- „Hier haben sich schlimmste Szenen abgespielt“, berichtet eine Mutter.
- Familien in typischen Stadtwohnungen ohne Garten leiden besonders unter der Quarantäne.
- Das Gesundheitsamt behandelt Kinder mit übertriebener Härte, findet eine Betroffene.
Köln – Die Schüler sind zurück im Klassenzimmer, die Kleinen dürfen in die Kita. Und auch auf den Spielplätzen herrscht längst wieder Hochbetrieb. Nach den harten Zeiten des Lockdowns kehrt ein Stück Normalität zurück in die Familien.
Doch nicht für alle. Denn wer in Kita oder Schule direkten Kontakt mit einem Corona-Infizierten hatte, den trifft es sogar noch schlimmer als vor den Sommerferien: keine Schule, keine Kita, kein Spielplatz. Aber die betroffenen Kinder dürfen auch zwei Wochen lang die Wohnung nicht verlassen. Mindestens. Und ihre Eltern reiben sich – wieder einmal – zwischen Job und Kinderbetreuung auf. Weil der Jahresurlaub meist schon während der Schul- und Kitaschließungen draufgegangen ist.
Kein Wunder also, dass viele Eltern gerade Angst haben. Vor dem Virus – klar. Aber auch vor der Aussicht, ihr Kind zwei Wochen in die Wohnung sperren zu müssen. Vor allem, wenn sie in einer typischen Stadtwohnung leben und keinen Garten zum Austoben haben.
„Es waren schreckliche Wochen“, erzählt Sandra Wiese (Name von der Redaktion geändert). „Mein Kind ist ein Einzelkind, wir haben keinen Balkon.“ Ihr Sohn hat gerade die zwei Wochen Quarantäne zu Hause überstanden. An seiner Grundschule in der Südstadt hatte sich ein Kind infiziert.
„Selbst in der JVA habe ich eine Stunde Hofgang!“
„Hier haben sich schlimmste Szenen abgespielt“, berichtet die Mutter. Ihr Zehnjähriger flitzt am liebsten mit dem Fahrrad herum, die ganze Familie fährt Kanu. „Alleine, dass die Kinder sich so wenig bewegen können, dass sie keine sozialen Kontakte haben, das sie nicht am öffentlichen Leben teilnehmen können – alle Grundrechte sind vollkommen eingeschränkt. Selbst in der JVA habe ich eine Stunde Hofgang am Tag!“
Wie sie sich die Zeit vertrieben haben? Mit Federball oder Fußball – in der Wohnung. Mit Kochen und Backen und zwischendurch für die Schule lernen. „Natürlich hat mein Sohn auch Tablet gespielt – aber selbst das ist nach einer Stunde öde“.
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Genauso ungerecht wie unverständlich finden es viele Eltern, dass für Reiserückkehrer aus Risikogebieten andere Regeln gelten: Denn die müssen nur in Quarantäne, bis sie einen negativen Test vorweisen können. Sogar der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef-Laumann (CDU) hatte den harten Kurs der Kölner Behörde bereits kritisiert und sich dafür eingesetzt, dass die Quarantäne durch negative Tests zumindest verkürzt werden kann. Und auch der Virologe Christian Drosten hatte Anfang des Monats eine kürzere Quarantäne-Zeit ins Spiel gebracht.
Warum also ist man im Kölner Gesundheitsamt so strikt, wenn es um die Quarantäne von Kindern geht? Zwischen Kindern und Erwachsenen mache man keinen Unterschied, heißt es auf Anfrage. Und warum können sich Reiserückkehrer aus Risikogebieten aus der Quarantäne testen lassen – alle anderen direkten Kontaktpersonen aber nicht? Kommt jemand aus einem Risikogebiet zurück, wisse man ja gar nicht genau, ob es überhaupt Kontakt zu einem Infizierten gab, erklärt das Gesundheitsamt. Insgesamt folge es bei der Quarantäne den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts: „Sollte sich die Empfehlungs-/Verordnungslage auf Bundes-/Landesebene ändern, so wird dann auch umgehend die Übertragung/Anpassung auf die Stadt Köln geprüft“, heißt es. Ob und wann das passieren wird, ist allerdings unklar.
