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Porträt eines GentlemanDer Tuchhändler vom Kölner Offenbachplatz

Lesezeit 7 Minuten

Seit 55 Jahren verkauft Rolf Pleuger in seinem Geschäft am Offenbachplatz edelstes Tuch für Herren-Maßkonfektion.

Innenstadt – Es ist ein Urteil, das Kölns wichtigster Coach selten zu hören bekommt: „Katastrophal!“

Rolf Pleuger muss nicht lange auf die Abbildung schauen, die Peter Stöger so zeigt, wie er gerade auf Werbeplakaten in der Stadt zu sehen ist: Mit verschränkten Armen im Stadion stehend, eine rotes Hemd tragend, dazu eine hellgraue Hose. „Der hat keine Berater, das ganze Outfit ist eine Katastrophe“, wiederholt der Mann, den man zu Recht als Stilexperten in Sachen Herrenmode bezeichnen kann.

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Edelstes Tuch

„Je enger eine Hose ist, umso kürzer muss sie sein“, fährt Pleuger fort, bevor er den Blick abwendet von Stögers Beinkleid, welches am Unterschenkel so viele Falten aufwirft, dass man glatt meinen könnte, der FC-Trainer habe es in der Absicht gekauft, noch zehn Zentimeter wachsen zu wollen.

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Modetipps an Dieter Zetsche

Anders als im Fall eines gewissen Dieter Zetsche, wird Pleuger sich aber nicht gleich wieder an seine elektrische „Twen“ setzen, eine betagte Schreibmaschine aus dem Hause Triumph, und einen Verbesserungsvorschlag formulieren.

Dem Daimler-Benz-Chef hatte der Tuchhändler vom Offenbachplatz Anfang dieses Jahres einen freundlichen Brief geschrieben; getippt ebenfalls auf der alten „Twen“, die das kleine „t“ stets so erscheinen lässt, als habe sich im auslaufenden Bogen ein Pünktchen versteckt.

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Der nunmehr 82-jährige Pleuger hat bis zum heutigen Tag noch nie ein Kleidungsstück von der Stange getragen.

Ihm sei, so hatte Pleuger dem obersten Mercedes-Mann dargelegt, unlängst ein Zeitungsfoto in den Hände gefallen, auf dem er, Zetsche, mit abgewetzten Jeans, zu kurzem Sakko und Turnschuhen abgebildet gewesen war. Dabei sei er, Zetsche, doch „eine große Persönlichkeit und immer eine präsente Erscheinung“. Mit anderen Worten: derlei modischen Sperenzchen nicht würdig. „Lassen Sie sich von wirklich guten Fachleuten beraten“, schrieb Pleuger am Ende seines Briefes, selbstredend ohne sich beim Adressaten in Stuttgart anzudienen.

Keine Kleidung von der Stange

Dass der noch immer fast 1,90 große Kölner Geschäftsmann selber eine präsente Erscheinung ist, dürften nicht nur diejenigen wissen, die ein edles Stück Tuch aus seinem Vorrat am Leibe tragen. Aufgrund der Tatsache, dass der nunmehr 82-Jährige bis zum heutigen Tag noch nie ein Kleidungsstück von der Stange getragen hat, gehört er zu den immer geringer werdenden Repräsentanten einer Handwerkskunst, die allmählich vor dem Aussterben steht. Während der 1950er Jahre, in denen er bereits im Tuchhandel tätig war, „gab es laut Innungs-Liste 900 Herrenschneider in Köln“, berichtet Pleuger. Heute seien es allenfalls zehn.

Der gebürtige Gummersbacher hatte sich 1960 zunächst in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn selbstständig gemacht und siedelte zwei Jahre später mit seinem Geschäft an den Offenbachplatz. Vor diesem Schritt wurde er allerdings gewarnt: Wenn er hier ein Geschäft eröffne, müsse er sich andere Ware zulegen, hatte ihm ein Lieferant zugeraunt. In Köln herrsche Zirkuseleganz!

Mehr als nur Stoff

Zirkuseleganz – dieses Wort werde er nie vergessen, bekennt Pleuger, derweil er an seiner Verkaufstheke steht mit schätzungsweise 5000 bis 6000 Metern Stoff im Rücken. Ach was, Stoff! Nur ein Banause wird bei der Ware, die der 82-Jährige in seinem Leben schon tausendfach mit der immer gleichen Sorgfalt um einem Ballen geschlungen hat, den selben Materialbegriff verwenden wie für ein Shirt vom Textil-Discounter.

„Hier, fühlen Sie mal“, sagt er und lässt gut einen Meter granitgraues Tuch vorübergleiten, an dem ein 397-Euro-Etikett baumelt. „Super 150 mit Seide“ lautet der Fachbegriff für dieses allerfeinste Woll-Seide-Gemisch. Mit seinen lediglich 220 Gramm je Meter ist es so leicht, dass jede handelsübliche Shorts im Vergleich mit einer aus dieser Ware geschneiderten Hose bleischwer erscheint.

Apropos Shorts: Natürlich kann man Rolf Pleuger fragen, wie viele Exemplare dieses im Sommer bei der Männerwelt so beliebten Kleidungsstücks in seinem Kleiderschrank ein Zuhause haben. Er lächelt daraufhin und gibt zu, dass er beim Radfahren auf Sylt durchaus selber kurze Hosen trage. Die Kleidergattung als solche ist demnach nicht das Problem, sondern nur der Einsatzort.

