Gleich in zwei Fällen untersagte die Stadt Köln am vergangenen Wochenende kurzfristig die Teilnahme von tausenden Zuschauern an Großveranstaltungen.
Die Verantwortlichen beim 1. FC Köln und in der Lanxess-Arena sind über das Timing sehr unglücklich.
Auch wenn sie betonen, dass der Gesundheitsschutz vorgehe, fordern sie mehr Planungssicherheit von der Stadt.
Köln – Nach der kurzfristigen Entscheidung der Stadt, zum Heimspiel des 1. FC Köln keine Zuschauer zuzulassen und die für Sonntagabend geplante Show der Ehrlich Brothers in der Lanxess-Arena abzusagen, gehen die Verantwortlichen auf Konfrontationskurs. Die Geschäftsführer des FC und der Arena beklagen hohe finanzielle Einbußen durch die Entscheidung. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Warum durfte der 1. FC Köln am Samstag nicht vor Fans spielen?
Die Absage erreichte den Verein erst am Freitagabend, bis dahin hatten die Verantwortlichen damit gerechnet, 9200 Zuschauer im Stadion begrüßen zu dürfen und die Spielstätte entsprechend vorbereitet. Dann hatte sich die 7-Tage-Inzidenz dem Grenzwert von 35 genähert, ein Modell sah für Samstag die Zahl von 35,2 voraus. Niemand wollte ein Risiko eingehen – und tatsächlich nannte das Presseamt der Stadt Köln dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Inzidenzzahl, die am Freitag „final bei 36,75“ gelegen habe. Offenbar ergab sich dieser Wert aus Nachmeldungen.
Die Vorsicht hatte also ihre Berechtigung, doch beim FC herrschte Enttäuschung – nicht nur wegen der knappen Niederlage gegen die TSG Hoffenheim (2:3), die womöglich auch durch den Wegfall des Heimvorteils zu erklären war. Nach Informationen dieser Zeitung entstand dem Verein auch ein Einnahmeverlust von 700.000 Euro, dazu zählen Tickets, aber auch Kosten für das Catering im Business-Bereich des Stadions, für den allein 1700 Essen vorbereitet worden waren.
„Wir müssen mit der Stadt und der Staatskanzlei darüber reden. Wir müssen einen Zeitpunkt für die Entscheidung festlegen. Nach der Tagesschau am Vorabend, das ist dann natürlich schwer“, sagte FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle (45).
Grundsätzlich gehe der Schutz der Gesundheit immer vor: „Aber wir brauchen Planungssicherheit. Wir müssen spätestens zwei Arbeitstage vor einem Spiel Klarheit haben, da wir Dienstleister beauftragen müssen. Bei einem Heimspiel am Samstag bräuchten wir also spätestens am Donnerstagmorgen Bescheid. Wir werden uns auch noch mit den Verantwortlichen des Gesundheitsamtes zusammensetzen, um die Prozesse zu besprechen. Ich möchte aber erwähnen, dass wir mit dem Gesundheitsamt einen sehr guten Austausch haben.“
Die Oberbürgermeisterin zeigte sich betroffen. „Ich verstehe den Unmut, auch ich wäre am Samstag gerne im Stadion gewesen“, teilte Henriette Reker am Sonntag mit. „Wenn wir uns aber alle gemeinsam auf Regeln verständigen, dann müssen wir uns auch daran halten. Entscheidungen, die auf aktuellen Zahlen beruhen sollen, können eben auch nur aktuell getroffen werden.“
Wie sehen die Regelungen zum Inzidenzwert bei der DFL aus?
Eine Besonderheit im Konzept der DFL ist die Bestimmung des Inzidenzwertes: Zunächst wird ein Durchschnitt errechnet aus der Inzidenz im Kreis oder der kreisfreien Stadt des Spielortes sowie aller angrenzenden Kreise. Für Köln hätte das einen großen Unterschied bedeutet: Denn im Rhein-Neuss-Kreis etwa liegt die Zahl derzeit bei 6, im Rhein-Erft-Kreis bei 16, im Rhein-Sieg-Kreis bei 13. Nach Berechnung der DFL lag Köln damit klar im Korridor des „mittleren Pandemielevels“.
Hinzu kommt, dass die DFL die Inzidenz nur einmal pro Woche errechnet, für ein Wochenend-Spiel gilt die Inzidenz vom Montag. Der Gedanke dahinter ist, dass sich zum Arbeiten nur eine geringe Anzahl Menschen im Stadion aufhält, von denen außerdem viele regelmäßig getestet werden, etwa Spieler, Schiedsrichter und Funktionsteams.
Würde man allerdings die Frage, ob tausende Zuschauer ins Stadion dürfen, nach denselben Maßstäben handhaben, wäre das angesichts der aktuell dynamischen Entwicklung des Infektionsgeschehens zu leichtsinnig.
Dass Spiele kurzfristig ohne Zuschauer stattfinden müssen, ist dabei aus Sicht der Liga ein Übel, mit dem man in diesen Zeiten leben muss – wichtiger ist, dass der Ball rollt. „Wir werden uns ein Stück weit daran gewöhnen müssen, dass die Flexibilität, die diese Saison erfordert, auch bedeutet, dass wir nicht von vorneherein sagen können, wie jeder Spieltag stattfinden wird“, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert.
Welche Folgen hat die Absage der Show der Ehrlich Brothers in der Lanxess-Arena?
