- Österreich hat am Montag vorgelegt, nun will Jena als erste Stadt in Deutschland eine Mundschutz-Pflicht einführen.
- Dabei hieß es von Expertenseite doch lang, ein positiver Effekt sei nicht belegbar. Also alles nur Symbolpolitik? Oder tatsächlich sinnvoller Schutz vor dem Coronavirus?
- Lesen Sie unser Pro und Contra für und gegegen die kollektive Pflicht zum Mundschutz.
Wer gerade verwirrt ist, hat dazu allen Grund. Nachdem medizinische Experten noch bis vor Kurzem das Tragen eines Stofftuchs vor Mund und Nase zum Schutz vor dem Coronavirus mehrheitlich für kaum bis gar nicht wirksam erklärt hatten, läuft die Debatte jetzt schon in Richtung Kollektivzwang: Jena wird als erste deutsche Stadt eine Mundschutzpflicht bei Einkäufen und im öffentlichen Nahverkehr einführen. Weitere Städte könnten sehr bald nachziehen – wenn der Mund-Nasen-Schutz nicht sogar bundesweit angeordnet wird wie in Österreich.
Dabei sind Zweifel an solch einer Vorschrift angebracht. In einem nämlich sind sich alle Experten einig: Echten Schutz vor Corona bieten nur professionelle Masken. Diese werden von Ärzten und Pflegern gerade dringend benötigt. Und zwar alle! Angesichts eines leer gefegten Marktes für Schutzmasken darf es keinesfalls zu Aufkäufen durch Privatleute kommen. Schon jetzt werden Kisten noch vorhandener OP-Masken aus Krankenhäusern gestohlen.
Empfehlung ja, Zwang nein
Darüber hinaus wäre es vor allem Symbolpolitik, allen Menschen einen nicht-professionellen Mundschutz zu verordnen. Der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten empfiehlt das Tragen zwar, weil es zum Schutz Dritter beitragen kann, bewertet es aber vor allem als „Höflichkeitsgeste“. Im Zweifel könnte die Anordnung sogar kontraproduktiv sein. Das Robert-Koch-Institut (RKI), eine der wichtigsten Instanzen in virologischen und epidemiologischen Fragen, warnt jedenfalls davor, dass das Tragen von Masken ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen könnte mit dem Ergebnis, dass die wichtigsten Hygiene-Maßnahmen vernachlässigt werden.
Grundsätzlich spricht überhaupt nichts dagegen, dass sich viele jetzt nach Anleitungen im Internet selbst einen Mundschutz nähen und Modefirmen ihre Produktion auf bunte Stofftücher umstellen. Jeder sollte ein Tuch oder eine Maske tragen, wenn er zum Fremdschutz beitragen will und sich selbst ein bisschen sicherer fühlt. Jeder kann lokale Unternehmen unterstützen, die Masken herstellen, mit dem Kauf unterstützen.
Verstärkt Stigmatisierungen
Menschen, die sich anders entscheiden, sollten aber nicht geächtet werden. Diese Warnung ist nicht unbegründet angesichts von Stigmatisierungen, die sich inzwischen verstärkt beobachten lassen. So boxte jüngst ein Mann in der Warteschlange eines Kölner Supermarkts einer niesenden Frau vor ihm in den Rücken und beschimpfte sie als Schlampe. Senioren berichten, sie würden schief angeguckt, wenn sie nur vor die Tür gehen oder gar selbst einkaufen.
Wer keine Maske tragen will, darf also nicht gleich verdächtigt werden, die Pandemie nicht ernst zu nehmen. Sofern alles andere Beachtung findet, was derzeit unverhandelbar ist: Abstand halten. Soziale Kontakte ohne physischen Kontakt pflegen. Das Anfassen von Oberflächen wie Türklinken möglichst vermeiden. Hände waschen, oft und gründlich. Und mit Krankheitssymptomen keinesfalls unter Leute gehen. Das sind immer noch die wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen das Virus.
Sarah Brasack
Macht den Mundschutz salonfähig
In Tschechien darf man ohne sie nicht mehr draußen herumlaufen. In Österreich soll man sie zumindest zum Einkaufen tragen. Und die Stadt Jena teilte mit: „In einer Woche soll das Tragen eines Mund-und-Nasen-Schutzes in Jenaer Verkaufsstellen, dem öffentlichen Nahverkehr und Gebäuden mit Publikumsverkehr verpflichtend werden.“ Und die öffentliche Debatte tobt, dass das doch unnötig sei: Ein untaugliches Mittel zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie.
Was ist eigentlich so schlimm daran, mit Atemschutzmasken herumzulaufen? Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund rät zwar dringend dazu, dass professioneller Mundschutz medizinischem Personal vorbehalten sein muss. Das versteht sich von selbst. Aber immer mehr Menschen besorgen sich einen einfachen Mund-Nasen-Schutz oder nutzen selbstgenähte Masken. Die Schutzwirkung dieser Exemplare ist natürlich bei weitem nicht so gut. Aber eine solche Maske kann helfen, denn sie fängt beim Sprechen winzige Tröpfchen auf, die sich sonst in der Luft verbreiten. Und das ist doch das Tückische: Keiner weiß, ob er selbst infiziert ist, weil die Inkubationszeit oft ohne Symptome verläuft. Es geht also nicht nur darum, sich zu schützen, sondern gerade eben auch andere.
Alles, was hilft, muss getan werden
Also noch einmal: Was ist so schlimm daran, mit Mundschutz herumzulaufen? Ist es uns zu martialisch? Geben wir ein Stück Freiheit auf? Im Ernst: Was könnte uns daran hindern?
Seit Beginn dieser Krise diskutieren wir, wie sie eingedämmt werden kann. Wir wissen um die Gefahr, die sich in realen Zahlen und exponentiellen Kurven ausdrückt. Weniger Verbreitung gleich weniger Infizierte gleich weniger schwer Erkrankte gleich weniger benötigte Beatmungsgeräte gleich weniger Tote. So einfach ist das. Alles, was hilft dies zu vermeiden, muss getan werden. Deswegen: Macht den Mundschutz salonfähig. Jeder sollte einen tragen.
Lutz Feierabend