Liaison mit einer Bermudahose

Einmal in seinem Leben habe es eine flüchtige Liaison mit einer maßgefertigten Bermudahose gegeben, bekennt der Tuchhändler, deutet mit der Hand erst knapp übers Knie, um deren Länge zu verdeutlichen und dann tiefer auf sein elegantes Lederschuhwerk, um zu unterstreichen, dass bei diesem Ausreißer keine Sandalen und erst recht keine Latschen involviert waren.

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Man entdeckt viele alte Schätze in Pleugers Geschäft.

Laut Pleuger gibt es beim Mann ansonsten nur zwei Dinge, die auf gar keinen Fall kurz ausfallen dürfen: Strümpfe und Hemdsärmel. Dass Socken allenfalls auf dem Tennisplatz opportun sind, muss man Pleugers Klientel nicht sagen. Unter all seinen Kunden gebe es jedoch einen, der sich seine Hemden auf halbe Länge Oberarm schneidern ließe. „Na gut, wenn er will“, bemerkt der Tuchhändler und klingt dabei ein wenig wie ein Sternekoch, dem ein Gast befohlen hat, Ketchup zu bringen.

Im Großen und Ganzen ist die Kundschaft in Stilfragen jedoch ähnlich verfestigt wie der Geschäftsinhaber, der – ähnlich wie sein ausführender Schneider Viktor Peters – seine helle Freude an neuen Herausforderungen hat; wie neulich an dem maßgeschneiderten Herren-Nachthemd aus feinstem Baumwollhemdenstoff – selbstverständlich mit Monogramm und Biesen, also einer schmal abgesteppten Falte zur Dekoration.

Immer ein Auge auf die Etikette

Wenn er mit seiner Frau abends ins Restaurant gehe, sei er häufig entsetzt, „wie die begleitenden Männer manchmal aussehen“. Überhaupt beobachte man immer wieder ganz furchtbare Dinge. „Da sitzt der Herr schon am Tisch und die Dame quält sich im Stehen noch mit ihrem Mantel ab. Das geht gar nicht!“

Im Zeitalter von Facebook und Instagram ist es schwer vorstellbar, dass ein Geschäftsmann ohne Computer auskommt. Pleuger lehnt eine solche Investition indes ebenso vehement ab wie die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs im Austausch für seinen 25 Jahre alten Mercedes. In all den Jahren sei es ihm auch kein einziges Mal in den Sinn gekommen, das 60er-Jahre-Inventar seines Geschäfts zu modernisieren. Aus seinem Mund klingt das Verb fast wie ein Schimpfwort, und natürlich kennt Pleuger Beispiele wie etwa das einstige Herrenmodehaus Stock auf der Hohe Straße, wo dem Relaunch schnell der Untergang gefolgt sei.

Würdigung des professionellen Blicks

Die Herren an den Unternehmensspitzen, denen der aufmerksame Zeitungsleser Pleuger dann und wann Schreibmaschinen-Briefe schickt, reagieren im Übrigen durchaus freundlich. So ließ Dieter Zetsche dem Kölner Tuchhändler durch einen Mitarbeiter mitteilen, dass die modischen Entscheidungen im Hause Daimler zwar individuell getroffen würden, „man seine professionelle Sicht auf das Thema“ aber nachvollziehen könne.

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Rolf Pleuger

Dass manche Dinge ihre Zeit brauchen, weiß Pleuger nicht zuletzt durch einen Fabrikanten im Bergischen, dem er zum 70. Geburtstag einen Glückwunschzukommen ließ, obwohl er ihn nicht kannte. Achte Jahre später habe dieser Mann seinen Kölner Schneider aus Verärgerung verlassen und sämtliche in Arbeit befindlichen Teile zum Offenbachplatz bringen lassen mit dem Hinweis: Vernichten! „Dann haben wir ihn völlig neu eingekleidet.“

Wie die meisten seiner Kunden habe auch dieser Mann volle Schränke „Aber zum Glück gibt es Leute, die kommen und sagen: »Herr Pleuger, ich brauche nichts, aber ich komme so gerne her, also machen Sie mir mal wieder einen Anzug!«“

Stil als Lebensform

Stil sei eine Lebensform, betont der Mann, der seit Jahrzehnten jedes Mal vor seiner Abreise in die Sommerfrische das immer gleiche Postkartenmotiv – ein gestreiftes Badekostüm – an seine Klientel verschickt mit dem Vermerk: „Wir machen Urlaub.“ Dass ein Kunde erst durch ein Schild an der Ladentür davon erführe, erschiene ihm ungehörig.

Ins Schwärmen gerät der 82-Jährige, wenn er an die Mode in den 1930er Jahren denkt und daran, dass seinerzeit am Nürburgring die Zuschauer mit Hüten die Autorennen verfolgten. Er muss zeitlich allerdings gar nicht so weit zurückgehen, um noch größere Begeisterung zu entfachen. „Kirchentag in Berlin und gleichzeitig G-9-Gipfel. Barack Obama und Donald Trump – haben Sie das gesehen?“ – Er kenne keinen Politiker, der so perfekt gekleidet sei, wie der ehemalige amerikanische Präsident. „Und da müssen wir nur über Kragenform und Krawattenknoten reden. Unglaublich, absolut perfekt!“

Natürlich hat der Tuchhändler auch eine Meinung zum amtierenden amerikanischen Präsidenten. Diese wiederzugeben, würde jedoch einem Eingeständnis gleichkommen, dass selbst der mutmaßlich letzte wahre Gentleman beim Anblick einer roten Krawatte kurz die Fassung verliert.