30 Jahre nach der legendären Kundgebung auf dem Chlodwigplatz ist der Kampf gegen Rassismus und Neonazis noch nicht vorbei. In der Lanxess-Arena fand er am Donnerstagabend seine Fortsetzung.
„Wir kriegen dich“Kölner Künstler erklärt bei „Arsch huh“, warum er bedroht wird
Es war der Moment, in dem den Menschen in der ausverkauften Lanxess-Arena klar wurde, dass auch 30 Jahre nach dem legendären Arsch-huh-Konzert auf dem Chlodwigplatz der Kampf gegen Rassismus und Neonazis nicht vorbei ist. Als Juri Rother mit seiner Band Planschemalöör die Bühne betrat, wurden sie begleitet von allen teilnehmenden Künstlern.
Bastian Campmann und Peter Brings lasen einen Zettel vor, den Unbekannte an Rothers Haustür geklebt hatten. Darin wird der Sänger als Zigeuner beschimpft und bedroht: „Wir kriegen dich!“ Der Hintergrund: Planschemalöör hatten darauf verzichtet, bei einer Veranstaltung aufzutreten, bei der auch die Ihrefelder Zigeuner eingeladen waren.
30 Jahre „Arsch huh“ in der Lanxess-Arena Köln
Später hatte man mit sich mit den Karnevalisten, die ihren Namen ändern wollen, ausgetauscht. „Da ist alles gut“, sagt Rother. Er freut sich über den Diskurs, den die Band ausgelöst hat. „Wir stehen Juri zur Seite“, sagte Brings stellvertretend für alle Künstler auf der Bühne. Gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ legte der Sänger nach: „Und wenn jetzt irgendwelche Literaten meinen, Planschemalöör nicht mehr buchen zu können, kriegen sie Brings auch nicht mehr.“ Klare Kante gegen Rechts.
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Es war schnell klar, dass musikalische und Redebeiträge klare Kante bezogen gegen Ausländerfeindlichkeit und rechtes Gedankengut. „Heimat“ - dieser von Rechten gern missbrauchte Begriff steht für alle Beteiligten für ein buntes, multikulturelles, vielfältiges und diverses Köln. Gerade in Anbetracht der Geschehnisse im Iran und der Ukraine sei es ein Geschenk, „eine Heimat zu haben, in der man leben kann, wie man will und in der man lieben kann, wen man will“, sagte Carolin Kebekus.
Der stimmgewaltige Auftritt ihrer Beer Bitches mit „Einer för all“ war einer der emotionalen Höhepunkte des Abends. Gefolgt von Anke Schweitzer und Rolf Lammers und dem politisch-emotionalen „Treibgut“, der das Drama der Flüchtlinge im Mittelmeer anschaulich macht.
Bei den beteiligten Bands und Musikerinnen und Musikern hat ein deutlicher Generationenwechsel stattgefunden, der sich hören lassen konnte. „Mol die Veedel bunt“ singen Miljö, und Müller & Band wollen „Zesammestonn“, Cool Muul feat. Microphone Mafia feiern die Stärke der „Edelweißpiraten“. Die Beteiligten der ersten Stunde, Wolfgang Niedeckens BAP, wurden live aus Leipzig zugeschaltet. Dort hatte die Band ein Konzert - und forderte unter großem Applaus die Menschen trotzdem auf, den „Arsch huh“ zu kriegen.
Zwischen den Musikstücken gab es Wortbeiträge vom Alternativen Ehrenbürger, Pfarrer Franz Meurer, Autor Frank Schätzing und Joanna Peprah von der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Sie forderte das Publikum eindrücklich dazu auf, die eigenen Privilegien zu überdenken und sie zu nutzen, um sich gegen Rassismus einzusetzen.
Stehender Beifall für Zeitzeuge Ludwig Sebus
Als Zeitzeuge erzählte Ludwig Sebus aus seiner Kindheit und Jugend, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Für seine Sätze: „Es gibt nichts Wichtigeres als die Freiheit, es gibt nichts Schöneres, als in einer Demokratie zu leben!“, erhielt der 97-jährige Sänger stehende Ovationen.
Und es ging ähnlich emotional weiter. Der in Köln lebende Schriftsteller Navid Kermani und die aus dem Iran stammende Comedienne Negah Amiri traten gemeinsam auf und lenkten den Fokus auf den Aufstand im Iran. „Jetzt, wo wir hier versammelt sind, schießen wieder Sicherheitskräfte auf Menschen, die für ihre elementaren Rechte eintreten“, beschrieb Kermani die Lage in seinem Heimatland. „Wir müssen die Aufmerksamkeit hochhalten.“
Bereits jetzt seien 15.000 Menschen im Iran verhaftetet worden, „das sind so viele wie jetzt hier in der Arena.“ Auch die ersten sieben Hinrichtungen seien vollzogen worden. Das hier in der Halle aufgenommene Video soll um die Welt gehen: Die in London lebende Popsängerin Sogand sang die Hymne der iranischen Protestbewegung, hunderte Exil-Iraner die ihre Landesflaggen hochhielten, stimmten mit ein.
„Mein Leid ist so groß, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Über meine Schmerzen kann ich nichts erzählen, es tut zu weh“, sagte die Sängerin. Viele Menschen in der Halle vergossen Tränen.
Nachdenkliche kölsche Tön steuerten junge wie altgediente Künstler dazu: Bläck Fööss, Höhner, Paveier, Kasalla, Cat Ballou oder auch „de Plaat“ - Jürgen Zeltinger. Dem mehr als vierstündigen Programm folgten mit zunehmender Dauer jedoch nicht mehr alle Zuschauer. Die Reihen lichteten sich - der 11.11. steht vor der Tür.
Der Auftakt zum Finale war ein Auftritt des türkischen Musikers Nedim Hazar, dessen Angst vor Übergriffen der Auslöser für das Konzert 1992 war. „Das ist nicht das Deutschland, das ich kenne, habe ich mir damals gesagt“, erinnerte sich Hazar. Er sang mit seinem Sohn, dem Rapper Eko Fresh, den Song „Quotentürke“. Es folgten Kasalla („Jröne Papajeie“) und Querbeat („Allein“), bevor alle Protagonisten kurz vor Mitternacht gemeinsam „Arsch huh, Zäng useenander – jetzt, nit nächste Woch“ sangen.