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ForschungsprojektWie riecht und schmeckt der Eigelstein?

Lesezeit 3 Minuten

Der Londoner Geruchsforscher Alex Rhys-Taylor und Kursteilnehmerin Angelina Göb schnuppern an einem Geschäft für Brautmoden und Abendgarderobe am Eigelstein.

Abrupt hält Alex Rhys-Taylor vor einer Kneipe und zieht die Gerüche der Umgebung ein: „Definitiv Urin. Und Bier“, riecht er. Aus einem asiatischen Supermarkt kommt ein Duft von Gewürzen und Pflaumen, vor einer Brauerei vermischt sich Bier mit Reinigungsprodukten, ein Bekleidungsgeschäft verströmt eine Mixtur aus Kleidung und Waschmitteln. Gerüche sind das Metier des 35-jährigen Briten. Er ist an diesem Samstag als Teilnehmer des „Sensory Cities Network“ im Auftrag der Wissenschaft am Eigelstein unterwegs. Köln ist nach London und vor Barcelona die zweite Station des Projekts.

An zwei Tagen haben Akademiker und Experten für Stadtplanung, Kultur und Architektur in Köln geforscht, wie die verschiedenen Sinne die tägliche Erfahrung des städtischen Lebens beeinflussen. Nicht nur Architektur und ihre Nutzung prägen das Gefühl für einen Ort, sondern seine Wahrnehmung mit allen Sinnen. Das müsse man in eine gute Stadtplanung integrieren, meinen die Forscher. Warum Städte unterschiedlich empfunden werden und wie das menschliche Zusammenleben mit Hilfe der Sinne gestaltet werden kann – diese und andere Fragen sollen durch die Forschungen beantwortet werden.

Viertel hinterm Hauptbahnhof

Alex Rhys-Taylor riecht und forscht seit acht Jahren. Er sagt, dass man am Geruch erkennen kann, ob ein Viertel gentrifiziert wurde. Ein aufgewerteter Stadtteil, in dem Reichere die alten Bewohner verdrängt haben, rieche anders. „Stigmatisierte Gerüche“ verschwänden nach und nach und würden durch positiv besetzte ausgetauscht: Parfüm statt Knob-lauchdunst, Blumenduft statt üblem Gestank.

Für den Feldeinsatz in Köln haben die rund 15 Teilnehmer das Viertel hinterm Hauptbahnhof ausgewählt. Unter ihnen ist auch die Historikerin Astrid Swenson: „Sinne sind sozial und selten neutral.“ Was der eine als positiv empfinde, könne bei einem anderen negative Gefühle hervorrufen. Swenson und ihre Gruppe ist an der visuellen Wahrnehmung interessiert. Beleuchtung, Straßenkunst, bestimmte Blickwinkel oder Ladenschilder – auf welche optischen Reize geachtet wird, liege immer an sozialen, kulturellen und persönlichen Hintergrund des Betrachters. So sieht jeder die Welt ein bisschen anders, sagt der Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, Mario Kramp, der mit unterwegs ist.

Auch der Tastsinn ist gefragt. Eine Gruppe versucht den Eigelstein regelrecht zu erfühlen. „Köln ist eine sinnliche Stadt“, sagt Monica Degen. Die Soziologin aus London mit Kölner Wurzeln hat die Augen verbunden und wird an der Hand durch die Straße geführt. Degen beschreibt, was sie an Füßen und Händen spürt. Solche sinnlichen Erfahrungen ließen sich auch in die Gestaltung von Neubauten, etwa Museen, integrieren.

Der deutsche Geograf Rainer Kazig und drei britischen Kolleginnen haben sich zum Entdecken des Geschmacks aufgemacht. Eine Schnapsflasche, plattgetretene Kaugummis, Zigarettenkippen – die Spuren von Geschmackserlebnissen liegen auf der Straße. „Wir suchen nach Spuren von dem, was hier gegessen und getrunken wird“, so Kazig. Wie die Gegend schmeckt, testen die Forscher in Imbissgeschäften und Bäckereien. Es gibt türkische Spezialitäten, Gebäck und Spießbraten.

Solche Erfahrungen kann man auch bewusst befördern, „ kreieren und designen“, wie es der italienische Architekt Stefano Faiella ausdrückt. Er ist beim Feldversuch für die Geräusche der Straße zuständig. Mit Diktiergeräten nimmt er den Klang des Eigelsteins auf. Ein vorbeifahrendes Auto, die Melodie einer Ziehharmonika, das Rascheln einer Zeitung.

Der Beobachter staunt über das Wirken der Wissenschaft. Welche Schlüsse man aus dem Feldversuch ziehen wird, könne man auf die Schnelle noch nicht sagen, so die Workshop-Teilnehmer. Als Ergebnis des auf zwei Jahre angelegten Projekts soll unter anderem ein digitaler Werkzeugkasten entstehen, mit dessen Hilfe man Städte und Straßen erfahrbar machen kann. Damit können die Kölner dann ihre Sinne beim Erforschen der Stadt selbstständig einsetzen – die Gerüche, Geräusche und Ge-schmäcker am Eigelstein sind nur der Anfang.