Regelmäßig liest man von E-Scooter-Unfällen in Köln. Welche Folgen haben die Unfälle für die Fahrer? Eine neue Studie bringt Klarheit.
Studie der UniklinikUnfälle mit bis zu 2,5 Promille – Mit diesen Verletzungen enden E-Scooter-Unfälle in Köln
Er habe sofort gewusst: „Da kommt etwas auf uns zu.“ Als die E-Scooter im Juni 2019 auch für die Kölner Straßen zugelassen wurden, hat Andreas Harbrecht direkt angefangen, die Unfälle mit den neuen Fahrzeugen in einer Studie auszuwerten. „In der unfallchirurgischen Fachgesellschaft schärfte sich das Bewusstsein dafür, dass ein erhöhtes und in Teilen auch unbekanntes Verletzungsmuster zu erwarten ist“, sagt er über die Zeit der Zulassung. Harbrecht arbeitet als Oberarzt in der Unfallchirurgie an der Uniklinik. „Wir haben eine Studie ins Leben gerufen, um die möglichen Verletzungsfolgen wissenschaftlich aufzuarbeiten.“ Die Ergebnisse bestätigen nun den Eindruck, den er von den Scootern im Straßenbild ohnehin gewonnen hatte.
Die zentralen Erkenntnisse: Die Unfälle sind vermeidbar, die Patientinnen und Patienten sind sehr jung, häufig betrunken und sie verletzen sich vor allem im Gesicht. Alleine an der Unfallchirurgie der Uniklinik landeten im ersten Jahr 59 Menschen, die sich bei einer E-Scooter-Fahrt verletzt haben. Das Durchschnittsalter: 28 Jahre. „Die Ergebnisse sind mit internationalen Studien zu Verletzungsfolgen von E-Scootern eins zu eins übertragbar. In der Regel verunfallen die Menschen unvermittelt und ohne die Möglichkeit, den Aufprall abzufangen“, so Harbrecht weiter. „Das führt häufig zu Gesichts- und Kopfverletzungen.“ Im ersten Halbjahr 2020 ging die Zahl bereits zurück, wohl auch infolge der Corona-Pandemie, in der die Menschen weniger unterwegs waren.
Kölner Uniklinik: Gelernt haben die Nutzer bislang nichts
Im Jahr 2021 hat die Uniklinik eine zweite Studie mit der selben Fragestellung durchgeführt. Die Ergebnisse waren einigermaßen ernüchternd: „Nach Veröffentlichung der ersten Studie stellten wir uns die Frage: Haben die Leute etwas aus den inzwischen bekannten Risiken gelernt? Die klare Antwort ist nein.“ Mit 97 Fällen war das Unfallaufkommen höher, die Verletzungen fielen gravierender aus, die Anzahl an Fällen, in denen Alkohol nachgewiesen werden konnte, stieg und die Verletzten waren im Durchschnitt noch etwas jünger.
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In 20 der 97 Fälle wurde Alkohol im Blut nachgewiesen. Den Alkoholtest führen die Mediziner allerdings nur durch, wenn er aus ihrer Sicht für die Behandlung notwendig ist. Unter den Alkohol-Fahrern lag der niedrigste gemessene Blutalkohol-Wert bei 1,1 Promille, der höchste bei 2,5 Promille. Der Durchschnit: 1,7 Promille. Harbrecht weist darauf hin, dass „für E-Scooter-Fahrer die identischen Regeln zum Fahrens unter Alkoholeinfluss gelten wie bei den Autofahrern“. Er geht außerdem von einer hohen Dunkelziffer aus, weil in vielen Fällen kein Blut entnommen werde. Seine Schätzung: Die Dunkelziffer ist mindestens doppelt so hoch. Rund die Hälfte der Fälle könnte also mit Alkohol zu tun haben.
Kölner Mediziner: „Fahrer schaffen es nicht, ihren Sturz abzufangen“
Lars Müller, Leiter der Unfall-, Hand- und Ellenbogenchirurgie, sagt: „Durch die herabgesetzten Schutzreflexe und das relativ hohe Tempo schaffen es die Menschen häufig nicht, ihren Sturz abzufangen. Das Gesicht kollidiert mit der Straße. Das ist ein deutliches Muster, das wir durch die Verletzungsanalyse dieser Studie sehen konnten.“ Das Muster spiegelt sich auch in den Verletzungen, die durch die Unfälle entstehen: 60 Prozent der Verletzten hatten Gesichtsverletzungen, 43 Prozent Verletzungen an Arm oder Schulter. Bei 29 Prozent hat das Team von Harbrecht und Müller Kopfverletzungen, die außerhalb des Gesichts liegen, registriert. Es folgen Verletzungen am Bein, an der Brust, an Rücken, Bauch und Hüfte (siehe Grafik).
