Photovoltaik ist eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende. Aber wer bringt die Panels auf Dach? In einem Crashkurs lernen junge Menschen in Köln das Solarhandwerk kennen.
Erstes Kölner SolarcampHier tüftelt Kölns Energiewende-Nachwuchs
Noch einmal die Schraube anziehen, ein prüfendes Rütteln an der Modulhalterung. Sitzt, passt, wackelt nicht. Vincent Sparrenberg lächelt zufrieden. Dann springt er vom Dach.
„Auf der echten Baustelle geht's tiefer runter“, sagt der 27-Jährige. Er ist einer von 18 Teilnehmern des ersten Kölner „Solarcamp for Future“. Zwei Wochen lang dürfen sie in das Photovoltaik-Handwerk hineinschnuppern. Zunächst in Trockenübungen auf dem Camp-Gelände, anschließend in Kurzpraktika unter Realbedingungen. Beim Klettern, Flexen und Montieren lernen sie alle Schritte von der Planung bis zur Inbetriebnahme einer Solaranlage kennen.
Laut einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung schaltete die Solarbranche allein im Jahr 2022 etwa 52.000 Online-Stellenanzeigen. Viele davon blieben bis heute unbesetzt. Und das, obwohl junge Menschen wie Vincent, Beccy und Jan-Hendrik sich gerne für den Klimaschutz einbringen möchten. Sie haben sich bisher vor allem aus akademischer Perspektive mit dem Thema auseinandergesetzt. Um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, braucht es aber auch praktische Lösungen – und Menschen, die diese umsetzen.
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Vom Schreibtisch in die Praxis
Das Solarcamp soll zeigen, dass dabei vom Uni-Absolventen bis zum Ausbildungsabbrecher jede helfende Hand nützlich sein kann. Dafür haben die Camp-Organisatoren auf dem Gelände des „Latibul“ in Köln-Riehl ein zwei Meter hohes Satteldach zum Üben aufgebaut. Sie wollen vor allem junge Menschen für das „Anpacken“ bei der Energiewende begeistern. Vorkenntnisse sind nicht nötig, Schwindelfreiheit und handwerkliches Geschick erwünscht. Die meisten Teilnehmer sind zwischen 19 und 34 Jahren alt und bringen sehr unterschiedliche Hintergründe mit.
Vincent Sparrenberg hat Umwelttechnik und Wasserwissenschaften in Münster studiert. Von der Theorie hat er vorerst genug, er möchte die Praxis erleben. Ob er sich auch vorstellen kann, hauptberuflich ins Handwerk einzusteigen? „Das weiß ich noch nicht, aber auf dem eigenen Dach so eine Anlage anzubringen, das wäre schon cool“, sagt er.
Beccy Rechenberg aus Bonn ist 27 Jahre alt und hat die Klimakrise bisher vor allem „vom Schreibtisch“ aus bekämpft. Die studierte Politikwissenschaftlerin wurde durch einen Zeitungsartikel auf die Solarcamps aufmerksam, die 2022 erstmals in Braunschweig von einem Bündnis aus der Regionalen Energie- und Klimaschutzagentur „reka e.V“ und „Fridays for Future“ ausgerichtet wurden. Prompt stieß sie zum Organisationsteam und half dabei, die Camps in mehreren Städten bundesweit zu etablieren. Nun schlüpft sie selbst in die Rolle der Teilnehmenden und flext und schraubt mit. Ein Quereinstieg ins Handwerk sei für sie denkbar, sagt Beccy.
Betriebe suchen helfende Hände für die Energiewende
Wie wichtig qualifizierter Nachwuchs für die Solarbranche ist, weiß auch Ansgar Delahaye. Der Diplom-Ingenieur ist Geschäftsführer der „Voltagy GmbH“ aus Gummersbach und hat zahlreiche PV-Installationsprojekte geplant und ausgeführt. Er bringt den Teilnehmern die theoretischen Grundlagen seines Handwerks bei – und hofft, sie für eine berufliche Laufbahn in seiner Zunft zu gewinnen.
Um den stetig steigenden Bedarf an Solarstrom zu decken, brauchen die Fachbetriebe dringend Unterstützung bei der Planung, Installation und Wartung der Anlagen. Delahaye bietet daher in der zweiten Campwoche ein Kurzpraktikum in seinem Betrieb an. Er verspricht: „Bei uns gibt's gute Laune auf der Baustelle.“ Neben seiner Firma beteiligen sich vier weitere Betriebe am Solarcamp, die ebenfalls Praktikanten aufnehmen.
