Nippes – Als das Tivoli-Theater 1928 nach einer Neugestaltung wiedereröffnet wurde, war die Fachpresse begeistert. „Tageshelle flutet aus dem geschmackvoll erneuerten Foyer, und lichtüberflutet strömen die Besucher in „ihr“ Theater“, schrieb der „Film-Kurier“ über das Ufa-Kino: „Ein leichtes Rot macht den etwa 1000 Plätze fassenden Saal, der in den Pausen von 12 neuartigen Glastransparenten erhellt wird, recht anheimelnd.“
Neusser Straße in prächtigen Farben
Die Eindrücke stammten nicht etwa aus einer schillernden Nacht in der Kölner Innenstadt, sondern von der Neusser Straße in Nippes. Hier blühte die Kinolandschaft einst in prächtigen Farben. Sechs Kinos gab es im Laufe der Geschichte, die meisten davon an der Neusser Straße. Doch keins hat überlebt. Technische Revolutionen, Kriegszerstörungen und geänderte Kundenwünsche haben sie alle dahingerafft.
Übriggeblieben sind meist gesichtslose Geschäftshäuser. „Es ist unvorstellbar, wie sich die Städte nach dem Krieg gewandelt haben“, sagt Carolina Hahn.Die 33-Jährige nimmt an diesem Mittag an einer neuen Führung des Vereins „Köln im Film“ zur Kinogeschichte in Nippes teil.
Irene Schoor, Historikerin und Angehörige des Vereins, führt zu den Orten, an denen sich die Nippeser einst ihre Freizeit vor riesigen Leinwänden versüßten. Wie in Mülheim, Kalk oder Ehrenfeld lebten in Nippes zahlreiche Arbeiter und Angestellte, die Industrialisierung ließ die Bevölkerungszahl regelrecht explodieren. Während in bürgerlichen Stadtteilen wie Sülz oder Lindenthal vornehm die Nasen gerümpft wurden, waren die bewegten Bilder in den Arbeitervierteln äußerst gern gesehen.
Eröffnungsfilm damals 30 Minuten lang
Das erste Nippeser Kino eröffnete 1907 an der Neusser Straße 257. Das Gebäude des „Biophoto-Theaters“ gehört zu den wenigen, die bis heute überlebt haben. Ein Jahr zuvor hatte in Köln das allererste Kino mit fester Adresse geöffnet. „Bis dahin war das Kino ein Wanderkino“, sagt Irene Schoor, die viele historische Annoncen aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Fotos mitgebracht hat. Der Eröffnungsfilm im Biophoto-Theater war „Aschenbrödel“ und dauerte 30 Minuten lang – eine Sensation. Die ersten bewegten Bilder, die die Kölner 1896 am Augustinerplatz zu sehen bekamen, hatten gerademal 45 Sekunden.
Altersbeschränkungen gab es Anfang des 20. Jahrhunderts nicht. Die Mitglieder des „Kölner Männervereins zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit“ machten Meldung bei der Polizei, wenn ihnen etwas anstößig vorkam. „Der Verein war sehr umtriebig und sehr willkürlich“, sagt Irene Schoor: „Sie machten den Kinos das Leben zu Hölle.“
Auch in der Kölner Stadtverordneten-Versammlung sei heftig über „Schund und Schmutz“ in den Kinos gestritten worden. Das Ergebnis sei die „Lustbarkeitssteuer“ gewesen, die Kölner Kinos ab 1913 zu entrichten hatten. Zu kämpfen hatten die Betreiber auch mit der ständigen Brandgefahr durch die leicht entflammbaren Zelluloidfilme, auch Nitrofilme genannt: „Die waren explosiver als Schwarzpulver“, so Irene Schoor.
1943 wurde das Kino zerstört
In der Anfangszeit waren es in den Vororten vor allem Einzelunternehmer, die Kinos gründeten. In der Regel waren Gaststätten der Ursprung der Lichtspielhäuser. So auch die Victoria-Lichtspiele an der Ecke Merheimer Straße/ Sechzigstraße. Der erste Saal hatte 350 Plätze, eine frühe Anzeige weist für 1922 den Film „Der Kokainschmuggler“ aus. Betreiber war die Familie Brodmeyer.
Ihr folgte 1935 ein gewisser Josef Grohé, Cousin des gleichnamigen NS-Gauleiters für den Gau Köln-Aachen, der die Victoria-Lichtspiele in U.T. Lichtspiele umbenannte und die damals üblichen Propaganda-Filme der Nazis zeigte. 1943 wurde das Gebäude durch Bomben zerstört, woraufhin Grohé mit Hilfe der Reichsfilmkammer ein Kino an der Neusser Straße 338 übernahm.
Die U.T. Lichtspiele hingegen feierten erst 1952 Wiedereröffnung, diesmal als Union-Theater. Doch schon 1961 schloss sich hier für immer der Vorhang. Heute befindet sich im ehemaligen Kinosaal ein Fahrradgeschäft. Die erste große Krise war für die Kinolandschaft der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm ab den späten 1920-er Jahren. Die dafür nötigen Investitionen bedeutete für viele Betriebe das Aus. Musiker, die bis dato die Filme untermalten, mussten gehen. In den 1960er Jahren folgte dann der große Besucherschwund.
Gab es Ende der 1950er Jahre noch 89 Kinos in Köln, waren es zehn Jahre später 47. Heute sind es noch 15. In Nippes schloss 1968 mit der Filmburg an der Neusser Straße 264 das letzte Kino. Die Qualität der Filme sei hier bis zuletzt gut gewesen, so Irene Schoor. Pornos seien jedenfalls nicht gezeigt worden.
Die nächste Führung zur Kinogeschichte in Nippes plant der Verein „Köln im Film“ für Oktober.