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Köln-MülheimKaffeekutsche verteilt Essen an Bedürftige

Lesezeit 5 Minuten
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Das Team der Kaffeekutsche: Katharina Becker, Patrick Helling, Ulrike Pierwitz (v.l.n.r).

Mülheim – Der Kartoffelsalat ist ein Gedicht – deftig und mit Zwiebeln gewürzt lassen sich die Menschen am Wiener Platz die Spezialität der Kaffeekutsche schmecken. „Übrig bleibt nie etwas“, sagt Katharina Becker, die Gründerin des Hilfsprojekts für Wohnungslose und Bedürfte.

Auf Lastenrädern schieben die Ehrenamtlichen aus Mülheim jeden Montag- und Dienstagabend frisch gekochtes Essen, Getränke und Kleidung zum Wiener Platz und dem Bahnhofsvorplatz in Mülheim. Begleitet wird Katharina Becker an diesem Tag von Patrick Helling (33) und Ulrike Pierwitz (58).

15 Freiwillige versorgen Bedürftige und Wohnungslose

Meist zu dritt treffen sich die insgesamt 15 Freiwilligen am Lager, einem Garagenhof an der Herler Straße. Hier hat Becker eine Garage gemietet, in der die Fahrräder und alles Notwendige untergebracht sind. Auf einer Kochplatte erwärmt Pierwitz das mitgebrachte Chili con Carne.

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Das Team der Kaffeekutsche auf der Frankfurter Straße.

„Dazu gibt es Kartoffelsalat und Hähnchenkeulen – unser Montagsdauerbrenner“, schildert Becker, während Helling die Kannen mit Kaffee und heißem Wasser in den Fahrradkorb räumt. Zwar gibt es eine Spüle in der Garage, aber keinen Wasseranschluss: „Sonst wäre die Miete viel teurer. Aber wir haben einen Tank, den wir uns von der Nachbarin oben drüber mit einem Schlauch auffüllen dürfen“, sagt Becker.

Anwohner aus Mülheim unterstützen Projekt

Bevor sie losziehen, streifen sie ihre weißen Team-Westen über, das Logo ist einem Kaffeefleck nachempfunden. Am Mülheimer Bahnhofsplatz werden sie schon von rund einem Dutzend Menschen erwartet.

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Ulrike Pierwitz und Patrick Helling verteilen Essen auf dem Bahnhofsvorplatz in Mülheim.

Becker kennt die meisten und begrüßt sie mit Namen. Leute aus dem Veedel kommen vorbei und liefern Lebensmittel ab, mehrere Stangen Baguette und die versprochene Schüssel Kartoffelsalat sind darunter. Auch Kuchen gibt es. „Bringt ihr mir die Dosen nachher wieder vorbei? Einfach bei mir klingeln“, sagt die Frau, die so schnell verschwunden ist, wie sie gekommen ist.

Einzigartiges Angebot in Mülheim

Helling und Pierwitz portionieren die Speisen auf kleinen Pommes-Schalen und reichen sie den hungrigen Menschen. Nicht alle, das wird deutlich, leben auf der Straße. Einige wohnen in der Umgebung. Und nicht allen sieht man ihre Not an. Fast verstohlen essen sie auf den Betonblöcken vor dem Bahnhofsplatz, bevor sie nach einem Nachschlag oder einer Ration für Zuhause fragen.

„Die Leute rechnen damit, dass wir kommen und planen diese Mahlzeit fest ein“, sagt Becker. Die Kaffeekutsche sei das einzige Angebot ihrer Art in Mülheim. „Zwar gibt es auch am Wiener Platz Ausgabestellen, die kosten aber alle 1,50 Euro und schließen um 14 Uhr. Dabei haben die Leute ja später auch wieder Hunger.“

Projekt wird über Spenden finanziert

Das Angebot sei persönlicher, familiärer. „Andere Stellen verteilen das Essen aus einem 200-Liter-Topf oder es ist fertig verpackt. Bei uns ist alles selbst gemacht und die Leute können sich aussuchen, was sie essen möchten“, sagt sie. Etwa 150 Euro koste das im Monat – die Garage, der Strom, das Einweggeschirr und die Getränke.

