Köln-Deutz – Nach statistischen Erhebungen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales waren im Jahr 2019 46.610 Menschen in Nordrhein-Westfalen von Wohnungslosigkeit betroffen, davon 6198 Personen in Köln. Dabei sei laut evangelischer Kirche zwischen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit zu trennen. Letzteres bezeichne Menschen, die keinen festen Wohnsitz und keine Unterkunft haben, auch nicht bei Freunden, Bekannten oder in anderen Häusern.
Unabhängig von diesen Kategorisierungen engagiert sich das Magazin „Draussenseiter“ für alle Menschen, die ohne feste Adresse leben. Darüber hinaus greift die älteste deutsche Straßenzeitung seit ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1992 vielfältige Themen auf, die von Persönlichkeiten am Rande der Gesellschaft berichten. Seit Anbeginn bringen sich in die monatliche Produktion sowohl selbst Betroffene als auch außenstehende ehrenamtliche Kräfte ein.
Draussenseiter– Geschichte und Termine
Der Draussenseiter erschien 1992 zunächst als „Bank Extra“. Träger des Magazins ist der gemeinnützige Verein Oase – Benedikt Labre, der sich für Wohnungslose und Menschen in prekären Lebenslagen engagiert. Jährlich erscheinen elf Ausgaben, die im öffentlichen Raum und wenigen Geschäften (unter anderem Buchhandlung Neusser Straße, Nippes) verkauft werden. Kontakt: Oase – Benedikt Labre e.V. an der Alfred-Schütte-Allee 4 , Telefonnummer: 0221-9893530
Termine: Feier und Diskussion zu 30 Jahre Draussenseiter, Mittwoch, 15. Juni, 19.30 Uhr, M22, Mathildenstraße 22, mit Christina Bacher (Moderation), Blues-Ikone Richard Bargel, Schauspielerin Isabella Archan und Comedian Heinz Gröning, Eintritt frei
Neben Verkäuferporträts, die einen authentischen Einblick in das Leben von obdachlosen Menschen gewähren, informiert das professionell gestaltete Heft über den „Doppelten Stadtplan“, der die Schattenseiten Kölns abseits der Wohlstandsgesellschaft mit „Berberführungen“ von Obdachlosen beleuchtet.
Magazin muss um Domizil in der Alfred-Schütte-Allee bangen
Auf den Serviceseiten finden Leserinnen und Leser Kontaktmöglichkeiten, die Beratungen anbieten sowie auf Übernachtungsmöglichkeiten, Essens- oder Kleiderausgaben verweisen. Kulturelle Veranstaltungen, Buchtipps, Gastbeiträge wie Gedichte, Kurzgeschichten und Kommentare zu politischen oder wirtschaftlichen Themen ergänzen die Ausgaben. In diesem Sommer feiert das Medium sein 30-jähriges Bestehen, muss aber selbst um sein Domizil in der Alfred-Schütte-Allee bangen. Die Immobilie muss für die Erweiterung des Deutzer Hafens weichen. Bisher wurden noch keine neue Räume gefunden, in denen neben der Magazinerstellung die Beratungsangebote für Wohnungs- und Obdachlose sowie Frühstücksmöglichkeiten bestehen oder Kleidungsspenden erfolgen könnten.
Bereits seit 16 Jahren ist Christina Bacher als Chefredakteurin für die Inhalte des Mediums verantwortlich. Die Buch-Autorin und Journalistin erinnert sich gerne an ihren Einstand: „Ich habe mich damals den Leuten im offenen Treff vorgestellt, als jemand zu mir sagte, «Ich zeige dir meine einzige Adresse in Köln.» Ich wunderte mich, weil er ja obdachlos war. Dann brachte er mich zum Südfriedhof, wo es ein Gräberfeld für Obdachlose gibt. Er war sehr erleichtert und glücklich darüber, dass dies einmal sein Platz sein würde. Das habe ich nie vergessen.“
Kölner OB Reker ist Stammkundin
Rund 30 Verkäuferinnen und Verkäufer sowie 30 Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sorgen dafür, dass die Zeitung monatlich erscheint. Überwiegend erfolgt der Verkauf an festen Punkten in der Stadt. Henriette Reker etwa zählt zum Stammkundenkreis.
Als ältester Mitarbeiter trägt Alois Felix Bergmeister alias „Gigi“ seit 30 Jahren zum Erfolg der Zeitung bei. Der 85-jährige ehemalige Elektroinstallateur, Hotelfachangestellte und Koch schloss sich dem Gründungsteam an, nachdem sein letzter Arbeitgeber ihn nicht mehr weiterbeschäftigen konnte.
„Damals hatte ich die Schnauze von allem voll. Ich war durch die Arbeit gestresst und habe mich seitdem nicht mehr von dem Gedanken abbringen lassen, nur noch das zu tun, was mir gut tut“, berichtet der gebürtige Nord-Italiener. Diesen Gefühlszustand habe er mit dem Erwerb eines Wohnwagens erreicht. Die Verkaufstätigkeit für den Draussenseiter erfüllt den Senior. „Alles was ich jemals wollte, war frei zu sein. Das bin ich jetzt schon lange“, erzählt Gigi.
1,10 Euro pro Heft
Pro verkauftem Heft erhält er 1,10 Euro, die Hälfte des Verkaufspreises. Jeden Freitag bietet der Selbstversorger gegenüber der Bahnhaltestelle Maarweg seine Magazine an. Auch unschöne Situationen ließen sich dabei nicht vermeiden. So gab es früher Unmut über Gigis Standort vor der Sparkasse an der Aachener Straße. Man habe ihn dort nicht dulden wollen. Doch mit dem Verweis auf den städtischen Boden setzte sich der Verkäufer durch. „Da darf man sich nicht einschüchtern lassen. Ich will niemanden belästigen, aber ich habe meine Rechte“, sagt Bergmeister selbstbewusst.
Für die Zukunft erhofft sich Chefredakteurin Bacher eine feste Adresse für den Verein. „Wir brauchen für die Zeitung keine Spende sondern eine Redaktion, in der wir uns treffen und austauschen können.“