Der neue Master „Quereinstieg“ will die Not zumindest etwas lindern. Wir treffen einen Studierenden und die Studiengangsleitung.
„Situation ist prekär“So will die Musikhochschule Köln eklatantem Lehrermangel entgegensteuern
Der eklatante Lehrermangel ist längst kein Schreckensszenario der Zukunft mehr, sondern tägliche Realität in den Schulen. Was für die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gilt, ist auch auf das Fach Musik übertragbar: Im Jahr 2020 fand die Bertelsmann Stiftung im Rahmen einer Studie heraus, dass an den Grundschulen deutschlandweit 23.000 Musiklehrer fehlen.
Das führt in der Praxis dazu, dass mitunter fachfremde Vertretungen ohne Referendariat oder nur unzureichend ausgebildete Kräfte in die Schulen gelassen werden. Zur Besserung der Lage können die Musikhochschulen beitragen. Mit ihrem neuen Master „Quereinstieg Lehramt“, der seit diesem Wintersemester studiert werden kann, will die Hochschule für Musik und Tanz Köln „das Problem mindestens abschwächen“, wie Studiengangsleiterin Christine Stöger, Professorin für Musikpädagogik, sagt.
Musiker finden über Umwege in die Schule
„Die Situation ist gerade sehr prekär. Wir wissen zwar noch nicht ganz genau, weshalb so viel weniger Menschen in die Schule gehen wollen als Lehrer – wir untersuchen das gerade – man kann aber beobachten, dass Menschen oft nicht so gerade Wege gehen, gerade wenn man sich in einen künstlerischen Studiengang hineinbegibt“, so Stöger. Viele hätten zunächst den Wunsch, Berufsmusiker zu werden, die Lust zu unterrichten komme manchmal erst später auf. „Warum muss man mit 18 oder 19 Jahren wissen, was genau man mit Musik machen wird?“.
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Ein Dorn im Auge seien den Musikhochschulen bestehende Seiteneinsteiger-Programme wie das vom NRW-Schulministerium angebotene „OBAS“: Hier lässt sich das Referendariat mit einem Zertifikatslehrgang kombinieren, um Menschen schnell in die Schulen zu holen. Aus Hochschulsicht sei diese Lösung aber fragwürdig bis unzureichend, da die fachliche Qualität leide, so Stöger. Ziel des neuen Masters sei, die Studierenden, die im Bachelor nicht auf Lehramt studiert haben, mit Lehramtsabsolventen fachlich auf ein Level zu bringen.
Masterstudent arbeitet schon seit Jahren als Musiklehrer
Dafür bringen die Masterstudierenden wie Simon Stiller auch schon einiges an Praxiserfahrung mit. 300 Unterrichtsstunden sind Bedingung für die Aufnahme. Der 30-Jährige hat im Bachelor zunächst Jazzposaune studiert. „Mir war schon früh klar, dass ich viel unterrichten werde, dachte dabei aber eher an die Musikschulen, dort habe ich dann auch etliche Jahre gearbeitet“, so der Student.
Da Musikschulen mittlerweile viele Kooperationen mit Grundschulen eingehen, habe er über die Zusammenarbeit das Unterrichten in einer Schulklasse kennengelernt. Das hat es ihm angetan. „In der allgemeinbildenden Schule herrscht ein größeres Gemeinschaftsgefühl, noch mehr als in der Musikschule, wo man der einzelne Player ist, der nacheinander seine Einzelschüler abarbeitet. Vormittags wird man an vielen Grundschulen eingesetzt wird, also arbeitet in wechselnden Teams und Standorten. Ich finde es schöner, mich einem Ort und einem Team zugehörig zu fühlen“.
Ohne den neuen Master „Quereinstieg“ weiß er nicht, ob er dauerhaft an der Schule geblieben wäre. Ein komplett neues Studium auf Lehramt wäre nicht infrage gekommen und langfristig schlechter bezahlt zu werden als andere Lehrerkollegen, hätte ihm auch nicht gepasst.
Master-Student arbeitet neben Studium als Lehrer am Gymnasium
Mittlerweile arbeitet er am Gymnasium, wo er auch seine berufliche Zukunft sieht. Mit den älteren Schülerinnen und Schülern könne man noch viel tiefer in die Thematik eintauchen, das sei für ihn reizvoller. Dennoch möchte er seine Erfahrung in der Grundschule nicht missen. „Man musiziert eigentlich viel mehr mit der Klasse, und es kommt immer super gut an.“
Neben Studium und Arbeit spielt er auch weiter in einer Band und hat Auftritte. „Klar, bin ich zeitlich begrenzt in meiner Tourplanung, aber da ich mein Geld woanders verdiene, nimmt mir das auch den finanziellen Druck, weil ich abgesichert bin“, so Stiller.
Stöger, die seit Jahren mit der nicht ganz einfachen Entwicklung des Masters beschäftigt war – das Studium wird in Kooperation mit der Uni Köln für die bildungswissenschaftlichen Inhalte angeboten – ist nun ganz erleichtert, dass es endlich losgegangen ist. „Die Quereinsteiger sind ein Schatz. Das sind Menschen, die mit viel Berufserfahrung und mit einer Street-Credibility als Künstler kommen. Das macht was Gutes für die Schule“, so Stöger.
Sie vermutet, dass sich der Trend fortsetzen wird: Auch in Berlin und Lübeck gibt es bereits solch einen Master. Doch die Situation bleibt weiter angespannt: „Ich weiß, dass ich irgendwo ein Loch stopfen werde, aber ein anderes in der Musikschule hinterlassen werde, wo auch Mangel herrscht“, so Stiller.