Die Musikhochschule Köln wird 100 Jahre alt. Ein Gespräch über Ausgrenzung von Studierenden in der NS-Zeit und Machtmissbrauch von Lehrenden.
Rektor der Musikhochschule KölnMachtmissbrauch: „Müssen den Studierenden die Angst nehmen, zu reden“
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Die Hochschule für Musik und Tanz feiert 100-jähriges Bestehen.
Copyright: Arton Krasniqi
Herr Claus, die Hochschule für Musik und Tanz Köln feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen mit einer großen Kammermusikreihe. Am Dienstag (18. Februar) ist der Konzertabend mit dem Titel „Gestohlene Heimat, verstummte Musik“ dem Jahrzehnt 1935 bis 1945 gewidmet. Jüdische Lehrende und Studierende wurden in jener Zeit mundtot gemacht und aus der Hochschule verdrängt. Wer fällt Ihnen da ein?
Auch an der Staatliche Hochschule für Musik haben in der Zeit des Nationalsozialismus eine Reihe von Ausgrenzungen und Diskriminierungen stattgefunden. So wurde der damalige Rektor Walter Braunfels, bekannter Komponist, als sogenannter „Halbjude“ aus dem Hochschuldienst entlassen. Erst 1946 wurde er auf Veranlassung des damaligen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer wieder in das Amt eingesetzt. Ein weiteres Beispiel ist Eduard Erdmann, der an der Hochschule Klavier lehrte und der schon 1933 aus Protest gegen die Ausgrenzung die Hochschule verließ. Schließlich sei Karlrobert Kreiten erwähnt, ein ehemaliger Student: Er hat gegen Ende des Krieges eine lapidare Bemerkung im privaten Raum darüber gemacht, dass der Krieg ohnehin nicht mehr zu gewinnen sei. Aufgrund dieser Äußerung wurde er denunziert und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Inwiefern werden solche Ereignisse aufgearbeitet?
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Karlrobert Kreiten haben wir einen jährlich stattfindenden Klavierwettbewerb gewidmet, um an sein Schicksal zu erinnern. Zudem haben wir im vergangenen Jahr ein Symposium über Eduard Erdmann und die jüdische Komponistin Maria Herz durchgeführt. In diesem Rahmen wurden in einem Konzert Werke von Erdmann und Herz aufgeführt. Dabei handelte es sich teilweise um Uraufführungen. Es war uns wichtig, nicht nur an das Schicksaal dieser Menschen zu erinnern, sondern auch die hohe Qualität der Werke in Erinnerung zu rufen und neu zu entdecken.
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Der Rektor der Musikhochschule Tilmann Claus im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“
Copyright: Arton Krasniqi
Konrad Adenauer setzte sich für Gründung der staatlichen Musikhochschule ein
Mit dem Jubiläumsjahr erinnern Sie an die Gründung der staatlichen Musikhochschule im Jahr 1925. Die Geschichte der Einrichtung reicht aber bis ins Jahr 1845 zurück. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Conservatorium und der Hochschule später?
Das Conservatorium wurde 1845 als städtische Einrichtung auf Betreiben der Stadtverordnetenversammlung gegründet. Man wollte eine professionelle Musikausbildung in der Stadt sichern. 1925 hat Konrad Adenauer eine Trennung zwischen der professionellen Ausbildung und der Laienausbildung unterstützt. In der Folge wurde die Staatliche Hochschule für Musik und die heutige Rheinische Musikschule gegründet. Es war auch Adenauer, der sich 1946 dafür einsetzte, dass die Hochschule nach dem Krieg wieder eröffnet werden konnte. Insofern ist ihm und der Stadt Köln viel zu verdanken.
Was waren die Probleme nach dem Krieg?
