Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Gaunerzinken“Einbrecher hinterlassen Kreidezeichen

Lesezeit 3 Minuten

Dieses Zeichen steht in der Gaunerzinken-Sprache für „Nur Frauen im Haus“

Junkersdorf – Die Anwohner des Mohnwegs in Junkersdorf sind misstrauisch geworden. Mindestens elf Autos wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren in der gerade mal 400 Meter langen, vornehmen Wohnstraße gestohlen oder aufgebrochen, auch der BMW von Ex-FC-Trainer Stale Solbakken war dabei. Einbrecher drangen in mindestens neun Häuser ein und machten hohe Beute. Seitdem erregen fremde Gesichter und unbekannte Autos schnell Verdacht unter den Anwohnern. Jetzt sorgen rätselhafte Zeichen auf dem Gehweg für neue Verunsicherung.

An einem Morgen voriger Woche prangten lilafarbene Pfeile auf dem Gehweg, gemalt mit gewöhnlicher Straßenkreide. Einige Pfeilspitzen deuteten auf einzelne Häuser, andere auf Garagentore, hinter denen teure Autos stehen. Die Anwohner haben die Symbole sofort weggewischt. Planten Kriminelle hier ihren nächsten Beutezug? Anwohner Heinz Krämer (Name geändert) ist sicher: „Die Täter haben markiert, wo es was zu holen gibt.“

Einbrecher nutzen Zeichen seit Jahrhunderten

„Gaunerzinken“ heißen die Geheimzeichen, mit denen Einbrecher seit Jahrhunderten untereinander kommunizieren. Sie seien allerdings in den vergangenen Jahrzehnten ein wenig aus der Mode gekommen, sagt die Polizei. Auf die Kreidezeichen im Mohnweg können sich aber auch die Ermittler keinen Reim machen.

Kinderzeichnungen sind ausgeschlossen, glaubt Krämer. „Die Kinder hier malen schon mal Hüpfekästchen, aber nicht so etwas“, sagt der Mann, der seit vielen Jahren im Mohnweg lebt. Auch denkbare Markierungen für anstehende Straßen- oder Leitungsarbeiten scheiden aus. „Unsere Fachleute haben diese Zeichen noch nie gesehen“, sagt ein Stadtsprecher. Bei der Rhein-Energie, die demnächst im Mohnweg am Leitungsnetz arbeitet, seien die Kreidezeichen „völlig unbekannt“, wie eine Sprecherin bestätigt. Die Arbeiter verwendeten zudem Sprühfarbe.

Fakt ist auch, dass Zahl der Autodiebstähle in Köln seit Wochen rapide ansteigt. 39 Taten waren es im Februar, 71 im März, 45 in den ersten knapp drei Aprilwochen. Besonders betroffen sei der Kölner Westen, berichtet die Polizei. Vor allem auf hochwertige BMW- und Audi-Modelle haben es die Täter abgesehen. Die Polizei vermutet insbesondere litauische Banden hinter den Diebstählen. Im Vorfeld spähen sie ihre Opfer meistens aus, fotografieren die Autos, deaktivieren Bewegungsmelder in Einfahrten. „Wir haben bei Tätern schon codierte Listen mit Tatorten aus Köln, Düsseldorf und dem Kölner Umland gefunden“, berichtet ein Ermittler. Festnahmen gelingen nur selten.

Dennoch hegt Anwohner Krämer keinen Groll auf die Polizei. „Die tun, was sie können, haben aber ein Personalproblem. Da ist die Politik gefragt.“ Immerhin sei die Nachbarschaft sehr gut vernetzt. „Man hilft sich, hält die Augen auf, ruft im Zweifel die Polizei.“

Viele Anwohner haben in den vergangenen Monaten in Technik investiert, haben Fenster und Türen sichern lassen, Bewegungsmelder installiert, Alarmanlagen angebracht. „Wir lassen uns nicht entmutigen“, sagt Krämer. „Ich lebe nach wie vor sehr gerne hier.“

Schon im Mittelalter kommunizierten Bettler, Hausierer und Einbrecher in Deutschland untereinander mit „Gaunerzinken“ – auf den ersten Blick unauffällige Zeichen an Fassaden, Türen oder Briefkästen. Sie signalisierten Komplizen etwa: „Hier lohnt sich ein Einbruch“ oder „Hier gibt es nichts“.

Das Vorgehen ist immer gleich: Eine Vorhut kundschaftet ein Objekt aus, beobachtet zum Beispiel, ob ältere Menschen oder alleinstehende Frauen im Haus leben. Die Informationen werden über die Gaunerzinken an die nachfolgenden Komplizen übermittelt.

Ob die Symbole auch heute noch – womöglich modifiziert – von organisierten Banden verwendet werden, ist unklar. Die Polizei schließt das nicht aus, kennt aber keinen aktuellen nachgewiesenen Fall. (ts)