Die Kaffeekutsche finanziere sich durch Spenden. Auch die Bedürftigen werfen Geld in die kleine Spendendose am Lastenrad. Die Idee zu dem Hilfsprojekt kam der 33-Jährigen zu Beginn der Pandemie. „Ich bin Sonderpädagogin und hatte im Lockdown viel frei. Das wurde mir aber nach zwei, drei Tagen zu langweilig und ich habe an die Menschen gedacht, denen jetzt niemand mehr hilft“, sagt sie.

Essen wird wöchentlich verteilt

Schon vorher habe sie Essen an Bedürftige verteilt. „Ich bin viel im Veedel unterwegs und habe ein Netzwerk im Freundes- und Bekanntenkreis.“ Schnell fand Becker andere Helferinnen und Helfer, außerdem Menschen, die Fahrräder zu Lastenrädern umbauten und Essen zubereiten – seit zwei Jahren jede Woche.

„Hier greift vieles ineinander“, sagt Becker. Viele der Initiativen, die sich zu Beginn der Pandemie gegründet hätten, seien jetzt gar nicht mehr aktiv. Becker aber sieht viel Positives in ihrem Engagement: „Es gab mal einen Mann, der immer vor einem Dönerladen saß. Dem habe ich jedes Mal einen Kaffee geschenkt. Der Besitzer des Ladens hat das beobachtet und irgendwann hat er es auch gemacht“, berichtet sie.

Eng getakteter Zeitplan

Der Zeitplan ist eng getaktet: Nach rund 20 Minuten am Bahnhof packt das Trio zusammen und schiebt die beiden Räder über die Frankfurter Straße. Unterwegs stoppt Becker bei einem Donut-Laden, fragt nach Resten. Mit immerhin vier Kringeln erreicht sie den U-Bahneingang zum Wiener Platz, wo erheblich mehr Menschen in der Schlange stehen.

Einige sind ihnen vom Bahnhof gefolgt. „Manchmal komme ich gar nicht zum Essen verteilen, weil so viele Leute mit mir quatschen wollen“, sagt Becker, während sie in der U-Bahnstation umhergeht und einige Obdachlose anspricht. „Manche würden sich nie trauen, sich in die Schlange zu stellen, denen muss man das Essen fast in die Hand drücken.“

„Warum die Menschen eigentlich auf der Straße leben, erfahre ich fast nie“

Wie viel die Menschen von sich erzählten, sei unterschiedlich: „Dem einen wurde das Fahrrad oder der Ausweis geklaut, bei dem anderen ist der Hund gestorben, der nächste ist aus der Unterkunft geflogen. Aber warum die Menschen eigentlich auf der Straße leben, erfahre ich fast nie.“

Häufig sei die Kaffeekutsche dafür kritisiert worden, dass sie am Wiener Platz aufschlage: „Das würde die Leute angeblich nur anlocken. Aber ich habe hier vier Jahre lang gewohnt – von Mittwoch bis Sonntag sind sie auch hier“, entgegnet sie.

Auch Kleidung gehört zum Angebot

Eine Frau durchstöbert die Kiste mit Klamotten auf dem Fahrrad, denn auch Kleidung gehört zum Angebot der Kaffeekutsche. „Besonders Unterwäsche ist gefragt, weil wegen drei schmutzigen Unterhosen niemand das Geld für den Waschsalon aufwendet“, sagt Becker.

Der Kartoffelsalat ist nun leer, lediglich von dem Baguette ist noch einiges übrig. „Die lassen wir den Kollegen für die morgige Tour da“, sagt Helling. Dann schieben er, Becker und Pierwitz die Fahrräder wieder über den Wiener Platz zum Lager. Morgen werden drei andere Freiwillige der Kaffeekutsche an derselben Stelle stehen.