Es gab kein Gebäude mehr. Die Hochschule musste in ein Interim an die Rhein-Ufer-Straße, in die Villa Oppenheim ziehen. Später ist sie in die Dagobertstraße umgezogen, in das ehemalige Funkhaus des WDR. 1975 wurde das neue Gebäude der Hochschule, in dem wir auch heute noch sind, bezugsfertig. Die Raumkapazitäten waren für rund 800 Studierende vorgesehen, heute haben wir am Standort Köln aber rund 1200 Studierende. Das bedeutet, dass die Hochschule heute aus allen Nähten platzt. Daher freuen wir uns freuen, dass derzeit ein Erweiterungsbau in unmittelbarer Nähe des Stammhauses entsteht.
Wann soll der fertig sein?
In Köln spricht man besser nicht von einem festen Datum, aber der Erweiterungsbau soll Ende 2026/Anfang 2027 fertig werden. Dann zieht ein kleiner Teil des Stammhauses und die Tanzabteilung, die derzeit in Köln Nippes angesiedelt ist, in den Neubau. Anschließend steht eine Grundsanierung des Stammhauses an, die noch einmal sechs bis sieben Jahre dauern wird. Für diese Zeit suchen wir noch ein Domizil für den Unterricht und für unsere Veranstaltungen, da der Platz im Neubau nicht ausreichen wird.
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Es ist schon viel zusehen vom Neubau der Musikhochschule an der Dagobertstraße.
Copyright: Arton Krasniqi
Musikhochschule: Beruf des Musikers ist vielfältig
Wie hat sich der Beruf des Musikers und der Musikerin im klassischen Bereich gewandelt?
Ich möchte hier weniger von einem Beruf als von Berufsfeldern sprechen, in denen sich die Studierenden nach Abschluss des Studiums bewegen werden. Früher war es tatsächlich eher so, dass wir gesagt haben, wir bilden Instrumentalistinnen und Instrumentalisten für das Orchester aus. Das ist heute nicht mehr so. Das Arbeitsfeld des Künstlers ist heute enorm vielfältig. Wir müssen den Studierenden ein möglichst breites Spektrum bieten, mit dem sie sich auf die verschiedenen Anforderungen der Berufswelt vorbereiten: Sie sind einerseits Künstlerin oder Künstler, oftmals aber auch Lehrende und Organisatoren, müssen Förderanträge schreiben können, Abrechnungen machen und vieles mehr.
Wird man denn darauf vorbereitet im Studium?
Wir haben in unserem Curriculum ein Professionalisierungsangebot integriert. Hier bieten wir Seminare an, die auf die Rahmenbedingungen eines Lebens außerhalb der Hochschule vorbereiten: so gibt es zum Beispiel Angebote zum Steuerrecht, zum Thema Gema, Künstlersozialkasse, Selbstmarketing und zur Antragsstellung bei öffentlichen Stellen, aber auch zu Mental Health.
Überall fehlt es an Musiklehrern in Schulen und Musikschulen. Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn die Menschen nicht einmal eine Grundbildung in Musik erhalten?
Das ist in der Tat ein Problem, was im Kontext des allgemeinen Lehrermangels auch die Musikhochschulen betrifft. Wir können in der Hochschule bis zu einem gewissen Grade darauf Einfluss nehmen, indem wir sie weiter für Menschen öffnen, die einen anderen kulturellen oder sozialen Hintergrund haben. Damit gehen wir auf die sich verändernden Voraussetzungen der Bewerberinnen und Bewerber ein. Wir haben zum Beispiel das türkische Instrument Bağlama in die musikpädagogischen Studiengänge als Studienfach aufgenommen. Damit wollen wir andere Zielgruppen ansprechen und gleichzeitig den sich ändernden Bedarf in Schulen gerecht werden.
Zur Person: Tilmann Claus ist seit 2021 Rektor der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Er ist 67 Jahre alt, in Düsseldorf aufgewachsen und hat in München, Köln und Mailand instrumentale Komposition und Musiktheorie studiert. 1997 wurde er als Professor für Tonsatz an die Musikhochschule Detmold, Abteilung Dortmund berufen. 2007 erfolgte der Ruf hat an die Hochschule für Musik und Tanz Köln.
