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„So etwas ist versuchter Mord“Drei Explosionen in Köln-Mülheim – Empörung und Angst im Veedel

Lesezeit 4 Minuten
Blick in einen Hausflur mit vielen Trümmern

So sah der Hausflur an der Wichheimer Straße am Sonntagmittag aus.

In den Nächten zu Samstag und zu Sonntag explodierten an Wohnhäusern im Bezirk Köln-Mülheim Sprengkörper. Die Polizei geht von Pyrotechnik aus.

Mit einem Hammer schlägt Udo Roth die letzten Glasreste aus dem Rahmen, die der Explosion standgehalten haben. Der Mitarbeiter eines Fachbetriebs für Sicherheit steht in einem völlig zerstörten Hauseingang an der Wichheimer Straße in Buchheim und ist fassungslos: „Wo sind wir hier eigentlich? Im Bürgerkrieg? Oder was ist das?“ Sein Kollege sei mal eben gefahren, neues Material zu besorgen, schließlich sei das nicht der erste Einsatz an diesem Sonntag (30. Juni).

Nur wenige hunderte Meter Luftlinie entfernt haben Roth und sein Kollege zuvor den Eingang eines Mehrfamilienhauses an der Holweider Straße in Mülheim mit einer Holzplatte versehen. Auch hier ist es in der Nacht zu einer Explosion gekommen. Ein dritter Sprengsatz war in der Nacht zu Samstag vor einem Haus an der Keupstraße gezündet worden.

Explosionen rund um Keupstraße: Empörung und Angst in Köln-Mülheim

Verletzt wurde bei den drei Taten niemand, allerdings entstanden hohe Sachschäden. Die polizeilichen Ermittlungen laufen „auf Hochtouren“, wie ein Sprecher am Sonntagmorgen sagte. Momentan wird laut Polizei von sehr starken pyrotechnischen Gegenständen ausgegangen, die an den jeweiligen Orten gezündet wurden.

Udo Roth schlägt mit einem Hammer Glasreste aus dem Türrahmen.

Udo Roth beseitigt zunächst einmal die Schäden.

Zunächst knallte es auf der Keupstraße: Samstagmorgen gegen 2.30 Uhr wurden Gäste einer angrenzenden Bar sowie mehrere Anwohner aufgeschreckt. Die Scheiben der Eingangstür des Mehrfamilienhauses gingen zu Bruch.

„Polenböller“ explodiert auf Keupstraße in Köln-Mülheim

Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen blieben erfolglos. Nach bisherigen Erkenntnissen und einer ersten Auswertung von sichergestelltem Spurenmaterial gehen die Spezialisten von einem pyrotechnischen Gegenstand aus, der Polizeisprecher nannte sogenannte „Polenböller“ als wahrscheinliche Ursache.

Blick in den zerstörten Hausflur

Blick in den Flur nach der Detonation: Ein Rollstuhl ist unter anderem völlig deformiert.

In der Nacht zu Sonntag riefen schockierte Anwohner der Holweider Straße um 3.25 Uhr die Polizei, fünf Minuten später knallte es an der Wichheimer Straße, wo Simon Wallisch in einer Wohnung im Dachgeschoss lebt. „Ich dachte zuerst an einen Blitzeinschlag“, erzählt der Mieter. „Doch dann hörte ich schon die Nachbarn und Leute auf der Straße rufen. Es war krass.“

Köln: Drei Explosionen vor Häusern an einem Wochenende

Ein Rollstuhl im Treppenhaus wurde durch die Detonation völlig deformiert, bis in den zweiten Stock gingen Fensterschreiben zu Bruch, vor dem Haus wurde ein Fahrzeug beschädigt. Einen Schutzengel hatte Wallischs Mitbewohner: „Der konnte nicht schlafen und wollte noch nachts ins Fitnessstudio. Gut, dass er es gelassen hat“, sagt der Mieter. Keine fünf Minuten später habe es gekracht. Alle Betroffenen seien in der Nacht bei Freunden oder Angehörigen untergekommen, so Wallisch. Nachdem die Einsatzkräfte der Spurensicherung am Sonntagmittag ihre Arbeit vor Ort beendet hatten, konnten alle Mieter wieder zurück.

Dagegen entschieden sich die Mietparteien des Hauses an der Holweider Straße, zunächst nicht wieder in ihre Wohnungen zurückzukehren, sagte ein Polizeisprecher. Die Statik sei zwar nicht beeinträchtigt, aber das Ausmaß der Schäden zu extrem, sodass das Haus derzeit unbewohnt ist.

Eine Holzplatte ist vor den Eingang des Hauses montiert worden.

Der Eingang des Hauses an der Holweider Straße wurde mit einer Holzplatte versehen.

Udo Roth vom Reparatur-Betrieb will erfahren haben, dass die Wucht der Detonation sei so groß gewesen sei, dass das Dach angehoben wurde.„Wenn jemand im Hausflur gewesen wäre, hätte er das nicht überlebt. So etwas ist versuchter Mord“, empört sich Roth.

Er wie auch viele Anwohner der Holweider Straße zeigten sich entsetzt angesichts der Zerstörungen. „Wer so etwas macht, ist einfach nur irre“, sagt ein Mann am Sonntagmittag. Dass da mehr hinter stecke, vermuten andere Nachbarn. Das Wort Mafia macht die Runde, aber vor allem wird in den Gesprächen auf der Straße an den Nagelbombenanschlag vor 20 Jahren erinnert. „Wir wissen nicht, was dahinter steckt, aber wir haben natürlich Angst“, sagt eine Frau auf der Keupstraße.

Die Polizei betont, dass die Hintergründe der Explosionen noch unklar seien. Vor allem aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe wird ein Zusammenhang zwischen allen drei Detonationen geprüft.

Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund oder mögliche Bezüge ins Rockermilieu liegen bislang nicht vor. Dennoch wurde der Staatsschutz in die Ermittlungen einbezogen, wie zu erfahren war.

Zeugen, die Hinweise zum Tatgeschehen oder den möglichen Verursachern geben können, werden gebeten, sich telefonisch unter 0221-229-0 oder per E-Mail an poststelle.koeln@polizei.nrw.de bei den Ermittlern des Kriminalkommissariats 15 zu melden. Tatrelevante Fotos und Videos können zudem über das Hinweisportal des Landeskriminalamts unter dem Link nrw.hinweisportal.de unkompliziert an die Polizei übermittelt werden.