„Übertriebene Härte vom Gesundheitsamt“
„Das Gesundheitsamt behandelt die Familien mit einer übertriebenen Härte“, findet Kira Wilke. Ihre Familie darf sogar dreieinhalb Wochen nicht raus aus der Wohnung. Eine der Zwillingstöchter (3) hatte sich mit Corona infiziert. Ihre Schwester, ihr siebenjähriger Bruder und die Eltern müssen deswegen sogar länger in Quarantäne bleiben. Der Grund: Sie hätten sich auch später noch bei dem Mädchen anstecken können.
Zumindest theoretisch. Denn nachdem eines ihrer Kinder positiv getestet war, wollte der Rest der Familie auch Gewissheit haben und ließ sich testen. Auch um Mitschülern und Kollegen die Sorge zu nehmen – und sich selbst natürlich.
Corona-Fälle an 36 Schulen und vier Kitas
Sogenannte Indexfälle gab es nach Angaben der Stadt am Mittwoch an 36 Kölner Schulen. Der Begriff bezeichnet Personen, deren Infektion als erste eines Ausbruchs entdeckt wird. Betroffen sind 34 Schülerinnen und Schüler sowie neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
In vier Kitas waren vier Mitarbeitende infiziert. Insgesamt sind in Schulen und Kitas 710 Kontaktpersonen in Quarantäne. Das Ordnungsamt geht Hinweisen des Gesundheitsamtes auf Verstöße gegen die Quarantänepflicht nach und kontrolliert stichprobenartig. (red)
Das Gesundheitsamt hielt die Tests aber gar nicht für nötig, erzählt Kira Wilke. Und da sie ja auch nicht das Haus verlassen dürfen, spielte ein netter Nachbar Kurier für die Test-Röhrchen vom Arzt. „Wir haben uns Youtube-Videos angeschaut, wie man das macht“.
Alle waren negativ und Symptome hatte auch keiner – der einzige Lichtblick für die Familie. Auch die infizierte Dreijährige war die ganze Zeit über fit. Ein zweiter Test, den die Familie für sie nach ein paar Tagen über Amazon organisierte, fiel dann auch negativ aus. Das Gesundheitsamt ließ sich davon aber nicht beeindrucken.
Keine Ausnahme-Regelungen für Kinder
„Ganz schön genervt“ ist Kira Wilke deswegen: „Warum kann man nicht wenigstens bei Familien ein bisschen flexibler sein?“ Es sei ja klar, dass sie nicht einkaufen gehen, nicht zur Arbeit, in die Schule oder Kita – „Aber können wir nicht wenigstens einmal am Tag kurz in den Park? Oder alleine in den Wald? Die Kinder brauchen doch Auslauf!“ Ihr würde das in der schwierigen Zeit sehr helfen. „Als klar war, wir dürfen auch mit hundert negativen Tests nicht vorher raus, da dachte ich wirklich, ich halte das nicht aus, ich drehe durch“.
Der Siebenjährige vermisst seine Freunde und das Handball-Training. Die Zwillinge würden gerne endlich wieder auf den Spielplatz, den sie aus dem Fenster sehen. „Und ich freue mich darauf, einfach mal wieder vor die Tür treten können und frei zu sein“, sagt Kira Wilke.
Dauerlauf um den Küchentresen
Vor ein paar Tagen meldete sich dann noch mal das Gesundheitsamt: Das positiv getestete Mädchen dürfe jetzt wieder das Haus verlassen. Ihre Mutter empfand das eher als zynisch: „Solche Anrufe bohren doch nur weiter in der Wunde. Als ob unsere Dreijährige jetzt alleine spazieren geht, während wir hier noch in der Bude zusammengepfercht sind“.
Aber irgendwie muss es ja weiter gehen: Die Eltern machen also Hausaufgaben mit dem Großen, feiern Karnevalspartys mit Kamellewerfen im September, malen, basteln, kleben Glitzer-Tatoos auf. Das Essen liefert der Supermarkt. „Und immer wenn es ganz schlimm ist, machen wir eine Minute Dauerlauf um den Küchentresen“.