Bei der Instandsetzung des WDR-Filmhauses sind die Kosten explodiert.
Von anfangs 65 Millionen Euro haben sie sich auf 240 Millionen Euro erhöht.
Der Vorgang zeigt, wie sorglos mit den Beitragsgeldern umgegangen wird, die jeder zahlen muss..
Köln – Gleich in der ersten Personalversammlung, die Monika Piel 2007 als frisch ernannte Intendantin des Kölner WDR leitete, brandete Beifall auf. Unter dem Jubel der Mitarbeiter erklärte die gelernte Hörfunk-Journalistin die Pläne ihres Vorgängers Fritz Pleitgen für null und nichtig. „Der WDR gehört in die Innenstadt“, rief Piel. Pleitgen hatte in Köln-Bocklemünd ein neues Sendezentrum aufbauen wollen – dort, wo sich ohnehin zahlreiche Studios, vor allem aber umso mehr brach liegende Flächen befinden. Pläne für Technologiezentren und Cross-Medialität verschwanden nach der Ansage der neuen Intendantin in den Schubladen. „Piel hielt damals das Rad an“, erinnert sich ein Mitarbeiter.
Pleitgen hatte die Weichen für medienübergreifendes Arbeiten stellen wollen. Eine kleine Revolution, denn die strikte Trennung von Medien ist bereits Bestandteil der Architektur des Senders. Begriffe wie Funkhaus (Hörfunk), Archivhaus, Filmhaus (Fernsehen) oder 1Live-Haus (Hörfunk) machen das deutlich.
Fünf Jahre später, im März 2012, meldete der Sender Erfolg in eigener Sache. Die hauseigene Zeitung „WDR Print“ berichtete im Aufmacher über „Kölns neue Radio-City“. Gebäude um Gebäude in der Innenstadt zählte der Autor auf und Sender um Sender. Wer die enorme steinerne Macht öffentlich-rechtlichen Rundfunks besichtigen will, ist in Köln richtig. Mit der Karte „Der WDR in der Innenstadt“ in der Hand kann man ausgedehnte Spaziergänge unternehmen. Der Sender liegt wie ein gewaltiger Lindwurm in der City, der vom Dom bis fast an den Neumarkt reicht, eine Stadt in der Stadt. Die Hauspostille jubelte seinerzeit. Nun sei der WDR „erfahrbar als Kulturträger, als Garant korrekter Aktualität.“ Was immer das heißen mag.
Heute werden die Verantwortlichen jene Tage verwünschen, in denen der WDR begann, es sich in der Vergangenheit gemütlich zu machen, während Sender wie der Norddeutsche Rundfunk in Sachen journalistischer Technologie enteilten. Die aktuelle Kostenexplosion der Sanierung am WDR-Filmhaus von 65 auf 240 Millionen Euro zeigt nicht nur, wie sorglos mit den Beitragsgeldern umgegangen wird, die jeder zu entrichten hat. Sie lenkt den Blick vor allem auf die strukturellen Probleme der größten deutschen Landesrundfunkanstalt und dem – gemessen an der Zahl der Beschäftigten – zweitgrößten Senders Europas nach der englischen BBC.
Der WDR befindet sich mit seinen Umbauplänen in der Zwangsjacke eines historischen Baukörpers, der für einen anderen Zweck geplant war. Im Filmhaus sollte Fernsehen gemacht werden. Nun wird aber nicht nur saniert, was die sattsam bekannten Risiken birgt. Vielmehr werden in den Zweckbau Multi-Medialität und völlig neue Funktionsbündel gezwungen. Nach dem Architektenwettbewerb, den das Basler Büro Buchner Bründler Architekten Ende 2015 gewann, wurden bald schon massive Umplanungen notwendig. Beobachter berichten, dass ein Mitarbeiter aus der obersten Führungsebene nach dem Besuch von Redaktionen in Skandinavien den Planern einen Strich durch die Rechnung machte. So sollte nun zum Beispiel die Decke im Newsroom, dem Nachrichtenraum, über mehrere Geschosse geöffnet werden. Eine solche vertikale Öffnung ist in der Tat optisch beeindruckend und bei Chef-Journalisten beliebt, wenn sie nicht auf Geld achten müssen. Funktionale Begründungen dafür zu finden, fällt indes schwerer. Bereits durch diese Änderung, so heißt es im Sender, hätten die geplanten Baukosten die 100 Millionen-Grenze überschritten.
Der WDR wollte sich auf Anfrage weder dazu äußern, welchen Anteil der Newsroom an den Gesamtkosten einnimmt, noch dazu, wer in der Rundfunkanstalt die Anregung zum Bau der großzügigen vertikalen Variante gab. Eine Sprecherin teilte mit, dass die Gestaltung des Newsrooms in den Jahren 2016 und 2017 festgelegt wurde, nach Angaben des WDR vor der Vorlage des Architektenentwurfs. Der erste Entwurf für das Filmhaus stammt allerdings schon aus dem Jahr 2015.
In den WDR-Arkaden gibt es bereits einen vertikal offenen Newsroom, der aber offenbar den im hohen Norden geweckten Ansprüchen der Führungsetage nicht gerecht wurde. Schritte wie dieser führten dem Vernehmen nach zu Unmut und Kritik auch im höheren redaktionellen Management des WDR, das nicht nur den mitunter rigiden Sparkurs gegenüber den eigenen, häufig frei angestellten Mitarbeitern vertreten muss. Durch die Cross-Medialität, die nach den Jahren des Stillstands nun mit um so größerer Macht voran getrieben wird, blieb in der Arbeitswelt buchstäblich kein Stein auf dem anderen. Verantwortungsbereiche, Ressorts, Arbeitsabläufe und Hierarchien werden in Frage gestellt und neu zugeschnitten. Von notwendiger Erneuerung ist unter hochrangigen Mitarbeitern ebenso die Rede wie von einer schwer erträglichen Beschäftigung des Senders mit sich selbst.
