Köln – Wenn der Anlass für seinen Aufenthalt nicht so ernst wäre, könnte man fast an einen Schildbürgerstreich denken, so absurd mutet die Szenerie an. Ein Mensch in Warnweste schaut ganz bedeutungsvoll an einer funktionierenden Schranke, ob sie auch wirklich funktioniert – und das rund um die Uhr. Da steht also auf dem Grafenmühlenweg im Stadtteil Dellbrück den ganzen Tag und die ganze Nacht im Schichtbetrieb ein sogenannter Bahnübergangsposten, damit hier auch ja nix schiefgeht.
„Schreiben Sie bloß nicht Schrankenwärter“, sagt Heinz Krämer (Name geändert), der einer von dreien ist, die sich im Schichtbetrieb abwechseln. Warum nicht Schrankenwärter?, fragt man sich als jemand, der sich nicht so auskennt mit derlei Dingen. „Weil ein Schrankenwärter viel mehr macht als ich. Der bedient die Schranke, macht sie mit einem Hebel hoch und runter. So etwas mache ich nicht. Die Schranke funktioniert ja im Prinzip. Ich gucke nur, dass nix passiert“, sagt Krämer, der sich zwar insgesamt schon auskennt, der aber seinen Namen und schon gar sein Gesicht nicht in einer Zeitung sehen will.
Trauriger Grund für das Schauspiel
Seine Schicht hat gerade erst am frühen Nachmittag begonnen. Knapp acht bitterkalte Abendstunden im Schneeregen des Kölner Nordostens hat er noch vor sich. Umgerechnet in Straßenbahndurchfahrten dürften das um die 150 sein.
Vor viereinhalb Monaten – das ist der traurige Grund für dieses Schauspiel am Grafenmühlenweg – ist ein Autofahrer auf dem Übergang mit einer KVB-Bahn der Linie 3 Richtung Thielenbruch zusammengeprallt und mit schweren Kopfverletzungen in die Klinik gekommen. Die Bahnfahrerin erlitt einen Schock. Wie der Wagen genau auf die Schienen gelangen konnte, obwohl die Bahn die Stelle passierte, versucht noch immer ein Gutachten zu klären. KVB und Polizei haben ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.
Das könnte Sie auch interessieren:
„Die Schrankenanlage ist veraltet. Schon vor dem Unfall war geplant, sie bald zu erneuern“, sagt KVB-Sprecher Stephan Anemüller. Bis das passiert und solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Schranken- und Ampelanlage womöglich doch nicht richtig funktioniert, sollen eben zwei menschliche Augen über sie wachen. Eine „zweite Sicherheitsstufe“ nennt Anemüller das.
Anwohner bringen Kaffee und Plätzchen vorbei
Zumindest also bis das Gutachten in einigen Monaten Klarheit bringen könnte, wird sich auch Krämer noch hier die Stunden vertreiben. Er ist alleine, bis in der Nacht seine Ablösung kommt. Pausen gibt es nicht, dafür ein Dixie-Klo, einen Stuhl und einen China-Imbiss direkt gegenüber, der auch Mexikanisch und Italienisch macht.
Kennt er so etwas wie Langeweile? „Nein, hier ist immer was los“, sagt er. Kälte? „Mit Mütze geht das schon.“ Manchmal kommen auch Anwohner und bringen Kaffee und Plätzchen vorbei, sagt Krämer. Das sei schön, dann werde die Arbeit auch mal wertgeschätzt. Und den Fahrern zuzuwinken, die immer vor dem Bahnübergang abbremsen und stehen bleiben müssen, sei auch schön.
Nur unter der Woche nachts geht das nicht, weil die KVB zwischen kurz nach halb zwei und kurz vor vier Betriebspause hat. Da brauche es schon starke Nerven, um nicht einzufrieren oder wegzunicken. Einen Trick braucht Krämer nicht, sagt er. Kalte Nächte durchzumachen, stundenlang zu stehen und aufzupassen, habe man eben irgendwann so drin als Bahnübergangsposten.