Köln – Im Frühling sind die Wiesen der Seiser Alm ein Meer aus Farben und Düften, überragt von den schroffen Felsen der Dolomiten. Würde man ihn mit der Seele suchen, sagt sein Freund Frieder Döring, auf diesen Wiesen wäre Heinz Schüssler zu finden: über Kräuter und Blumen gebeugt, fachsimpelnd über die Heilkräfte von Wildpflanzen, von Frauenmantel, Beifuß und Schafgarbe.
Wer weiß, wie er wirklich hieß
Obwohl sie so lange und so eng befreundet waren, über Herkommen und Kindheit habe Heinz mit ihnen nie gesprochen, erzählt Bert Brune. Heinz war eine Weise, wuchs bei einer Pflegefamilie auf, deren Namen er angenommen hatte. Wer weiß, wie er wirklich hieß, sagt Frieder Döring. „Ich nannte ihn immer den ‚Italiener’“, sagt Brune. „Drahtiger Typ, schwarze Haare, mediterrane Züge. Wenn er uns irgendwohin einlud, dann immer zu einem Südstadt-Italiener. Und mit jedem Wirt war er per du“.
Auf den Spuren des Wolkensteiners
Gemeinsam haben Heinz Schüssler, Bert Brune und Frieder Döring ein Kapitel Südstadt-Geschichte geschrieben: In „Wir Wolkensteiner“ hat der Schriftsteller Brune von ihren Aktivitäten erzählt: Wie sie 1989 spontan den Wolkenstein-Verlag gründeten und damit vielen Autoren ermöglichten, ihre Gedichte, Romane und Erzählungen zu publizieren. „Sinnlich, sinnig, eigensinnig, das war unser Verlagsmotto“, so Brune.
Frieder Döring war fasziniert von dem mittelalterlichen Minnesänger, der sinnenfroh, humorvoll, gelegentlich auch derb über das Leben und Lieben sang. Und so nahmen die drei Wolkensteiner auch selbst Gitarre, Fidel und Rassel zur Hand und sangen die Lieder des Südtirolers in Kneipen, Literaturcafés oder auf geführten Wanderungen durchs Siebengebirge. „Fast 25 Jahre lang haben wir uns jeden Donnerstagabend in meiner Küche in der Maternusstraße getroffen“, erzählt Brune. „Wir haben über den Verlag, über Literatur, über Gott und Welt gesprochen.“ Einmal sind sie nach Südtirol zur Burg des Wolkensteiners gefahren.
Heinz Schüssler war der Organisator
Heinz Schüssler war weder Vagant noch Autor, „er war Organisator“, erzählt Brune. „Heinz hatte überall Kontakte, zum Karneval, zur Politik, zur Geschäftswelt“. Er sei der „klassische Vertreter“ gewesen, erzählt Karl Moog, in dessen Dellbrücker Weinhandlung Schüssler gern gesehen war. „Er hatte einen Vertrieb für Schreibwaren und Bücher, war viel unterwegs, aber er nahm sich Zeit für seine Kunden, auch wenn kein Geschäft zu machen war“. So schaffte es Schüssler immer wieder, den Wolkensteinern Sponsoren zu beschaffen, wenn wieder einmal ein neues Buch finanziert werden musste.
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Schüssler kannte viele und viele kannten und schätzten ihn, erzählt Moog. „Kein Mensch für Dampfplaudereien. Er war einer, der die Welt aus vielen Perspektiven betrachtete“, so Moog, „einer, der Grundsätze hatte, die er auch temperamentvoll vertrat.“ Nach der SPD-Korruptionsaffäre um die Kölner Müllverbrennungsanlage verließ Schüssler die SPD. „Er hat mit Johannes Rau Skat gespielt, hatte durchaus Chancen, selbst in den Landtag zu kommen. Aber die SPD war dann nicht mehr seine Partei“, erzählt Bert Brune.
Er ging nicht mehr ans Telefon
Fast 15 Jahre hat Heinz Schüssler seine kranke Frau zuhause gepflegt. „Das hat ihn viel Kraft gekostet“, sagt Moog. „Als Anni gestorben war, wollte er auch nicht mehr“, sagt Frieder Döring leise. „Er wollte allein sein. Er ging auch nicht mehr ans Telefon.“ Heinz Schüssler starb mit 79 Jahren kurz vor Weihnachten 2021 in seinem Haus in Buchheim. Wo er geboren und wo er begraben liegt, die Freunde wissen es nicht. „Er sprach nicht gerne über Privates. Wir haben das akzeptiert“, erinnert sich Brune. „Mir kommt er vor wie ein Indianer. Der trennt sich von seinem Stamm, wenn er alt ist, geht in den Wald – und verschmilzt mit der Natur.“ Vielleicht hatte Heinz Schüssler von allen drei Wolkensteinern den stärksten Bezug zu Südtirol. In einem kurzen Text beschreibt er seine Kindheitserinnerungen in einem Tiroler Tal – die Heimat des Ritters Oswald von Wolkenstein
Der Garten über der A3
Als sie Heinz Schüssler zum ersten Mal in seinem Haus besuchten, waren die Freunde überrascht über den Garten und das Kräuterdomizil, das er hegte und pflegte – hinter einer Lärmschutzwand direkt über der lauten, vielspurigen A3.
Bert Brune, der Stadtwanderer, schreibt weiter seine Gedichte in Kölner Cafés: „Wo sind sie geblieben, die Helden vergangener Südstadtzeiten“. Auch Frieder Döring, früher für „Ärzte für die Dritte Welt“ viel unterwegs, temperamentvoller Wolkenstein-Interpret, denkt oft an seinen Freund. Er würde ihm gerne etwas nachrufen: „Heinz, wir sehen uns auf der Seiser Alm!“