Deutz – Köln, der Dom, der Hauptbahnhof und die Zufahrt über die Hohenzollernbrücke. Wie so oft, standen Wunsch und Wille eines mächtigen Mannes am Anfang dieser perfekten Rauminszenierung: Preußens König Friedrich Wilhelm IV. (1795 bis 1861) wollte alte und neue Technik, Mittelalter und Industriezeit, Tradition und Fortschritt in einen augenfälligen Zusammenhang bringen. Eine wunderbare Idee. Theoretisch.
In der Praxis war sie höchst fatal, weil der schwefelhaltige Rauch der Dampflokomotiven dem Dom schwer zusetzte. An dieser Stelle muss ich mich immer beherrschen, weil ich sonst kein Ende finde. Und mein Thema heute ist ja der Deutzer Bahnhof.
Ursprünglich näher am Rheinufer gelegen, wurde er 1912/1913 am jetzigen Standort neu gebaut in einem für die Zeit typischen Mix gemäßigt barocker und klassizistischer Elemente. Der große ovale Mittelbau mit Kuppel, zwei Seitenflügeln und reicher Ornamentik ist dem Schlossbau abgeguckt und wirkt wie ein Festsaal. Achten Sie besonders auf die üppigen Pflanzengirlanden an den Kapitellen. Dieses Motiv hat einer Kunstrichtung der 1770er/1780er Jahre ihren Namen gegeben: Zopfstil.
Ottoplatz hat großstädtischen Charakter
Warum Bahnhöfe unbedingt wie Paläste aussehen sollten, das kann im Grunde nur der Historismus beantworten. Aber sei’s drum, es ist ein schönes Ensemble, das den Krieg mit nur kleinen Schäden überdauert hat und inzwischen sorgfältig wieder hergerichtet ist. Trotz aller Meckerei gefällt mir auch die Anlage davor. Der Ottoplatz hat großstädtischen Charakter, die Bäume werden von selber größer, und das Ganze ist ja nicht zum Chillen gedacht, sondern für den Transit oder das Entree zur City. Seit die ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse von Köln über den Frankfurter Flughafen und weiter Richtung Süden fertiggestellt ist und die Fahrzeiten möglichst kurz sein sollen, meidet die Bahn tunlichst das Nadelöhr Hohenzollernbrücke/Hauptbahnhof und nutzt den Deutzer Bahnhof als Durchgangshalt. So weit, so gut.
Nur: Wenn Sie in Deutz ankommen und vom Fernverkehr in die Regionalzüge oder die S-Bahn umsteigen wollen, um über den Rhein in die Stadt zu gelangen, haben Sie ein Problem: Es gibt keine Rolltreppe, es gibt keinen Aufzug, noch nicht mal Förderbänder oder Schrägen, über die Sie Ihren Koffer ziehen könnten. Nein, von Gleis 11 aus müssen Sie 39 Stufen – spätestens seit Alfred Hitchcock eine kriminelle Zahl – überwinden, von Gleis 12 mit der Unterführung sind es sogar 96 Stufen, so viel wie in einem vier- bis fünfstöckigen Haus!
Einmal im Monat führt Dombaumeisterin a. D. Professor Barbara Schock-Werner die Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zusammen mit Chefkorrespondent Joachim Frank zu markanten Punkten Kölns: zu Schandflecken wie auch zu verborgenen Schätzen.
Die Serie „Auf den Punkt“ ist mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis 2014 der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet worden und erscheint am 12. März auch als Buch.
In jeder Folge geht es darum, Dinge wahrzunehmen, die man hundertmal gesehen, aber selten beachtet hat. Schock-Werner findet: „Das ist wie bei meinen Führungen im Dom, wenn die Leute hinterher sagen: Jetzt waren wir so oft hier, aber was Sie uns da gezeigt haben, das haben wir noch nie bemerkt.“
Das geht doch nicht, so eine Zumutung für alle Reisenden, besonders die älteren oder gebrechlichen. Und was macht eigentlich ein Passagier im Rollstuhl? Manchmal sehe ich Schaffner, wie sie mit so einer kleinen Hebebühne Rollstuhlfahrern aus dem Zug helfen. Aber wenn sie dann auf dem Bahnsteig stehen, sind sie total verlassen. Ein Unding!
Ganz clevere Reisende könnten den Weg außen herum um den Bahnhof nehmen, den Eingang an der Rückseite nutzen und über die lange Rampe dort auf den S-Bahnsteig gelangen. Abenteuer Deutz. Absurd, oder? Etwas karikierend gesagt: In derselben Zeit kommen Sie von Deutz mit dem ICE ja fast zum Frankfurter Flughafen. Außerdem steht in den Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn, meines Lieblingskonzerns, nichts von einer erfolgreich bestandenen Pfadfinderprüfung.
Ich weiß gar nicht, warum. Aber ständig erregt die Bahn mein Missfallen. Ich hatte ja in meiner Kolumne vor einiger Zeit die Verwahrlosung der Südbrücke beklagt. Neulich war ich mal wieder da. Und es ist noch schlimmer als damals. Als ob sich die Bahn sagte: „Ist uns doch egal, was die alte Nervensäge da wieder zu kamellen hat! Jetzt erst recht!“ In diesem Sinn frage ich mich, ob es besser wäre, einfach still zu sein und am Deutzer Bahnhof weiter den geduldigen Packesel zu spielen. Aber Sie wissen ja inzwischen: Den Mund halten, das schaffe ich einfach nicht.
Aufgezeichnet von Joachim Frank