Zum Jubiläum veranstaltet die Hochschule eine Kammermusikreihe, die sich in zehn Konzerten jeweils einem Jahrzehnt widmet. Vom 23. bis 26. Juni gibt es zudem eine Festwoche mit mehreren Konzerten. Mehr Infos zum Programm unter hfmt-koeln.de (gam)
Kritik an Stadt Köln: Sie werbe zu wenig für ihre Hochschulen
Welche Rolle spielt die Musikhochschule für Köln als Musikstadt?
Die Stadt Köln mit ihrem breiten kulturellen Angebot stellt einen deutlichen Standortvorteil für die HfMT dar. Gleichzeitig sind es Absolventen unsere Hochschule, die nach dem Ende des Studiums häufig in Köln bleiben und ein Teil dieser kulturellen Vielfalt der Stadt werden. Die Wahrnehmung der Hochschule in der Stadt hat aber zweifellos noch Entwicklungspotential. Obwohl wir mit rund 400 Veranstaltungen im Jahr auch das kulturelle Leben der Stadt mitprägen, werden wir wenig wahrgenommen. Man darf nicht vergessen, dass Köln eine hohe Dichte an Hochschulen hat, stellvertretend seien die Universität zu Köln, die TH Köln, die Sporthochschule Köln, die Kunsthochschule für Medien und die HfMT als eine der größten Musikhochschulen in Europa genannt. Welche andere Stadt hat ein solch umfassendes Angebot an Bildungsinstitutionen?
Im vergangenen Jahr gab es einige Recherchen zum Thema Machtmissbrauch an Musikhochschulen und anonyme Befragungen unter Musikstudierenden. Inwieweit hat das die Musikhochschule Köln beschäftigt?
Diese Vorwürfe haben wir mit großer Besorgnis und Bedauern zur Kenntnis genommen. Wir haben einerseits mit den uns typischen Unterrichtsformaten des Einzelunterrichts ein hohes Gut. Dieses 1:1-Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden ist eine große Chance, birgt aber auch Risiken, weil Abhängigkeiten entstehen können. Für unsere neuen Lehrenden haben wir seit einigen Jahren ein verpflichtendes On-Boarding-Programm eingerichtet, das sie über zwei Jahre lang machen müssen. Hier setzen wir uns ganz gezielt mit einer Sensibilisierung zu Themen wie Nähe und Distanz, zu sexuellem Übergriff, zu Machtmissbrauch oder zum fairen Prüfen auseinander.
Weshalb müssen das nur die neuen machen? Kann eine problematische Denke nicht gerade auch Dozierende älteren Semesters betreffen, wenn nicht sogar noch eher?
Wir können Lehrende nicht zu einer Weiterbildung verpflichten, wir können sie aber animieren, über ihre eigene Lehre und das Miteinander mit den Studierenden zu reflektieren. Hierzu haben wir eine Stelle Hochschuldidaktik eingerichtet, die verschiedenen Angebote allen Lehrenden zur Verfügung stellt.
Machtmissbrauch an Musikhochschulen: Studierende trauen sich immer öfter zu reden
Wenn man als Studierender übergriffiges Verhalten erfährt, an wen kann man sich wenden?
Wir haben eine zentrale Studienberatung geschaffen, Vertrauensdozentinnen und -dozenten stehen als Ansprechpersonen zur Verfügung, wir haben eine externe Ombuds-Stelle, an die sich Studierende und Lehrende hinwenden können.
Werden Sie auch angesprochen?
Ja. Gleichzeitig müssen wir den Studierenden mehr und mehr die Angst nehmen, sich zu äußern. Studierende sind immer häufiger bereit, unangemessene Situationen, die sie erfahren, zu benennen.
Haben Sie überhaupt eine Handhabe als Hochschule?
Wenn etwas an mich herangetragen wird, finden eine Reihe von Maßnahmen statt. Dabei gilt aber auch, beide Seiten zu hören. In gravierenden Fällen bleibt das Disziplinarrecht, was aber zum Glück nur sehr selten angewendet werden muss.