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Hoffnung kehrt zurückSyrer in Köln sind im „Feiermodus“ nach Assads Sturz

Lesezeit 4 Minuten
Schon 2011 hat Alaa Alshibli Syrien verlassen. Inzwischen lebt er in Köln. Und ist überrascht, was am Wochenende in seiner Heimat passiert ist.

Schon 2011 hat Alaa Alshibli Syrien verlassen. Inzwischen lebt er in Köln. Und ist überrascht, was am Wochenende in seiner Heimat passiert ist.

Vor mehr als zehn Jahren verließ Alaa Alshibli Syrien. Nach dem Ende des Assad-Regimes blickt der Kölner euphorisch in die Zukunft seiner Heimat.

Hoffnung. Ein Wort, das immer wieder fällt, wenn Alaa Eddin Alshibli über Syrien spricht. Das ist neu. Eigentlich hatten die meisten Syrerinnen und Syrer die Hoffnung bereits aufgegeben. Unter der gewaltsamen Herrschaft unter Präsident Baschar Hafiz al-Assad wurde das Land sanktioniert, es kam zur Inflation, Lebensmittel wurden immer teurer, die meisten Menschen lebten unterhalb der Armutsgrenze. Alshibli spricht von einem Syrien, das „deprimierend“ gewesen sei.

Eine Perspektive, die daran etwas ändern könnte, gab es nicht. Assad schien zu stark, solange Russland und der Iran ihn unterstützen. Der Widerstand gegen das Regime hatte dagegen keine Chance. „Viele hatten nur noch die Möglichkeit, das Land zu verlassen“, sagt der 37-jährige Alshibli, der 2017 für sein Studium nach Deutschland gekommen ist. Heute ist er Bildungsreferent für Klimawandel und Migration beim Kölner Flüchtlingsrat. Schon 2011 hatte er Syrien verlassen, um zu arbeiten, aber auch um dem Militärdienst zu entgehen, zu dem ihn das Regime gezwungen hätte.

Kölner aus Syrien: „Niemand hat mit diesem schnellen Wandel gerechnet, weil es keine Vorzeichen gab“

In der Nacht zum Sonntag (8. Dezember) passierte dann das, womit Alshibli und viele – wenn nicht sogar die meisten Syrerinnen und Syrer – nicht mehr gerechnet hatten: Die Rebellen erobern Damaskus, Präsident Assad musste nach Moskau fliehen. Die Diktatur der Familie Assad, die das Land zerstört hat und so viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieb oder ihnen das Leben kostete, ist nach 53 Jahren vorbei.

Wie vermutlich viele seiner Landsleute verfolgte Alshibli in dieser historischen Nacht aufgeregt die Nachrichten. Vor allem, weil alles so plötzlich geschah. „Niemand hat mit diesem schnellen Wandel gerechnet, weil es keine Vorzeichen gab“, sagt Alaa Alshibli. Seine Familie, die in Aleppo – im Norden Syriens – lebt, sei überrascht und zugleich schockiert gewesen, als die Rebellen vor einer Woche die Stadt vollständig einnahmen. Das war ihnen zuvor noch nie gelungen.

Erst verschwanden Assads Soldaten, dann waren plötzlich andere bewaffnete Männer in Aleppo. Und mit ihnen die Angst. Vor Assads Bomben und russischen Luftangriffen. Die haben oft Zivilisten, Wohngebiete oder Krankenhäuser zum Ziel. Es ist eine bekannte Strategie des Regimes gegen Rebellen, deren Auswirkungen die Menschen in Syrien schon seit Jahren kennen. Doch die Bomben hielten die Oppositionellen dieses Mal nicht auf. Stattdessen zogen sie weiter, nahmen noch die Städte Hama, Homs sowie die Hauptstadt Damaskus ein und zwangen Assad zur Flucht.

Optimismus, aber auch Pessimismus für die Zukunft Syriens

„Syrien steht vor einer neuen Ära“, sagt Alshibli dazu. Alle Syrerinnen und Syrer, die er in Köln kennt, seien seitdem im „Feiermodus“. Nicht nur, weil Assad gestürzt wurde, sondern weil auch damit die Hoffnung wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Alshibli: „Wir haben eine Chance auf Demokratie und Frieden – und das wünsche ich mir.“

Trotz allem Optimismus schwingt laut Alshibli auch eine gewisse Portion Pessimismus mit: „Wir Syrer haben schon das Schlimmste erlebt – es sind viele bewaffnete Akteure im Land, die alle eigene Interessen verfolgen“. Zu den Rebellen gehören unter anderem Islamisten wie die Gruppe Hajat Tahrir al-Scham, Kurdenmilizen und Zellen der Terrormiliz Islamischer Staat. Es ist noch unklar, ob und wie sich diese Gruppen einigen werden, wenn es darum geht, eine neue Regierung in Syrien zu bilden.

Vorerst keine Entscheidung über Asylanträge Kölner Flüchtlingsrat kritisiert Entscheidung des BAMF

Nachdem viele Menschen das Ende des Assad-Regimes gefeiert hatten, behaupteten Politikerinnen und Politiker der Unionsparteien und der AfD, dass syrische Geflüchtete nun Deutschland wieder verlassen könnten. Alshibli sieht das anders: „Syrien jetzt zu einem ‚sicheren Herkunftsland‘ zu erklären, ist falsch“. Statt über Abschiebungen zu sprechen, sollte darüber diskutiert werden, wie man die Menschen in Syrien beim Wiederaufbau unterstützen kann. Nicht nur von seiner Heimat, sondern auch von einer Demokratie in dem arabischen Staat.

Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer vom Kölner Flüchtlingsrat

Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer vom Kölner Flüchtlingsrat, kritisiert die politischen Debatten über Geflüchtete nach dem Umbruch in Syrien.

Denn das Land ist noch nicht sicher, es ist Krieg. In seiner Heimat herrsche ein „politisches Vakuum“ – ohne legitime Regierung, Ministerien, Infrastruktur, Polizei oder eine vereinte Armee. 13 Jahre Bürgerkrieg haben ihre Spuren hinterlassen. „Wäre es sicher, würden viele Syrerinnen und Syrer auch freiwillig wieder in ihre Heimat zu ihren Familien und Freunden zurückkehren wollen“, sagt Alshibli.

Das sieht auch sein Kollege Claus-Ulrich Prölß so. Der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrates sagt, dass der Aufenthaltsstatus von syrischen Geflüchteten jetzt gefestigt werden müsste. Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorerst nicht mehr über Asylanträge entscheiden will, kritisiert Prölß: „Wir fordern, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Abschiebestopps verhängt.“ In Syrien sei es derzeit noch chaotisch. „Es kann nicht sein, dass Menschen in diese Situation zurückkehren sollen.“ Laut Prölß verkenne die Politik die aktuelle Lage komplett. Er würde sich deshalb mehr Sachlichkeit und Weitblick wünschen.