Eigentlich müsste in diesem Zusammenhang auch ein Auszug des WDR aus der Innenstadt erwogen werden. Die mit den neuen Medien verbundene Zusammenlegung verschiedener Gattungen wie Internet, Film, Rundfunk und lineares Fernsehen sind in klassischen Baukörpern vermutlich nur – siehe Newsroom im WDR-Filmhaus – mit hohen Kostenrisiken umzusetzen, wenn überhaupt. Anstalten wie etwa der Bayerische Rundfunk verlagern daher weite Teile ihres Betriebs aus der Innenstadt in das nördlich von München gelegene Unterföhring. Hier glaubt man den künftigen Anforderungen besser gerecht werden zu können.
„Jetzt ist es, als wolle man in einen winzigen Fiat 500 aus der Nachkriegszeit moderne Technik wie ABS, ESP, Abgasreinigung und Knautschzonen einbauen“, sagt ein Mitarbeiter. „Das kann nicht funktionieren“.
Die zur Zeit avisierten 240 Millionen Euro für Sanierung und Umbau allein des Filmhauses hätte man in einen Neubau investieren können. Ohnehin werden in der Branche alle fünf bis sechs Jahre neue Newsroom-Konzepte verfolgt, die dann ihrerseits rasch umgesetzt werden müssten – mit allen baulichen Veränderungen, die dazu gehören.
Eindruck mangelnder Professionalität
Erstaunen wecken ferner die eigenen Angaben des WDR zur Bauzeit des zentral gelegenen Gebäudes – es grenzt an die hoch frequentierte innenstädtische Nord-Süd-Fahrt. Der Sender geht von einer Bauzeitverzögerung von vier Jahren aus und begründet dies – ohne einen sachlichen Zusammenhang erkennbar zu machen – mit dem Zeitverlust von vier Monaten bei der Ausschreibung sowie einem um fünf Monate verspäteten Baubeginn, einem Zeitraum von neun Monaten also. Der Eindruck mangelnder Professionalität wird gestützt von hektischen Versuchen, überhaupt einen Bauunternehmer zu finden. Von einem „Kuriosum im öffentlichen Vergabewesen“ spricht ein Mitarbeiter angesichts von Aufrufen des WDR an seine Angestellten, der Gebäudewirtschaft persönlich bekannte potenzielle Baufirmen zu melden.
Vermutlich werden auch die Ermittlungen des Kölner Kriminalkommissariats 32 in der Gebäudewirtschaft des WDR für Unruhe, Verzögerungen und damit verbundene Kostenerhöhungen gesorgt haben. Ermittelt wurde wegen Bestechlichkeit bei der Vergabe von Bauleistungen an einen Kölner Unternehmer. Einer von zwei Beschuldigten sei mittlerweile im Ruhestand, einem anderen wurde fristlos gekündigt, heißt es. Waren diese Mitarbeiter auch in die Betreuung des Filmhauses und damit möglicherweise in das Sanierungsprojekt einbezogen? Der WDR teilte auf Anfrage mit, dass es keinen aktiven Mitarbeiter gebe, gegen den ermittelt werde. Auch ein Zusammenhang zum Projekt „Sanierung Filmhaus“ sei nicht gegeben.
Dass der Sender eine wenig glückliche Hand im Umgang mit Immobilien hat, zeigt auch der Verkauf eines innerstädtischen WDR-Grundstücks in Bestlage. Im WDR-Geschäftsbericht des Jahres 2007 wird vom „stark sanierungsbedürftigen Gebäude Carltonhaus und Budengasse“ berichtet. Das ehemalige Hotel Carlton begrenzt den Roncalli-Platz auf seiner Südseite und liegt damit dem Dom direkt gegenüber. Es wurde später als Bürohaus genutzt. Im Gebäude Budengasse waren Hörfunk-Redaktionen untergebracht. Die Budengasse stand auch Pate für eine beliebte Rundfunksendung.
Der Verkaufspreis für die WDR-Immobilien, laut eines Insiders ein Betrag unter 20 Millionen Euro, rief damals bereits Verwunderung hervor. Ebenso war es mit den Verkaufsmodalitäten. Der WDR gab das Grundstück erst an einen provisionsberechtigten Makler, der es dann seinerseits an die Lammerting-Gruppe verkaufte, die schließlich über viele Jahre Eigentümer blieb, bis sie den Komplex vor wenigen Jahren an einen neuen Investor veräußerte.
Auch zwölf Jahre nach dem Verkauf werden die vom WDR seinerzeit als „stark sanierungsbedürftig“ eingestuften Gebäude intensiv genutzt – im Erdgeschoss des Carltonhauses etwa von gastronomischen Betrieben sowie von jungen Firmen, sogenannten Start-Ups, die in den darüber liegenden Geschossen tätig sind. Von hier aus hatte Henriette Reker im Jahr 2015 ihren Wahlkampf für das Oberbürgermeisteramt organisiert.
Der im Vergleich geringe Verkaufspreis ermöglichte es dem Investor also über viele Jahre, das Ensemble auch unsaniert zu nutzen. Durch diese Praxis trug der Sender indirekt dazu bei, dass ein Grundstück in exponiertester Kölner Lage nicht seinem Wert entsprechend genutzt und das Stadtbild an zentraler Stelle in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ob und in welchem Umfang neben dem städtebaulichen Stillstand auch Schaden für die Zahler von Rundfunkbeiträgen entstand, ist bislang nicht aufgearbeitet worden.