20 Jahre nach dem NSU-Anschlag an der Keupstraße erlebt Birlikte eine Wiederauflage. Schon im Vorfeld wurde klar, wie groß das Trauma noch immer ist.
Prominente NamenSo sieht das Programm für Birlikte in Köln aus
„Es sind 20 Jahre vergangen seit dem Nagelbombenanschlag auf der Keupstraße“, sagte Bengü Kocatürk von der Initiative „Platz für alle“, bei der Vorstellung des Programms von Birlikte. „Aber der Schaden, der dieser Tag bei den Menschen auf der Keupstraße angerichtet hat, der bleibt.“
Zum Gedenken an die Opfer des Attentats in der Keupstraße in Köln-Mülheim lässt die Stadt Köln gemeinsam mit der IG Keupstraße und vielen weiteren Initiativen und Vereinen am Sonntag, 9. Juni, das Kulturfest „Birlikte“ wieder aufleben.
Eklat beim letzten Birlikte-Fest 2016
Bei einer emotionalen Pressekonferenz im Schauspiel Köln, bei der unter anderem Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Noch-Schauspielintendant Stefan Bachmann das umfangreiche Programm vorstellten, wurde deutlich, wie tief die Wunden in Mülheim noch immer sind.
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„Birlikte heißt übersetzt ja so viel wie Zusammenstehen“, erklärte Reker zunächst. „Damit ist das Kernanliegen der Veranstaltung gut zusammengefasst. Mir ist es auch persönlich wichtig, dass wir uns immer wieder an dieses furchtbare Verbrechen erinnern, das uns alle erschüttert hat und seelische wie körperliche Verletzungen bei den Betroffenen hinterlassen hat.“ In Zeiten, in denen die Demokratie durch Rassismus und Intoleranz gefährdet sei, „ist es wichtig zu zeigen, dass wir für eine Gesellschaft stehen, in der niemand am Rand steht“.
2014 fand das Birlikte-Fest als Gedenkveranstaltung zum zehnten Jahrestag des Anschlags zum ersten Mal statt. 2016 gab es das vorerst letzte Birlikte-Fest, es endete mit einem Eklat. Linke Demonstranten stürmten damals die Bühne des Schauspiels, wo Meral Sahin mit dem damaligen AfD-Politiker Konrad Adam diskutieren wollte.
Birlikte 2024: Prominente Namen, aber Fokus auf Betroffene
Nun wolle man vieles anders machen, vor allem habe man aus der Wahrnehmung vieler Betroffener gelernt, dass sie beim ersten Fest vor zehn Jahren kaum selbst zu Wort gekommen seien. „Das wird dieses Jahr anders sein“, kündigte Reker an.
Tatsächlich werden wohl auch dieses Jahr wieder einige prominente Politiker nach Mülheim kommen. So etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die gemeinsam mit Henriette Reker Grußworte ausrichten sollen. Auch Musiker, Schriftsteller und Kabarettisten wie Eko Fresh, Kasalla, Carolin Kebekus und Navid Kermani stehen auf der Programmliste. Der Fokus liegt aber auf Interviews und Beiträgen von Betroffenen und Anwohnern der Keupstraße.
Meral Sahin von der IG Keupstraße sagte: „Es geht bei Birlikte darum, den Menschen zuzuhören, die Rassismus erlebt haben, aber auch darum, gemeinsam in die Zukunft zu blicken und dafür zu sorgen, dass so etwas nicht nochmal passiert.“ Nicht nur bei Birlikte, schon bei der Vorstellung des Programms wolle man all diejenigen Anwohner und Betroffenen ermutigen „etwas zu sagen, falls sie das tun möchten“.
Betroffene: „Es blieb bei Lippenbekenntnissen, Aufklärung fand nicht statt“
Eine sichtlich bewegte Frau ergriff darauf das Wort. Sie sei eine der Überlebenden des Nagelbombenanschlags, sagte sie auf Türkisch, während eine andere Anwesende übersetzte. „Wir wollen nicht nur an Jahrestagen an das Attentat erinnert werden“, sagte sie unter Tränen. „Wir brauchen dauerhaft Räume, in denen wir uns austauschen und uns gegenseitig unterstützen können.“ Nach dem Anschlag hätten sie und die anderen Betroffenen kaum Unterstützung erfahren. „Es blieb bei Lippenbekenntnissen, Aufklärung fand nicht statt“, sagte die Frau. Nach der Tat richteten sich die Ermittlungen lange Zeit gegen die Anwohner selbst, bevor der Anschlag 2011 dem NSU zugeordnet werden konnte.
Auch, dass die Anwohner nach wie vor auf ein Mahnmal an der Keupstraße warten, das an die Opfer erinnert, sorgte für Unmut. Es wird auch beim Birlikte Fest in einem Werkstattgespräch thematisiert. Immerhin: Der Weg für das Mahnmal an der Ecke zur Schanzenstraße ist mittlerweile frei. Im Rahmen von Birlikte wird es zumindest schonmal virtuell präsentiert.
Stefan Bachmann stellte am Ende der Pressekonferenz fest: „Es ist tragisch zu sehen, wie tief die Wunden auch zwanzig Jahre nach dem Ereignis noch sind.“ Das Komplizierte an Birlikte sei, „dass es das Gedenken mit all den verschiedenen Perspektiven der Angehörigen auf der einen und ein Fest für ein friedliches und glückliches Miteinander auf der anderen Seite zusammenbringen will“.
Für ihn persönlich sei es aber ein „großes Glück“, dass das Ende seiner Amtszeit als Schauspiel-Intendant mit der Wiederauflage von Birlikte zusammenfalle. „Und es ist zwar ein Zufall, aber auch ein Zeichen, dass am selben Tag die Europawahl stattfindet.“ Bachmann appellierte daran: „Alle im Bekanntenkreis dazu aufzurufen: Erst Wählen und dann zu Birlikte kommen!“