Die Verfügung der Stadt, die für Sonntag geplante Show der Ehrlich Brothers abzusagen, „kam äußerst spät, ich habe das als sehr unglücklich empfunden“, sagt Stefan Löcher, Geschäftsführer der Lanxess-Arena. Rund 20 Dienstleistern und 300 Mitarbeitern habe man kurzfristig absagen müssen – „was natürlich mit hohen Kosten verbunden ist“.
Die Orientierung an Inizidenzzahlen kann der Arena-Chef nur bedingt nachvollziehen. „Ohne den Ausbruch in dem Kölner Burgerladen hätte unsere Veranstaltung wahrscheinlich stattfinden können, weil der Wert dann die Schwelle von 35 nicht überschritten hätte“, sagt Löcher, der sich „eine neue Diskussion über den Umgang mit dem Virus“, wünscht.
„Am Anfang hieß es, es gehe darum, die Intensivkapazitäten der Krankenhäuser nicht zu erschöpfen. Die Intensivstationen sind trotz steigender Fallzahlen leer – wir diskutieren aber über die gleichen Maßnahmen wie zu Beginn der Pandemie.“
Die Politik habe der Veranstaltungswirtschaft bislang nicht signalisiert, wie „sie uns eine Perspektive geben kann. Das bedauere ich, immerhin geht es für uns alle ums Überleben – und unsere Hallen sind im Sinne des Gemeinwohls über Monate leer geblieben“.
Mit tragfähigen Sicherheitskonzepten hoffe er, künftig trotz steigender Infektionszahlen Veranstaltungen in der Arena durchführen zu können. Ob die nächsten Veranstaltungen wie der Auftritt von Martin Rütter am Donnerstagabend oder das Konzert von Luciano am 2. Oktober stattfinden dürfe oder nicht, „hängt aber wohl von der Inzidenzzahl ab“.
Die Austragung der ATP-Tennisturniere mit dem deutschen Weltklassespieler Alexander Zverev Mitte Oktober sei nicht gefährdet – er hoffe, dass dann wie geplant 4000 Menschen in der Halle sein dürften, so Löcher. „Wenn es nicht möglich sein sollte, bekommt natürlich jeder, der ein Ticket gekauft hat, sein Geld zurück.“
Gelten die Regeln auch für die Philharmonie?
In der Kölner Philharmonie können die Konzerte dank eines für das Haus erstellten Hygienekonzepts stattfinden – unabhängig vom aktuellen Inzidenzwert. Für den Besuch gelten Registrierungs- und Maskenpflicht, für eine ausreichende Frischluftzufuhr läuft die Klimaanlage in vollem Betrieb.
Alle Konzerte finden darüber hinaus ohne Pause statt und sind auf eine Dauer unter 90 Minuten angelegt. Registrierungspflicht und feste Sitzplätze erlauben es der Philharmonie, die Besucher im Saal auch ohne einen Mindestabstand von anderthalb Metern zu platzieren. Auf diese Weise können bis zu 1000 Besucher in den 2100 Sitze bietenden Konzertsaal eingelassen werden.
Auf die Kritik zahlreicher Besucher an den ihrer Meinung nach zu laxen Hygienevorkehrungen, antwortete Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger": „Wenn die Corona-Schutzverordnung sagt: Wir dürfen das in der Philharmonie so machen, dann machen wir es auch so. Wir haben das zusammen mit dem Gesundheitsamt entwickelt und sind da auf der ganz sicheren Seite.“
Was sagt der Experte?
Laut Professor Oliver Cornely, Infektiologe an der Kölner Universitätsklinik, ist die Entscheidung für oder gegen Zuschauer beim Spiel des 1. FC Köln „sehr schwierig zu treffen, die Tendenz der Stadt zu mehr Sicherheit begrüße ich allerdings .“
Der 53-Jährige erklärt: „Die Grenzwerte haben eine gewisse Beliebigkeit – in der echten Welt gibt es keinen Corona-Schalter, der auf null oder eins liegt, sondern ein Kontinuum. Auf diesem werden künstliche Grenzen gezogen.“ Ob diese Inzidenz-Grenze bei 34 oder 36 liege, sei „infektiologisch betrachtet nicht wirklich relevant. Wir gestatten eine gewisse Anzahl an Infektionen, kennen diese aber nicht genau.“
Entscheidend für eine Absage habe die Entwicklung gesprochen: „Es war klar, dass die Tendenz steigend ist. Zudem ist grundsätzlich bekannt, dass Fußballspiele eher unkontrollierbare Veranstaltungen sind, es wird gesungen und gejubelt – wenngleich sie unter offenem Himmel stattfinden.“
Analog bewertet der Mediziner die Absage der Show in der Lanxess-Arena als nachvollziehbar. Bezogen auf die Vorstellungen in der Philharmonie sagt Cornely: „Es gilt, jede Veranstaltung einzeln zu analysieren. In der Philharmonie wird vom Publikum nicht gesungen, eher wird kollektiv geschwiegen oder geklatscht. Beides trägt nicht zur Aerosolbildung bei.“
Er könne die Differenzierung der Stadt ebenso nachvollziehen wie die Empörung anderer Veranstalter, es gebe „aktuell zu wenige Daten zum Thema Veranstaltungen“. Mit Corona-Studien in Seniorenheimen, Schulen und Betrieben will die Kölner Uniklinik dies ab Oktober ändern.