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Verabschiedung„Nächstenliebe ist zuweilen schwer“

Lesezeit 6 Minuten

Bald hat Pfarrer Fischer mehr Zeit zum Klavierspielen.

Weiden – Wie jeden Morgen ist Pfarrer Rainer Fischer um 6 Uhr aufgestanden. Die erste halbe Stunde des Tages betet oder meditiert er. Danach bleibt wenig Zeit zum Innehalten. Am Wochenende wird der stellvertretende Stadtdechant und langjährige Vorsitzende der Kölner Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen beim Pfarrfest von Sankt Marien nach 31 Jahren als Pastor in Weiden verabschiedet. Er muss also gerade viele Hände schütteln, Koffer packen, Zeugnisse schreiben, Übergaben organisieren – neben seinen Aufgaben als Seelsorger und Pfarrer.

Zum Gespräch bittet der Monsignore ins Beratungszimmer. An der Wand hängen ein modernes Jesus-Aquarell und ein schlichtes Kreuz, von der Decke baumelt eine Clown-Marionette. Fischer lacht gern und oft. Als Marionette der Kirche hat er sich nie gefühlt.

Er sei ja ein 68er Kind, beginnt er lachend. 1968 hat Kardinal Frings Rainer Fischer zum Priester geweiht. Fischer war einer der letzten Geistlichen, denen Frings die Weihe spendete. Priester sei er auch dank Kardinal Josef Ratzinger geworden, dem späteren Papst, den Fischer stets „Ratzinger“ nennt. Der hielt in den 1960er Jahren „in Bonn eine faszinierende Vorlesung in Religionsphilosophie, der Hörsaal war überfüllt“. Es folgten Studentenjahre in Tübingen mit den Lehrern Hans Küng, Walter Jens und Ralf Dahrendorf – Intellektuellen, die Fischer auf seinem Weg bestärkten.

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Warum sind Sie schließlich Pfarrer geworden, Herr Fischer?

Rainer Fischer: Für Theologie habe ich mich neben Musik früh interessiert. Warum lebe ich? Gibt es einen Gott? Das fand ich spannend. Aber die Entscheidung fürs Priesteramt hing mit dem Ende des vatikanischen Konzils zusammen: Die Priester durften die Liturgie plötzlich in ihrer Landessprache halten, der Priester wandte sich den Gläubigen zu. Das waren Sensationen. Diese Aufbruchstimmung hat mich angesteckt. • • •Seine erste Stelle trat Fischer in der Pfarrei St. Heribert in Deutz an, bevor er nach Radevormwald beordert wurde. Bei einem Zugunglück im Ortsteil Dahlerau waren 46 Menschen gestorben, darunter 41 Schüler. Seelsorger waren nach dem schwersten Unglück in der Geschichte der Deutschen Bahn gefragt. In Radevormwald lernte der junge Geistliche eine Frau kennen, die ihn von nun an sein Leben lang begleiten sollte: Elisabeth Dördelmann hatte von einer Bekannten gehört, dass der junge Kaplan eine Haushälterin suche. Sie ist es bis heute geblieben und wird es auch bleiben, wenn Fischer Mitte Juli an die Bonner Straße zieht. „Ich habe dort einen eigenen Rückzugsraum“, sagt Dördelmann, die den Pfarrer natürlich duzt. „Wir haben uns so aneinander gewöhnt, dass es schön ist, dass es so bleibt“, sagt er. Die dunklen Augen gucken belustigt. Zeit für eine heikle Frage.

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Sie waren ja ein attraktiver Mann und als Pfarrer eine Autorität. Sind Frauen oft in Sie verliebt gewesen? Waren Sie oft in Versuchung?Fischer: Oft, stark, das weiß ich nicht. Mal mehr, mal weniger. Klar gab und gibt es Frauen, die interessiert waren. Man sagt ja, ein Kaplan, dem kein Mädchen nachläuft, bei dem stimmt was nicht. Das finde ich auch gut so. • • •Von Radevormwald ging es für Fischer und Dördelmann zunächst nach Wuppertal, in eine riesige Gemeinde. Dort machte der Pfarrer Bekanntschaft mit Atomkraft-Gegnern, die sich nach der gewaltsamen Auflösung des Gorleben-Protests in der Republik verteilten, um Kirchen zu besetzen. Eine Woche campierten einige hundert Demonstranten vor Fischers Kirche und schwenkten Anti-AKW-Fähnchen. „Sie waren freundlich, aber die Stimmung war schon angespannt, weil Nachbarn und Kirchgänger sich bedroht fühlten.“ Von Wuppertal zu seiner nächsten Stelle nach Weiden ging Fischer 1982 mit als 100 Gläubigen zu Fuß. Die Weidener empfingen ihn mit einem Fest auf den Jahnwiesen. Viele Feste folgten – auch wenn die Kirche mit den Jahren weniger zu feiern hatte. 1982 hatte die Weidener Gemeinde mehr als 7000 Mitglieder, heute sind es im Gemeindeverbund mit Lövenich und Widdersdorf 5900. Kamen früher zwölf bis dreizehn Prozent der Schäflein in die Kirche, seien es heute noch neun bis zehn Prozent, Tendenz sinkend.

