Nach der erneuten Gewalttat auf den Kölner Ringen ermittelt eine Mordkommission. Die Gründe für die Eskalation müssten längst bekannt sein, kritisiert ein Sozialarbeiter.
„Zum Scheitern verurteilt“Wieder Gewalt auf Kölner Ringen – Streetworker kritisiert Politik
Die Mitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei ist äußerst kurz gehalten. Ermittlungstaktische Gründen spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Doch hinter den wenigen Sätzen zur jüngsten Gewalttat auf den Kölner Ringen verbirgt sich ein Problem, das in den vergangenen Jahren erschreckende Ausmaße angenommen hat.
Am ersten Mai-Wochenende ist es erneut zu einer Auseinandersetzung in dem Ausgehviertel gekommen. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden eskalierte am Sonntagmorgen (7. Mai) gegen 6 Uhr im Kaiser-Wilhelm-Park ein Streit zwischen zwei Männern, in dessen Verlauf ein 17-Jähriger schwer verletzt wurde. Der Jugendliche erlitt mehrere Stichverletzungen sowie eine Kopfverletzung.
Seit Jahren gibt es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen auf den Ringen. Erst am Wochenende zuvor war es vor einer Bar am Hohenzollernring zu einer Messer-Attacke gekommen. Ein 17-Jähriger aus Bergisch Gladbach wird beschuldigt, in der Nacht zu Samstag mehrfach mit einem Messer auf zwei Jugendliche eingestochen zu haben. Ein 15-Jähriger erlitt lebensgefährliche Verletzungen und musste notoperiert werden. Sein 16-jähriger Begleiter kam ebenfalls ins Krankenhaus.
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Polizei Köln: Wieder Gewalt auf den Ringen
Auch wegen solcher Fälle wurde 2016 mit der polizeilichen Videoüberwachung begonnen – sie wurde in den Folgejahren ausgebaut. Seit Ende Oktober 2022 werden sieben Gebiete mit insgesamt 106 Videokameras beobachtet. Neben den Ringen handelt es sich um die Bereiche Dom/Hauptbahnhof, Breslauer Platz, Ebertplatz, Neumarkt, Wiener Platz und Kalk. Laut Polizei sind es Kriminalitätsbrennpunkte mit einer Vielzahl an Delikten, deren Anzahl und Qualität sich im Vergleich zum Kölner Stadtgebiet stark abheben.
Erst kürzlich hatte Polizeidirektor Martin Lotz ein positives Zwischenfazit gezogen und verwies auf aktuelle Fahndungserfolge. Doch potenzielle Gewalttäter scheinen sich davon ebenso wenig abschrecken zu lassen wie durch ein erhöhtes Polizeiaufgebot an Wochenenden. Bereits seit 1995 gibt es die „Ordnungspartnerschaft Ringe“, eine Kooperation von Polizei, Zoll und Stadt. Gemeinsame Kontrollen sollen für mehr Sicherheit auf der Feiermeile sorgen. Zudem wurde Ende 2021 eine Waffenverbotszone auf den Ringen und den umliegenden Straßen eingeführt.
Schrecken all diese Maßnahmen potenzielle Gewalttäter nicht ab? Nein, sagt Streetworker Franco Clemens. „Inzwischen hat das Einhand-Messer primär aus Angst und zur Selbstverteidigung leider Einzug in viele Jacken- und Hosentaschen gefunden – auch bei Menschen in der normalen Bürgerschaft.“ Die allerwenigsten Messerträger wollten aber damit gezielt kriminelle Handlungen begehen oder Konflikte lösen. „Da sie aber in den Taschen sind, kommen sie entsprechend häufiger zum Einsatz, ohne dann unter Stressgefühl die Konsequenzen zu bedenken, die es haben kann – bis hin zum Tod eines Menschen, ob nun als Aggressor oder in Notwehr.“
Der Streetworker fordert daher unter anderem ein Verkaufsverbot für Einhand-Messer. „Der Versuch, das Phänomen mit rein polizeilichen, ordnungspolitischen und sozialarbeiterischen Maßnahmen sowie Videoüberwachung an den Brennpunkten in den Griff zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt, solange sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht verändern, sondern sogar noch verschärfen“, sagt Clemens.
Die Gründe für die Eskalation müssten seit Jahren bekannt sein, kritisiert er die Politik. Als Beispiele nennt der Sozialarbeiter Bildungsarmut, Schattengesellschaften, Parallelwelten, eine zunehmende Verrohung durch die sozialen Netzwerke sowie gewaltverherrlichende Egoshooter-Spiele. „Dadurch wird die Spaltung der Gesellschaft verschärft und große Gruppen aus dem gemeinsamen Wertekodex entkoppelt.“
Für NRW-Innenminister Herbert Reul sind die jüngsten Messerattacken kein Indiz für eine insgesamt zunehmende Gewaltkriminalität in diesem Bereich. Auch in anderen Städten des Landes war es zuletzt zu Messer-Attacken gekommen. So sei die Zahl der Messer-Angriffe in ganz NRW von 2019 bis 2022 um 27 Prozent auf zuletzt 4200 gesunken.