Das Kölner Familienunternehmen Trester fertigt seit 100 Jahren Glasaugen an. Es ist eine Kunst, die nur wenige Fachleute beherrschen.
Kölner TraditionsfirmaSeit 100 Jahren fertigt die Familie Trester Glasaugen an – „Fenster der Seele“
Ein gleichmäßiges, leises Rauschen ist zu hören. Die junge Frau hält eine Gasflamme an eine filigrane Glaskugel, dreht sie immer wieder, bläst in sie hinein. Vorne auf der Glaskugel sind Farben zu sehen. Hier entsteht ein Glasauge. Die Farbe des Rohlings ist ausgesucht nach dem Vorbild des gesunden Auges des Patienten. In den Schränken der Firma Trester lagern unzählige dieser Rohlinge aus einem Spezialglas in Hunderten von Schattierungen. Die Mitarbeiterin formt das Glas entsprechend der vermessenen Größe der Augenhöhle. In Feinarbeit werden nun noch Äderchen in das Glas eingearbeitet, damit das Auge so echt wie möglich aussieht.
„Augenkünstler“ hieß der Beruf noch, als das Familienunternehmen, das in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert, gegründet wurde. Weil die Arbeit so kunstvoll ist – wie die eines Kunstmalers. Später benannte sich der Berufsstand in „Ocularist“ (von oculus, das Auge) um. Was bis heute immer wieder zu Missverständnissen führt: Wer nicht genau hinschaut, liest „Occultist“ und denkt an Menschen, die an übersinnliche Mächte glauben.
Kölner Firma Trester wurde vor 100 Jahren gegründet
Dabei tun die Ocularisten etwas sehr Weltliches: Sie versorgen Menschen, die durch Unfälle oder Krankheiten ein Auge verloren haben, mit einer Prothese. Diese Kunst beherrschen nur wenige Fachleute. Die Ausbildung dauert sieben Jahre lang und geschieht fast ausschließlich in den Betrieben selbst.
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Die Arbeit verlangt in jeder Hinsicht viel Einfühlungsvermögen. „Augen haben für Menschen eine ganz besonders Bedeutung. Es heißt ja auch: Augen sind die Fenster der Seele. Im Gesicht zeigt sich die Persönlichkeit“, sagt Seniorchef Wolfgang Trester (83). Manche Patienten seien zunächst verzweifelt über den Verlust, weinen, sind in ihrer Seele getroffen. Informieren und beruhigen sei dann das Wichtigste. „Wir sagen: Das Auge wird so gut, es wird niemand sehen, dass es aus Glas ist.“
Da war zum Beispiel die Stewardess, die bei einem Skiunfall ein Auge verloren hatte, und nun fürchtete, nie mehr fliegen zu dürfen, weil die Passagiere ein Glasauge vielleicht abschreckend finden würden. Oder die junge Frau, die in der Fahrschule ihr Auge verlor, als ein Dachspanngurt abriss. In beiden Fällen ging es gut aus: Die Stewardess konnte weiter fliegen, weil niemand den Unterschied bemerkte. Die junge Frau gewöhnte sich an die Prothese. Sie sei heute eine sehr glückliche Frau mit fünf Kindern, sagt Wolfgang Trester. „Den Defekt können wir nicht nehmen, aber so gute Prothesen wie möglich machen.“
Manche verheimlichen das Glasauge vor ihren Familien
Es gebe aber auch Menschen, die sich scheuen, in den Spiegel zu schauen. Und auch jene, bei denen sogar die eigene Familie nichts von dem Kunstauge wissen soll. Manchmal müssen auch schon Babys im Brutkasten versorgt werden. Denn ein fehlendes Auge beeinflusst den Knochenwuchs und damit die Gesichtsform.
Wie kommt man zu diesem seltenen Beruf? Wolfgang Tresters Vater Willy, der Gründer des Unternehmens, war künstlerisch sehr begabt, zog mit 17 freiwillig in den Krieg und sah in den Lazaretten die furchtbarsten Augenverletzungen. „Augenkünstler“ gab es bis dahin vor allem in Frankreich. Trester sah den Bedarf und gründete 1923 sein „Atelier“ zunächst am Hansaring. Er reiste viel und war einer der ersten „Augenkünstler“, die in den USA Prothesen herstellten. Auch in Brasilien und Argentinien arbeitete er.
Traditionsfirma fand Heimat am Ebertplatz
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine provisorische Werkstätte in Bergisch Gladbach-Schildgen eingerichtet. „Das Gas, das wir zum Glasblasen brauchen, wurde von Bayer Leverkusen mit dem Pferdefuhrwerk gebracht“, erzählt Wolfgang Trester. „Kriegsversehrte in Uniform standen Schlange. Wir haben für Butterbrote gearbeitet.“ Dann zog man nach Niehl in die Sebastianstraße. Denn Niehl war der erste Stadtteil, der wieder mit Gas versorgt wurde, weil die von den Bomben verschonten Ford-Werke weiter produzieren mussten. Schließlich wurde die Firma Trester am Ebertplatz/ Ecke Neusser Straße heimisch.
Wolfgang Trester begann seine Ausbildung 1958. Auch er fertigte in vielen Ländern Augen an, vor allem in Südafrika. Der Vater seiner Frau Sabine, die stellvertretende Geschäftsführerin der Firma ist, war Professor für Afrikanistik an der Uni Köln, daher kam die Verbindung. Trester arbeitete auch für das israelische Militär und in Saudi-Arabien. „Ich war ein unruhiger Geist wie mein Vater.“
Auch Sohn Marc wurde Ocularist. Darüber habe er nicht lange nachdenken müssen, sagt er. Auch, wenn er früher von den Mitschülern schon einmal komisch angeguckt wurde, wenn er sagte, dass sein Vater Kunstaugen mache. „Andere Väter waren Tapezierer oder Elektriker, das war schon etwas Besonderes.“ Manche dachten auch, es handele sich um Scherzartikel. 2011 übernahm Marc Trester das Institut am Ebertplatz. In den hellen Räumen hängen viele historische Fotos, alte Werkzeuge sind ausgestellt. Wie schon zu Gründerzeiten kommen die Augenrohlinge aus der Glashüttenstadt Lauscha in Thüringen, sie sind in Spezialkästen aufgereiht.
Heute versorgt das Institut Trester in Zusammenarbeit mit Kliniken eine „gute vierstellige Zahl“ an Patienten. Viele über Jahrzehnte, denn die Augen müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Wolfgang Trester bekam kürzlich die Theodor-Leber-Medaille für sein Lebenswerk, die höchste Auszeichnung seines Berufsverbandes.
Die leise rauschende Gasflamme im Nebenraum ist noch immer zu hören. Wenn Farbe und Größe perfekt sind, erhält das Glas noch die Form einer Halbschale, um leicht eingesetzt werden zu können. Ein Auge zu machen, dauert etwa ein bis zwei Stunden. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet es einen Neuanfang.