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Kölner SilvesternachtTäter verabredeten sich per Mundpropaganda

Lesezeit 3 Minuten

Die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof.

Köln – Die große Menschenmenge, aus der in der Kölner Silvester-Nacht zahlreiche Straftaten begangen wurden, hat sich vermutlich über Mundpropaganda zum Treffen am Hauptbahnhof an Silvester verabredet. Zu dieser Mutmaßung kommt das rechtspsychologische Gutachten, das dem Silvesternacht-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags präsentiert wurde.

Für die Expertise, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, hat der Gutachter und Rechtspsychologe Rudolf Egg 1022 Strafanzeigen ausgewertet, die im Zuge der Silvesternacht bei der Polizei eingegangen waren. Davon befassen sich 302 Anzeigen mit einem Sexualdelikt, 175 mit einer Kombination aus Eigentums- und Sexualdelikt. Neben einer Einschätzung der Vorfälle finden sich in dem Schriftstück auch etliche Zeugenaussagen mit teils drastischen Erlebnisberichten wieder.

Egg schreibt, dass man eine rein zufällige, von vornherein nicht beabsichtigte Begegnung der Männer vernünftigerweise ausschließen könne. Dafür seien zu viele Männer zur selben Zeit am selben Ort gewesen. Es liege daher die Vermutung nahe, dass es im Vorfeld der Ereignisse irgendeine Form der Verabredung oder Absprache gegeben hat, die mehrere Hundert Männer aus dem nordafrikanischen Raum veranlasste, den Silvesterabend 2015 im Bereich des Kölner Hauptbahnhofs zu verbringen.

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„Zu denken wäre hier an eine Art Mundpropaganda in Flüchtlingsheimen oder anderen Wohnunterkünften, oder auch an Verabredungen unter Nutzung sozialer Medien wie Facebook oder Whats App“, heißt es weiter.

Das Motiv des Treffens am Hauptbahnhof bleibt indes weiter offen. Egg schreibt, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass sich Hunderte Männer ausschließlich deshalb verabredet hätten, um dort unter Ausnutzung der Silvesterfeierlichkeiten massenhaft Eigentums- und Sexualdelikte zu begehen. Der Sachverständige vermutet, dass es zwar so etwas wie eine allgemeine Einladung zur Teilnahme an einem Treffen gegeben habe, diese aber für die Mehrzahl der Teilnehmer nicht mit der Absicht zur Begehung von Straftaten verbunden war.

Hinweise darauf, dass sich die Täter bei ihren Straftaten in irgendeiner Weise organisiert hatten, finden sich lediglich in etwa zehn Prozent der von Egg analysierten Strafanzeigen. Auch dabei handele es sich meist nur um Mutmaßungen der Geschädigten, seltener um das Ergebnis konkreter Beobachtungen. Nach der Durchsicht der Strafanzeigen ergibt sich für Egg der Eindruck, „dass es zwar in etlichen Fällen Absprachen zahlreicher kleinerer Tätergruppen gegeben haben dürfte“. Bezogen auf die breite Masse der Täter lasse sich den Anzeigen aber kein höherer Grad an Organisation entnehmen.

Warum es aber trotzdem zu einer solch hohen Zahl von Straftaten kam, lässt sich laut Gutachter womöglich auf die „Broken-Windows-Theorie“ (Zerbrochene Fenster) zurückführen, die in den 1980er Jahren in den USA entwickelt wurde.

Sie besagt, dass ein Umfeld, das Menschen ein hohes Maß an Anonymität verleiht, das Gefühl von persönlicher Verantwortung und damit die Beachtung von sozialen und rechtlichen Regeln reduziert, wenn vor Ort bereits von anderen Personen Straftaten begangen wurden, die offenbar ohne Konsequenzen geblieben sind. „Genau dies war in der Kölner Silvesternacht der Fall“, schreibt Egg und erklärt: „In einer solchen Umgebung können auch Personen, die ansonsten strafrechtlich unauffällig sind, antisoziales, egoistisches beziehungsweise kriminelles Verhalten zeigen.“

Wie aus dem Gutachten hervorgeht, fanden rund 72 Prozent der angezeigten Verbrechen im Freien statt, fast die Hälfte dieser Straftaten auf dem Bahnhofsvorplatz. Ein knappes Viertel wurde auf der Domplatte begangen. Die meisten Sexualdelikte und kombinierten Sexual- und Eigentumsdelikte fanden zwischen 20.30 Uhr und 23.35 Uhr statt, die reinen Eigentumsdelikte wurden laut Gutachten großteils zwischen 1.20 Uhr und 6 Uhr begangen.

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