Die Plätze werden zugelost. Ob die Praktikanten vergütet werden, entscheiden die teilnehmenden Betriebe selbst. Wer keinen Praktikumsplatz erhält, kann in der zweiten Campwoche dennoch ein Zertifikat zur „EUP“ (Elektrotechnisch unterwiesene Person) erlangen, mit dem die spätere Suche nach einschlägigen Jobs oder Praktika leichter gelingen soll.
Lamin Sey (33) darf vier Tage in Delahayes Betrieb reinschnuppern. Für ihn geht es auf eine Baustelle in Köln-Zollstock – in 16 Metern Höhe. Angst vorm Klettern auf dem Dach hat Sey nicht, durch das Ausprobieren auf dem Übungsdach wisse er nun, wie man sich dort bewegt, sagt er. Zudem erhält er vor Ort eine gesonderte Sicherheitsunterweisung.
„Die Motivation ist entscheidend“
Bei aller Zuversicht: Den Beteiligten sind die Grenzen des Camps durchaus bewusst. Die Installation von PV-Anlagen vereint Elemente des Elektrik- mit denen des Dachdecker-Handwerks. Beides erfordert eine Facharbeiterausbildung. „Das kann man nicht in zwei Wochen vermitteln“, sagt Ansgar Delayhaye. „Aber man kann motivierten Leuten eine Idee davon geben, ob es ihnen langfristig Spaß machen könnte, in diesem Bereich zur Energiewende beizutragen“, so der 58-Jährige.
Jan-Hendrik Bitter strotzt vor Motivation. Der 24-Jährige hat seinen Master in Elektrotechnik an der TH Köln abgeschlossen und plant, bald mit einem ehemaligen Kommilitonen einen eigenen PV-Betrieb aufzubauen. Er sieht Solarenergie als ein Mittel zu einer dezentraleren und unabhängigeren Versorgungsstruktur. Schließlich sei nahezu jedes Dach geeignet und alle könnten mitmachen, so Bitter weiter.
Veranstalter ziehen positives Fazit – weitere Camps in Planung
Eineinhalb Wochen später versammeln sich die Camp-Teilnehmer und das Organisationsteam erneut auf dem Latibul-Gelände. Mit einer Ausnahme haben alle Teilnehmer die EUP-Prüfung erfolgreich bestanden. Die Praktikanten dürfen von ihren Erfahrungen berichten – hat sie der Alltag auf der Baustelle womöglich abgeschreckt? „Im Gegenteil“, sagt Jan Hendrik-Bitter. Es sei zwar „etwas ganz anderes“ auf dem richtigen Dach zu stehen und die Abläufe in der Praxis mitunter ein wenig chaotisch. „Aber das spornt mich an zu überlegen, wie ich es vielleicht irgendwann selbst einmal besser machen könnte“, erklärt Bitter.
Zur Abschlussveranstaltung haben sich auch Gäste aus Politik und Wirtschaft in Köln-Riehl eingefunden. Unter ihnen ist Bettina Dietrich, Geschäftsführerin der Dachdecker- und Zimmerer-Innung Köln, sie ermutigt die Camp-Teilnehmer, am Ball zu bleiben: „Wer sich dem Klima verschreiben will, muss sich nicht auf der Straße festkleben“, sagt sie. Stattdessen könne man im Handwerk selbst wirksam werden, erklärt Dietrich weiter und nutzt die Gelegenheit für den Hinweis, dass einige Betriebe in der Region noch immer auf der Suche nach Azubis seien.
Direkt in einen Betrieb übernommen wird vorerst keiner der Camp-Teilnehmer, dennoch zeigt sich das Orga-Team um Ingenieur Bernd Blaschke zufrieden. „Unser Ziel war es, Begeisterung für die Photovoltaik zu wecken. Das ist uns gelungen, denke ich“, sagt er. Die Tendenz bei jungen Menschen sei es, nach dem Abitur zu studieren. Dabei könne man im Handwerk erstens Spaß haben und zweitens gutes Geld verdienen. Um diese Botschaft weiterzutragen, solle es auch im kommenden Jahr wieder ein Solarcamp in Köln geben. Und wenn es nach Blaschke geht, bleibt es nicht dabei. Sein Wunsch für die Zukunft: 20 Solarcamps in ganz Nordrhein-Westfalen.