Seit 95 Jahren gibt es die Firma Bünnagel, seit 66 Jahren ist sie auf der Breite Straße zuhause.
Auch Stradivaris werden hier repariertKölner Geigenbauer ist für berühmte Musiker der Retter in der Not
Manchmal geht es hier zu wie in einer Notaufnahme. Da kam zum Beispiel eines Tages ein zitternder Musikstudent. Er war in einen Paternoster gestiegen und hatte vergessen, dass er seinen großen Cello-Koffer auf dem Rücken hatte. Der ragte aus der offenen Aufzugskabine hinaus und es gab ein schreckliches Krachen, als er gegen den Türsturz stieß.
„Der junge Mann stellte das Cello bei uns ab, ging wieder, trank ein paar Schnäpse und traute sich erst dann rein“, erzählt Heribert Bünnagel. Der Hals des Cellos war gebrochen und es gab so manche andere Verletzungen. Geigenbauer Bünnagel hat das Instrument wieder hingekriegt. „Und der Student hat gesagt: Klingt ja besser als vorher.“
Traditionsbetrieb nur ein paar Schritte vom Karstadt entfernt
Seit 95 Jahren besteht die Firma Bünnagel, seit 66 Jahren befinden sich Ladengeschäft und Werkstatt auf der Breite Straße, ein paar Schritte vom Karstadt-Gebäude entfernt. Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt der Betrieb angesichts der vielen Veränderungen drumherum. Und der Laie fragt sich: Wie kann dieses Geschäft überleben? „Sehr gut“, sagt Heribert Bünnagel (77). Denn Musiker sind dankbar für das vertraute Angebot. Prominente Geiger wie Frank Peter Zimmermann und Pinkas Zuckerman sind hier Kunden, wie signierte Fotos zeigen.
Und so mancher Musiker – hier gilt natürlich Diskretion wie bei einem Arzt – kommt mit einer wertvollen Stradivari. „Das ist gar nicht so selten“, sagt Heribert Bünnagel. Als er als junger Mann das erste Mal eine Stradivari in der Hand hatte, sei das schon ein besonderes Gefühl gewesen. „So einem Instrument bringt man natürlich mehr Wertschätzung entgegen als einer Schülergeige. Aber es nicht so, dass ich vor Aufregung zehn Minuten die Luft anhalte.“
Gidon Kremer lud den Geigenbauer in die Philharmonie ein
Auch kommt es immer mal wieder vor, dass Musiker auf Tournee vor ihren Auftritten etwa in der Philharmonie nochmal vorbeikommen. So zum Beispiel Violinist Gidon Kremer, der mit dem Stand des Stimmstocks nicht zufrieden war. Der Stimmstock klemmt im Inneren des Instruments zwischen Decke und Boden und überträgt die Schwingungen. Bünnagel kann ihn mit dem Stimmsetzer, der ein wenig wie ein Schuhanzieher aussieht, millimetergenau platzieren. Gidon Kremer war so begeistert, dass er Bünnagel und seine Frau zum Konzert einlud.
Die Geigenbauer-Tradition wurde 1929 von Heribert Bünnagels Vater begründet. „Er spielte begeistert Cello.“ Der Vater lernte das Handwerk in Mittenwald in Oberbayern. „Die sagten: Sie sind der erste Preuße hier.“ Nach dem Krieg baute er viele Geigen, das Material hatte er rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Jetzt wollte man wieder musizieren und feiern. In einer Wohnung im dritten Stock in der Sülzer Remigiusstraße war die erste Werkstatt. Für die Arbeit gab es oft Naturalien als Lohn: Kartoffeln, Briketts und sogar Fensterglas. „Wir hatten als einzige in der Straße Scheiben im Fenster.“
Später entschloss man sich zum Umzug in die Breite Straße. „Das war ja hier ein Bermudadreieck zwischen Oper und WDR, jede Menge Musiker.“ Die Werkstatt des Vaters sei sein Spielplatz gewesen, sagt Heribert Bünnagel. Er lernte Cello und musste gar nicht lange überlegen: Er wurde auch Geigenbauer. Schon bald konzentrierte er sich auf Reparatur und Restaurierung. Da ist immer etwas zu machen. Der Schweiß der Spieler greift den Lack und dann die Farbe an.
Bei Profimusikern, die sehr viel spielen, drücken sich die Saiten mit der Zeit in das Griffbrett ein. Der Bogen muss regelmäßig mit Pferdehaar neu bezogen werden. Bünnagels Werkstatt ist voll von kleinen Ersatzteilen, Schraubzwingen, Leim, Lack und Rohlingen. Kleine Stege, auf denen später die Saiten aufliegen, hängen an langen Schnüren aufgereiht.
Eine neue Geige hat er schon seit vielen Jahren nicht mehr gebaut „Das ist sehr aufwendig, kostet viel Zeit und man braucht Mitarbeiter.“ 500 Arbeitsschritte sind nötig und es kann Monate dauern. Die Rohlinge seiner letzten vier Geigen hatte Bünnagel einst im Sommer in seinem Garten zum Trocknen aufgehängt, damit das Holz später weiter behandelt werden konnte. „Meine Frau hatte die Aufgabe, sie bei Regen reinzuholen und bei Sonne wieder aufzuhängen.“ Geigenbau, sagt er, könne man auch in der Voreifel betreiben, dazu brauche man nicht den Standort Breite Straße. Obwohl er schon merke, dass das Gürzenich-Orchester wegen der Sanierung der Oper nun schon seit zwölf Jahren nicht mehr um die Ecke probe und die Musiker nicht mal eben vorbeikommen.
Schüler können sich Geigen leihen
Ein weiteres Standbein neben der Reparatur ist der Verleih. Rund 50 Geigen und Cellos in allen Größen gibt es, sie kosten zwischen 16 und 60 Euro monatlich. Gespielt werden sie vor allem von Kindern, die erstmal herausfinden wollen, ob ihnen das Streichinstrument überhaupt liegt. Gegen kleine Missgeschicke gibt es eine Versicherung, die kostet bescheidene 30 Euro im Jahr. „Früher ging mehr kaputt, heute sind die Kinder irgendwie vorsichtiger.“
Tochter Verena Bünnagel kümmert sich um Buchhaltung und Ladengeschäft. Und lauscht, wenn aus der Werkstatt im ersten Stock Musiker ihre frisch reparierten Geigen spielen. „Mir kommen dann oft die Tränen, weil es so schön ist.“ Sie selbst hat das Handwerk nicht erlernt. Wie die Nachfolge aussieht, ist noch unklar. Heribert Bünnagel denkt mit 77 Jahren aber noch nicht ans Aufhören. „Sehen kann ich noch gut, die Hände machen auch mit. Und das Wichtigste ist das Hören.“ Und seine Tochter sagt: „Stradivari stand bis 86 in der Werkstatt.“