer geworden.“ Von Beschimpfungen bis hin zu körperlicher Gewalt: „Die Angriffe auf Mitarbeiter des Ordnungsamtes haben definitiv zugenommen“, sagt sie. Seit der Pandemie tragen sie größere Pfefferspray-Dosen, stich- und schusssichere Westen gehören schon länger zur Standard-Ausrüstung, demnächst sollen Bodycams dazukommen.
Doch auch das Image des Ordnungsdienstes hat gelitten, immer wieder war das Amt zuletzt negativ in den Schlagzeilen. Darauf angesprochen atmen Mader und Riha tief durch, bevor sie antworten: „Natalie und ich kriegen überwiegend positives Feedback. Im Endeffekt sind wir aber nur diejenigen, die die Regeln durchsetzen müssen, nicht die, die sie aufstellen, das macht ja der Stadtrat“, sagt Mader. „Privat finden wir als Ordnungskräfte vielleicht auch nicht jede Maßnahme gut.“
Riha fügt hinzu: „Aber wir leben hier eng beieinander in einer Großstadt. Da muss man aufeinander Rücksicht nehmen. Wenn wir bei der Studentenparty um 3 Uhr nachts wegen zu lauter Musik klopfen, dann nicht, weil wir den jungen Leuten das Feiern nicht gönnen, sondern weil vielleicht eine Etage tiefer eine Mutter mit einem kleinen Kind wohnt, die am nächsten Tag zur Arbeit muss.“ Nicht als Sparverderber, sondern als Konfliktlöser verstehen sie sich. Auch hier: ein diplomatischer Balanceakt.
Festnahme von alten Bekannten
Mit der Szene am Neumarkt gelingt diese Gratwanderung in vielen Fällen leichter als anderswo: „Die suchtkranken Menschen gehen mit uns oft respektvoller um als Bürgerinnen und Bürger, die ihr Auto falsch geparkt haben oder in ihrem Zuhause so laut feiern, dass die Nachbarn das Ordnungsamt rufen“, sagt Riha auf dem Rückweg durch die Unterführung.
Zurück an der Treppe zum Neumarkt treffen die beiden auf alte Bekannte. Die Gruppe junger Männer von vor zwei Stunden sitzt wieder auf dem Treppenabsatz. Bereit für die nächste Dosis. Geduldig bittet Riha sie noch einmal, die Treppe zu räumen.
Oben treffen zeitgleich zwei Polizisten ein. Über die Videoüberwachung haben sie offenbar einen der Männer erkannt. Er fuhr mit einem hochwertigen Fahrrad über den Platz. Ob es gestohlen ist, muss noch geklärt werden. Fest steht: Der Mann wird per Haftbefehl gesucht. Die Polizisten nehmen ihn fest, während Riha und Mader den Bereich absichern und versuchen, den Freund des Festgenommenen zu beruhigen. Er erhält einen Platzverweis.
„Solange es Drogen und Verzweiflung gibt, wird es Hotspots wie diesen geben“, meint Riha. Eine Viertelstunde später taucht der Freund des Verhafteten wieder auf. „Liebelein, du hast doch einen Platzverweis“, ruft Riha ihm zu. Er habe sein Handy verloren, sagt der Mann verzweifelt. Doch auch Riha und Mader können dem Mann nicht helfen, das Gerät wiederzufinden und bitten ihn ein letztes Mal, den Neumarkt zu verlassen. Der Mann nickt traurig und macht sich auf den Weg. „Aber wo soll ich denn hin?“, fragt er noch, mehr zu sich selbst. Doch auch die Beamten hätten ihm wohl keine Antwort geben können.