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Warum ist vielen Menschen der Glaube zwar wichtig, aber nicht mehr die Kirche?Fischer: Wir müssen für die Menschen da sein, sind es aber manchmal nicht mehr. Wenn Gemeinden zusammengelegt werden und Personal wegfällt, wird der direkte Kontakt schwieriger. Wir sind oft nur noch Pastoralmanager, Verwalter, nicht mehr Seelsorger. Aber Glaube geht wie Liebe durch den Magen. Die Zeit macht es auch schwieriger. Keiner hat mehr eine halbe Stunde Muße. Ich habe manchmal das Gefühl: Je mehr Kommunikationsmittel wir haben, desto weniger reden wir miteinander. Dazu kommt der verbreitete Gedanke: Die Kirche muss als moralische Instanz unfehlbar sein. Ist sie es nicht, wie bei den Missbrauchsfällen schmerzlich ans Licht kam, wenden sich die Menschen ab. • • •Der Monsignore lächelt auch nach dieser Antwort. Nein, er glaube nicht an den Untergang der Kirche, auch nicht an eine Renaissance. Die Kirche müsse sich mit der Welt wandeln, „und auch als kleinere Herde für die Welt und ihre Menschen da sein“. Für die Menschen da sein, das bedeutet für Fischer nicht in erster Linie als katholischer Geistlicher da zu sein: Seit Jahrzehnten macht sich der 70-Jährige für die Ökumene stark – Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen will er bleiben. „Das wird ab August mein Hauptjob sein.“ • • •

Muss die Kirche weltlicher werden oder gerade nicht?Fischer: Sie muss aus meiner Sicht nicht weltlicher werden. Aber sie muss die Welt ernst nehmen. Ratzinger sprach von Entweltlichung – die Formulierung fand ich nicht unbedingt glücklich. Die Kirche ist für die Welt und die Menschen in ihr da. Und wir müssen so nah dran sein wie möglich an der Lebenswelt. Mein Pastoralreferent spricht mit vielen Gläubigen über Facebook – das ist auch in Ordnung so. • • •Nah an den Menschen sein, das ist ja so eine komische Floskel. Rainer Fischer ist samstags immer gern ins Weiden-Center gegangen. Er hat sich einfach irgendwo hingesetzt, die Menschen kamen von allein, um zu reden. „Ich habe dort intensivere Gespräche geführt als hier.“ Die Kirche hat er für Besucher geöffnet – wochentags von 9 bis 13 Uhr und von 15 bis 19 Uhr ist ein Gemeindemitglied da. Tatsächlich knien gerade zwei Menschen in der Kirche, um zu beten. Sein Nachfolger werde die drei Gemeinden fusionieren, um mit nur einem Kirchenvorstand mehr Zeit für die Seelsorge zu haben. Die Kirche wird kleiner, „aber das ist auch eine Chance“. Pfarrer Fischer muss gleich weiter. Die letzten Fragen. • • •

Welche christlichen Gebote einzuhalten fällt Ihnen schwer?Fischer: Hinter dem Anspruch, Christus mit Haut und Haaren zu entsprechen, bleibe ich immer zurück. Wie oft gab es Situationen, in denen ich unverschämte Typen am liebsten rausgeworfen hätte! Den Nächsten so zu lieben wie sich selbst, ist zuweilen ganz schwer.

Wo finden Sie Gott?Fischer: Nicht an einem bestimmten Ort, aber in Menschen, vor allem in solchen, von denen ich es vielleicht nicht dachte.

Und was kommt nach dem Leben?Fischer: Ich glaube fest, dass ich Gott im Moment des Todes begegne. Es wird anders, als alle denken. Ans ewige Leben glaube ich fest.