Im Rahmen eines Forschungsprojektes haben Drogenabhängige ihr Leben am Neumarkt dokumentiert. Sie zeigen, wie es ist, ganz unten angekommen zu sein.
Angstraum auch für KonsumentenWie Drogenabhängige die Szene am Kölner Neumarkt erleben
Das Foto wirkt wie eines der unscheinbarsten des Projektes. Für die Drogenkonsumentin, die es aufgenommen hat, kommt darauf allerdings symbolisch das ganze Elend der Situation am Neumarkt zum Ausdruck. Zu sehen ist eine metallene Rattenfalle, aufgestellt an der Fassade eines Gebäudes am Josef-Haubrich-Hof. „Es ist sehr, sehr schwer wirklich hier rauszukommen. Und dadurch entsteht natürlich auch unter den Abhängigen viel Wut allgemein mit der Situation“, sagte sie dem Forscherteam um Daniel Deimel in einem Interview zu ihrem Foto. „Die Frau hat sich mit Ratten identifiziert, für die diese Falle eigentlich vorhergesehen war. Und wenn man das tut, ist dies ein deutliches Zeichen, was Selbststigmatisierungen verursacht“, sagt Deimel.
Seit Jahren wird über die Drogenszene am Neumarkt diskutiert. Und trotz Versuchen von Politik, Polizei und Ordnungsamt, die Situation zu verbessern, scheint sie sich in den vergangenen Jahren nur noch weiter zu verschärfen. Anwohner und Geschäftsleute nehmen den Ort schon lange als Angstraum wahr. In einem Gemeinschaftsprojekt hat Deimel, Professor für Gesundheitsförderung und Prävention an der Technischen Hochschule Nürnberg gemeinsam mit den Forschern Tim Lukas und Bo Tackenberg von der Universität Wuppertal den Perspektivwechsel gewagt.
Auch für Drogenabhängige ist der Neumarkt ein Angstraum
Die Forscher gaben in ihrem Projekt zehn Konsumenten am Neumarkt einen Tag lang Kameras mit, um ihren Alltag zu dokumentieren. Dadurch und mithilfe von Interviews und Sozialraumbegehungen der Forscher ist ein Panorama des Lebens von Drogenabhängigen am Neumarkt entstanden. Am Dienstag stellten die Forscher das Projekt mit dem Titel „Drogenszene als Risikoumfeld: Kartierung und Autofotographie der Angsträume von Drogenkonsumenten in Köln“ auf dem Suchtkongress in Köln vor. Auch eine Ausstellung ist geplant, wann genau sie startet, steht allerdings noch nicht fest.
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„Die Debatten um offene Drogenszenen sind vor allem von Anwohnern und Geschäftsleuten geprägt. Und teilweise auch von einer stigmatisierenden Berichterstattung über Suchtkranke. Mit unserem Projekt wollten wir den Perspektiven von Betroffenen Raum geben“, sagt Deimel. Denn auch für diese sei der Neumarkt oft ein Angstraum – und das Leben dort mit Gefahr verbunden: „Ob durch Gewalterfahrungen, der Angst, beklaut zu werden, Drogenüberdosierungen im öffentlichen Raum oder vor Strafverfolgung: Unsere Befragungen haben gezeigt, dass auch Suchtkranke sich nicht gerne auf dem Neumarkt aufhalten.“ Zwar werden dort auch soziale Beziehungen zwischen Konsumenten gepflegt. „Der Ort wird aber vor allem als belastend und krankmachend wahrgenommen.“
Wegen seiner zentralen Lage und der guten Erreichbarkeit ist der Neumark schon seit den 90er-Jahren Anlaufstelle für Dealer und Konsumenten. „In den letzten Jahren ist die Verelendung durch Obdachlosigkeit und die Zunahme von Crack-Konsum aber deutlich gestiegen.“
Das sieht man auch auf den Fotos der Konsumenten. Neben verwinkelten Ecken rund um den Neumarkt, in denen die Drogen konsumiert werden und sich die Hinterlassenschaften des Konsums sammeln, zeigen die Fotos vor allem Bettler, zurückgelassene Schlafplätze von Obdachlosen – oder eben Rattenfallen. Auf einer Karte haben Deimel und Co. außerdem versucht, das Leben der Konsumenten am Neumarkt auf einer Art Heatmap darzustellen. Sie zeigt auf, wo auf dem Neumarkt gedealt, wo konsumiert wird und wo Drogenkranke Schlafplätze suchen.
Um die Situation am Neumarkt sowohl für Drogenabhängige als auch für Anwohner zu verbessern, brauche es auf vielen Ebenen neue Ansätze, so Deimel. Positiv reagierten die Befragten etwa auf den Drogenkonsumraum am Neumarkt. „Sie sind froh, dass es diesen Raum gibt, sodass sie nicht öffentlich konsumieren müssen. Aber die Einrichtungen, die wir haben, reichen nicht aus.“ Die rechtlichen Vorgaben, wie diese Räume genutzt werden dürfen, sind zu eng gefasst, so Deimel.
Hilfreich sei auch ein Blick in andere Städte, etwa nach Zürich. „Dort gab es in den 90er-Jahren die größte Drogenszene Europas.“ Das Hilfssystem sei innerhalb kürzester Zeit dezentral ausgebaut worden, der Mikrohandel zwischen Konsumenten in Konsumräumen wird nun geduldet, genauso wie der Konsum in Notschlafstellen, schildert Deimel: „Dort müssen die Menschen zum Konsumieren nicht mehr in den öffentlichen Raum.“ Profitiert hätten davon alle Beteiligten.