Rückblick Silvesternacht 2015So waren die ersten Tage nach den Übergriffen in Köln
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Köln – Der Begriff „Silvesternacht“ wäre beinahe zum Wort des Jahres 2016 gewählt worden. Hinter „postfaktisch“ und „Brexit“ landeten die sexuellen Übergriffe und Diebstähle auf Platz 3. So sehr haben die Ereignisse Deutschland und vor allem Köln in den vergangenen Monaten geprägt.
Wir blicken deshalb zum Jahresende noch einmal zurück auf die Silvesternacht und die ersten Tage nach dem Jahreswechsel:
31. Dezember 2015
Gegen 22 Uhr herrscht reges Gedränge am Hauptbahnhof, der Ausgang Richtung Dom ist überfüllt. Auf dem Bahnhofsplatz fliegen Raketen und Böller in die Menge.
Mehrere Gruppen junger Männer kreisen Feiernde ein. Einige Handys und Geldbörsen werden gestohlen. Um 23.30 Uhr beschließt die Polizei, die Domtreppe zu räumen - akute Panikgefahr.
Nach Mitternacht steigt die aggressive Stimmung am Hauptbahnhof weiter an. Mindestens 200 angetrunkene junge Männer mit ausländischem Hintergrund pöbeln in der überfüllten Bahnhofshalle Passanten an und belästigen zahlreiche Frauen. Die Polizei erhält nach eigenen Angaben die ersten Hinweise von Frauen, die berichten, sie seien sexuell belästigt worden.
1. Januar 2016
In einer Pressemitteilung, die um 9 Uhr veröffentlicht wird, schreibt die Polizei, die Silvesterfeier in der Innenstadt sei „friedlich“ verlaufen. Von den unglaublichen Vorgängen am Dom ist mit keinem Wort die Rede. Bis zum Abend erstatten fast 300 Betroffene Anzeige bei der Polizei wegen Straftaten in Domnähe. Darunter sind Taschendiebstähle, Raubüberfälle, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Drogenverstöße und Sexualstraftaten.
Am Mittag berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger als erstes Medium über die sexuellen Übergriffe am Hauptbahnhof. Auf www.ksta.de erscheint der erste Bericht eines Opfers auf.Darin schildert eine 22-Jährige, was sie an dem Abend erlebt hat.Die junge Frau ist eine der ersten, die Anzeige erstattet haben.
2. Januar 2016
Zehn Polizeibeamte bilden die Ermittlungsgruppe „Neujahr“, die für die Aufklärung der Taten sorgen soll. Fünf Verdächtige werden am Breslauer Platz festgenommen, als sie einem 25-Jährigen das Handy stehlen. Die Festgenommenen werden der eingerichteten Ermittlungsgruppe der Kölner Polizei übergeben.
Auf einer Polizei-Pressekonferenz zum Thema berichten die Beamten von einem bedrohlichen Ausmaß der Taten: Mehr als 1.000 Männer gehören zu der Gruppe, die für die Übergriffe verantwortlich gemacht wird. In etwa zur selben Zeit wird klar: Die Polizeiführung hat die Herkunft der Täter verschwiegen: Nicht nur „Antänzer-Trickdiebe“, sondern auch um Männer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan waren beteiligt. Offiziell ist jedoch von „Nordafrikanern“ und „Menschen aus dem arabischen Raum“ die Rede. Von Bundesinnenminister Thomas de Maizière kommt Kritik: Die Kölner Polizei hätte versagt, findet der CDU-Politiker.
Der LVR, der Weißer Ring und andere Hilfsorganisationen richten Hilfsangebote für die Opfer der Übergriffe ein. Erste Touristen sagen ihre Reisen nach Köln ab.
Zum Thema Gewalt gegen Frauen gehen am Dienstagabend knapp 300 Menschen auf die Straße; alles bleibt friedlich.
8. Januar 2016
Der Kölner Polizei gelingt die Ortung einiger Mobiltelefone, die in der Silvesternacht gestohlen wurden. Die Handys werden in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften ausgemacht.
Ein Sprecher des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) gibt bekannt, dass die Kölner Polizei trotz der äußerst brisanten Lage am Hauptbahnhof eine angebotene Verstärkung abgelehnt hat. Die Landesleitstelle in Duisburg hatte den Kölnern eine Hundertschaft zur Verfügung gestellt, Köln lehnte jedoch ab. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker distanziert sich klar von der Polizei.
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) versetzt Polizeipräsident Wolfgang Albers wegen seiner desaströsen Informationspolitik am späten Nachmittag in den einstweiligen Ruhestand. Als Nachfolger sind Birgitta Radermacher, seit 2010 Polizeipräsidentin für den Raum Wuppertal, Solingen und Remscheid sowie dem Düsseldorfer Polizeipräsidenten, Norbert Wesseler, im Gespräch.
Migranten werden bei Attacken in der Kölner Innenstadt verletzt
Bei einer Kundgebung am Dom distanzieren sich mehrere syrische Männer von den Taten der Silvesternacht. Sie halten Transparente mit der Aufschrift „Sorry Mädels, wir Syrer schämen uns für diese Arschlöcher“ in die Höhe. Die Gruppe „Syrische Männer für Fairness“ verteilt entsprechende Flugblätter an der Uni Köln.
Der NRW-Landtag richtet einen Untersuchungsausschuss ein, um aufzuklären, wer welche Fehler gemacht hat. Im Laufe des Jahres klärt sich, dass dem Einsatzleiter der Polizei schon gegen 20.30 Uhr die aufgeheizte Stimmung am Dom aufgefallen war, er aber auch als sich die Situation verschärfte keine Veranlassung sah, sofort Polizeikräfte zu schicken. Außerdem wurden die Ereignisse vor Ort in der Behörde mangelhaft kommuniziert. So drangen die Meldung zum Beispiel nicht bis zur Polizei-Pressestelle durch.
Der aktuelle Stand
Am Jahresende spricht die Staatsanwaltschaft Köln von insgesamt 1.222 Anzeigen aus der Silvesternacht. Bei 513 von ihnen geht es um Sexualdelikte – von sexueller Nötigung bis zur Vergewaltigung. Es wurden 267 Verfahren eröffnet, von denen 124 bereits wieder eingestellt sind, weil kein hinreichender Tatverdacht bestand oder die Verdächtigen nicht auffindbar waren. 35 Verdächtige wurden bislang angeklagt.
Zwei Männer bekamen Bewährungsstrafen wegen sexueller Nötigung, ein Angeklagter wurde wegen sexueller Beleidigung zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Unter den 333 mutmaßlichen Tätern sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft 95 aus Algerien, 82 aus Marokko, 36 aus dem Irak, 28 aus Syrien und 25 aus Deutschland. Insgesamt 109 Männer seien Asylsuchende oder Asylbewerber, 53 hielten sich illegal in Deutschland auf.