Köln – Marschmusik, schon wieder. Gerade hat die größte Karnevals-Sitzung der Welt begonnen, die Lachende Kölnarena, und irgendwie hatte ich erwartet, hier mal von Musikkapellen und Uniformen verschont zu bleiben. Aber gut, keine Sitzung ohne Traditionsvereine. Von meinem Sitzplatz im mittleren Rang aus habe ich einen atemberaubenden Blick auf die Arena. Wahnsinn! 10 000 Menschen schunkeln sich warm. Es fühlt sich an wie ein Besuch im Fußballstadion, nur gemütlicher und bunter.
Alles in XXL, auch das Kölsch
Nachdem mehrere Veedelsvereine und die Prinzenwache aufgezogen sind, folgt das Dreigestirn. Da ich den Künstlereingang nicht sehen kann, starre ich auf den großen Bildschirm unter der Hallendecke. Fehlanzeige: Auch dort kann ich den Prinzen nicht erkennen. Er wird von den Hutfedern des Bauern verdeckt, der direkt vor ihm läuft. Der Sitzplatz in der Arena entscheidet augenscheinlich über Lust oder Frust. Immerhin: Gegen den Frust wird Kölsch am Platz serviert. Statt kleiner Kölsch-Stangen gibt es das Bier aber nur in größeren Mengen. Minimum: ein halber Liter. In der Arena ist eben alles XXL.
Inzwischen ist das Dreigestirn von der Bühne verschwunden und das Tanzkorps vom Treuen Husar steht den Massen gegenüber. 10 000 Menschen brüllen: „Marieche danz!“ Und das Mariechen tanzt. Von oben sieht es aus, wie eine Playmobil-Figur, die über die Bühne hopst und verzweifelt versucht, mit ihrem zierlichen Körper den gigantischen Raum zu füllen.
Der kürzeste Auftritt der Session
Dieses Gefühl kennt Oli, Frontmann von Cat Ballou, ganz genau. „Direkt vor dem Auftritt bin ich total cool. Erst wenn ich oben stehe und diese Masse sehe, merke ich plötzlich, dass ich doch aufgeregt bin. Dann vergesse ich schon mal eine Textzeile oder einen Einsatz.“ An diesem Tag klappt alles. Die Jecken jubeln der Band zu, die Band jubelt zurück. Drei Lieder, danach ist Schluss. Oft ist der Auftritt in der Arena für die Künstler der kürzeste in der Session. „Auf anderen Sitzungen spielen wir mindestens 25 Minuten lang, hier ist es wie ein Fingerschnipp“, sagt Oli. Ein sehr rentabler Fingerschnipp: Die Arena zahlt den Künstlern in der Regel die doppelte Gage und sichert sich so deren Kommen.
Im Innenraum treffe ich auf den wohl treuesten Fan der Lachenden Kölnarena. Marita aus Zülpich steht jedes Jahr bei allen 13 Sitzungen in der ersten Reihe. Von dort versorgt sie die umstehenden Jecken und Künstler mit selbstangesetzem Eierlikör. „Wissen Sie, ich gehe das ganze Jahr über nicht feiern. Nur an Karneval, da lass ich die Sau raus und trinke sie alle untern Tisch, trotz Asthma!“ Das glaube ich Marita sofort. Für sie sei die Mammutsitzung wie eine Familienfeier, sagt sie.
Ein paar Meter weiter findet noch eine Familienfeier statt. Ursula aus Weiß ist mit ihren Töchtern gekommen, auf ihren Sitzplätzen haben sie ein stattliches Buffet aufgebaut. Da gibt es Schnittchen, Frikadellchen, Pumpernickel, Käsewürfel und gefüllte Blätterteig-Schnecken. Tochter Julia hätte heute Trompete im Spielmannszug spielen sollen, hat sich aber frei genommen: „Hier kann ich wenigstens einmal in der Session selbst Karneval feiern.“ Ob ihr die Großveranstaltung in der Arena zu unpersönlich ist? „Nee, Quatsch! Ich hab doch meine Familie und Freunde um mich rum.“ Tatsächlich, wenn ich mich so umsehe, scheint das das Geheimnis zu sein: Von vorne kommt das Programm, aber Party machen sie tausendfach im Kleinen an ihren Plätzen – mit Schnittchen und Frikadellchen.
Weiter oben findet eine andere Party statt. Die Logen in der Lanxess-Arena sind an diesem Abend restlos vermietet. Hier treffe ich zum ersten Mal auf unverkleidete Menschen, Lacoste-Pullover statt Lappenclown. Ein junger Herr namens Krittilak hat sich zumindest eine weiße Bärenfellmütze aufgesetzt. „Ein Kostüm, das ich schnell wieder ausziehen kann, wenn wir später noch weiterziehen“, sagt der Student.
Sein Stiefvater Thomas hat die Loge gemietet und Freunde aus ganz Europa eingeladen. 155 Euro kostet der Abend pro Person, inklusive Buffet und Kölsch satt. „Vergleichsweise günstig“, findet der Gastgeber den Preis und zeigt ausladend auf die gefüllte Arena unter sich. „Und dazu bekommst du die größte Karnevalsparty der Welt geboten.“ Seine Gäste blicken fast ein bisschen sehnsüchtig auf die feiernde Masse unter ihnen.