Bei einer Podiumsdiskussion ging es darum, wie die gewachsene Vielfalt und Dichte des Kölner Eigelstein-Viertels bewahrt werden kann.
„Unkontrollierte Abwärtsbewegung“Verkehrsberuhigung am Eigelstein in Köln bietet viel Zündstoff
An der Frage, wie sich das Eigelstein-Viertel entwickeln soll, scheiden sich die Geister. Das zeigte sich jetzt in aller Deutlichkeit bei einer Podiumsdiskussion in St. Ursula. Am Beispiel des Veedels, das von türkischen Restaurants und Geschäften geprägt ist, ging es darum, wie die gewachsene Vielfalt und Dichte eines urbanen Quartiers bewahrt werden kann. Die Politikerin und Psychologin Lale Akgün brachte den Grundkonflikt so auf den Punkt: „Die Alteingesessenen entsprechen nicht den Vorstellungen der neu Zugezogenen“.
Letztere erwarteten ein poliertes „internationales Flair“ und vergäßen, dass zur Urbanität die Akzeptanz von Problemen gehöre. Eingeladen hatten die Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) an der Uni Köln, die Pfarrgemeinde St. Agnes, der Kölner Presseclub und die Melanchthon-Akademie. Ein Vertreter oder eine Vertreterin des Bürgervereins Eigelstein fehlte auf dem Podium; der Verein habe der Einladung nicht folgen wollen, hieß es. Stattdessen saßen einige Mitglieder im Publikum; aus ihren Reihen ließ sich vor allem eine Anwohnerin mit lauten Einwürfen vernehmen, etwa mit diesen: Auf der Straße würden Kinder von Zuhältern angesprochen, und man werde „von Obdachlosen angespuckt“.
Klage über steigende Zahl der Grillrestaurants mit giftigen Abgasen
In der aufgeheizten Stimmung musste Moderatorin Kadriye Acar zusehen, die Diskussion in geordneten Bahnen zu halten. Im April 2021 hatte der Bürgerverein an Bezirksbürgermeister Andreas Hupke einen von 235 Unterzeichnern unterstützten „Hilferuf“ gerichtet, in dem von einer „unkontrollierten Abwärtsentwicklung besonders der Weidengasse“ die Rede war.
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Die Verfasser beklagten sich über die „stetig steigende Zahl der Grillrestaurants mit extrem giftigen Abgasen“ und auch darüber, die Kunden der Imbissbetriebe würden im gesamten Viertel Abfall hinterlassen, die Vielfalt der Geschäfte schwinde, und sowohl das Tempolimit als auch die Parkregeln würden missachtet.
Seitdem hat sich einiges getan. Ende 2021 setzte die Verwaltung den Beschluss der Bezirksvertretung Innenstadt endgültig um, die Autos weitestgehend von der Straße zwischen Eigelsteintorburg und Bahnüberführung zu verbannen. Die Verkehrsberuhigung passt bei weitem nicht jedem; Geschäftsinhaber klagen über Umsatzeinbußen.
Zudem brachte die Stadt auf der Grundlage eines Geruchsgutachtens die Betreiber von Holzkohle-Grillrestaurants dazu, Filteranlagen einzubauen. Die hohen Kosten müssen sie selber tragen. 1989 war das Viertel zum Sanierungsgebiet erklärt worden; nachdem seine Sanierung 2012 abgeschlossen war, zog es zunehmend Investoren und eine bessergestellte Wohnklientel an.
Köln: Manche träumen von „eigener kleiner Stadt“ am Eigelstein
Trotz der Nord-Süd-Fahrt habe der Eigelstein „fantastische Chancen“, sagte Wolf-Dietrich Bukow, emeritierter Professor für Kultur- und Erziehungssoziologie und Gründer des FiSt. Das Ideal eines urbane Quartiers sei eine „eigene kleine Stadt“ der kurzen Wege, die Arbeiten, Wohnen und Versorgung zugleich ermögliche. Soziokulturelle Diversität gehöre dazu, ebenso die Beteiligung der gesamten Bevölkerung, die Bukow beim Bürgerverein vermisst. Tagrid Yousef, Sozialdezernentin der Stadt Dinslaken, die seit Jahren in der Quartiersentwicklung arbeitet, sagte, in vielen Kommunen mangele es daran, mit den Menschen, die im jeweiligen Quartier leben, „auf Augenhöhe zu sprechen“.
Für sie blieb mit Blick auf den Eigelstein offen: „Was ist das Ziel?“ Kemal Sahin wohnt seit seiner Kindheit in der Straße Im Stavenhof. Mitte der 1990er Jahre habe eine Abwanderungsbewegung eingesetzt, sagte der Eisenbahner. Er gehört zu denen, die sich bei der Entwicklung des Quartiers nicht mitgenommen fühlen. Zum „Hilferuf“ merkte er an, der Bürgerverein habe „die große Welle“ und Stimmung gegen die Betreiber der Grilllokale gemacht. Peter Otten, Pastoralreferent an St. Agnes, steuerte unter anderem den Aspekt bei, er habe in der Seelsorge häufig mit Menschen aus dem Eigelstein zu tun, die vereinsamen.
Köln solle sich ein Beispiel an Wien nehmen
Nach dem Auslaufen des Mietpreisbindung, die wegen der Deklarierung zum Sanierungsgebiet galt, herrsche im Eigelstein die „Brutalität der Marktwirtschaft“, sagte Hupke zur Gentrifizierung. Köln solle sich ein Beispiel an Wien nehmen, das dafür sorge, dass ärmere Menschen in der Innenstadt wohnen bleiben können. Es gelte, den „politischen Willen“ dazu zu mobilisieren.
Zur Bürgerbeteiligung sagte Hupke: „In den Verein kann jeder reingehen. Alle Veranstaltungen waren öffentlich.“ Die Grillabgase seien tatsächlich ein Problem. Schon vor einigen Jahren habe sich eine Mutter aus dem Viertel, die wegen der Emissionen Angst um ihr Kind gehabt habe, mit der Bitte um Hilfe an ihn gewandt. Die Installierung der Filteranlagen sei bundesweit ein „Leuchtturmprojekt“.