Müller geht davon aus, dass ein Großteil der Verletzungen im linksrheinischen Köln an seiner Klinik landet. Rechtsrheinisch versorge die städtische Klinik in Merheim die meisten dieser Patienten. Zwar reichen die Daten der Uniklinik, die nun vollständig veröffentlicht wurden, nur bis Ende 2021. Die Unfallstatistik der Polizei lässt allerdings erahnen, dass das Problem keineswegs kleiner geworden ist. Wurden 2020 stadtweit noch 142 E-Scooter-Unfälle und 25 Schwerverletzte gemeldet, sind es 2021 347 Unfälle und 64 Schwerverletzte. 2022 folgte erneut ein Anstieg, wenn auch nur leicht: 354 Unfälle und 67 Schwerverletzte sind im vergangenen Jahr in die Statistik eingegangen.
Einen bedeutend höheren Arbeitsaufwand gebe es an der Uniklinik durch den Trend zu E-Scooter-Unfällen nicht. „Hier werden pro Jahr 12.000 Patienten unfallchirurgisch behandelt. Das Gesamtaufkommen hat sich durch die E-Scooter nicht verändert.“ Die Studie habe aber durchaus geholfen, die Verletzten bestmöglich zu behandeln. „Bei Verunfallten, die über den Schockraum, also potenziell schwer verletzt, angemeldet werden, sind wir inzwischen sehr großzügig, was die weitere Diagnostik betrifft und mobilisieren im Zweifel mehr Ressourcen, als auf den ersten Blick notwendig erscheint. Auf die Selbstangaben der alkoholisierten Fahrer können wir uns nicht verlassen“, so Müller.
Die Unfälle sind zahlentechnisch nicht mit Fahrradunfällen zu vergleichen. Auch die Folgen sind bei Fahrradunfällen oft schwerer. Die E-Scooter-Unfälle scheinen aber in vielen Fällen vermeidbar. „Im Gegensatz zu Fahrradfahren, die häufig selbst Opfer eines Verkehrsunfalles werden, verunfallten die E-Scooter Fahrer meist selbstverschuldet“, sagt Harbrecht.
Wären die Unfälle mit einer niedrigeren Geschwindigkeit vermeidbar? Harbrecht sieht in den 20 Kilometern pro Stunde, mit denen die Scooter fahren dürfen, kein echtes Problem. Mehr dürfe es aber auch nicht sein. „Eine Erhöhung der Geschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde könnte aus unserer Sicht das Verletzungsrisiko signifikant ansteigen lassen.“ Aber er hat einen anderen Kritikpunkt. „Die maximale Geschwindigkeit wäre aus unfallchirurgischer Sicht vertretbar, wenn ein Helm verpflichtend getragen werden müsste“, sagt er. Eine Helmpflicht gilt allerdings nicht.
E-Scooter-Anbieter empfehlen Helme, planen aber keine Anreize zum Tragen
Die Anbieter „Lime“ und „Tier“, die in Köln seit dem Start im Sommer 2019 Scooter anbieten, teilten auf Anfrage mit, dass sie ihren Nutzern das Tragen von Helmen empfehlen. Doch sie sind weit davon entfernt, Helme für ihre Scooter zur Pflicht zu machen. In den Jahren 2020 und 2021 experimentierte Tier in Berlin und in Paris mit einer Helmbox. Diese sei allerdings kaum genutzt worden, teilte das Unternehmen mit. „Lime“ belohnt Nutzer, die ein Selfie mit Helm hochladen: Sie bekommen für die jeweilige Fahrt einen Rabatt. Für Köln ist das bislang nicht geplant. Die Regeln müsste also jemand anderes machen, die Betreiber selbst werden Nutzer ohne Helm wohl nicht ernsthaft benachteiligen. Dafür wäre der eigene Wettbewerbsnachteil zu groß.
Und so ist nicht davon auszugehen, dass die Meldungen über E-Scooter-Unfälle, die es vor allem am Wochenende in Köln in unschöner Regelmäßigkeit gibt, abnehmen.