- Gudrun Hentges ist Professorin für Politikwissenschaften und politische Bildung an der Universität Köln.
- Im Interview spricht sie über Fridays for Future, über die Geschichte von sozialen Bewegungen in Deutschland und darüber, wieso Aktivisten meistens jung sind.
Köln – Frau Hentges, fassen Sie uns bitte die jüngere Geschichte des politischen Aktivismus in Deutschland zusammen.
Es ist ein Auf und Ab. Die Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) begann mit der Studentenbewegung der späten 60er-Jahre. Die Ökologie-Bewegung und die Anti-AKW-Bewegung setzten bereits in den 70er Jahren das Thema Ökologie auf ihre Agenda, sie mahnten vor einer Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen durch technologische Entwicklungen und traten für eine staatliche Förderung von erneuerbaren Energien ein. Die nächste große Protestwelle gab es Anfang der 80er-Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss. Als weitere Spitze folgten die Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland als wichtiger Bestandteil der Friedlichen Revolution in der DDR. Dann kam lange wenig. Fridays for Future knüpft nun an Traditionen der Neuen Sozialen Bewegungen an und bringt seit 2018 sehr viele Menschen auf die Straßen.
Ist politischer Aktivismus immer jung?
In der Tendenz kann man sagen: ja. Junge Menschen sind besonders sensibel für Fragen nach sozialer Ungleichheit, sie treten ein für soziale Gerechtigkeit und machen sich Sorgen um die Zukunft des Planeten. International und auch in Deutschland waren es immer wieder die jungen Menschen, die ihren Protest auf die Straße getragen haben.
Warum ist das so?
Grundsätzlich haben junge Menschen im positiven Sinne ein höheres Maß an Sensibilität, wenn es um das gesellschaftliche Zusammenleben geht. Denn die Verhältnisbestimmung zwischen Individuum und Gesellschaft findet in dieser Lebensphase statt. Ältere sind oft mehr mit dem Privaten, der eigenen Familie und Konsumgütern befasst. Außerdem greifen irgendwann Gewöhnungseffekte, wenn es um soziale Missstände geht.
Würden Sie sagen, die großen deutschen Protestbewegungen haben Ihre Ziele erreicht?
Wenn wir uns heute die Frage stellen, ob etwa die Studentenbewegung erfolgreich war, müssen wir sagen: Ja, unbedingt. Einige Zeithistoriker sprechen vom Jahr 1968 als dem eigentlichen "Jahr Null" der bundesdeutschen Geschichte; es bedurfte der Studentenbewegung, um eine kulturelle Wende herbei zu führen. Ein Motto wie "Unter den Talaren - der Muff von 1000 Jahren" verwies auf die personellen Kontinuitäten der Eliten in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Somit trug die Studentenbewegung zu einer Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft bei und förderte die politische Partizipation. Die Montagsdemonstrationen der Jahre 1989 und 1990 in Ostdeutschland waren Ausdruck einer friedlichen Revolution und führten zu einem Ende der DDR. Auch hier zeigt sich: Das politische Veränderungspotenzial durch Aktivismus ist sehr groß.
Wie ist es Fridays for Future gelungen, eine so große Protestbewegung in Deutschland loszutreten?
Fridays for Future ist in die Schulen und Hochschulen gegangen, damit die Klimakrise dort thematisiert wird. Zugleich haben sich im Umfeld der Bewegung Expertinnen und Experten herausgebildet, die über ein großes Maß an Wissen und Argumenten verfügen. Diese Arbeit an der Basis, der Klimastreik vor Ort, die große Mobilisierung bei Demonstrationen in zahlreichen Städten, die Herausbildung von Expertenwissen und die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sind unterschiedliche Strategien, die alle zum Erfolg von Fridays for Future beigetragen haben.
Welches Potenzial gibt es in Köln für politischen Aktivismus?
Ein sehr großes. Die Kölner Stadtgesellschaft ist geprägt durch zivilgesellschaftliches Engagement und soziale Bewegungen. Damit ist die Stadt prädestiniert für soziale Bewegungen wie Fridays for Future. Es gibt hier oft keine so großen Hierarchien, es ist üblich, politische Anliegen direkt vorzutragen. Außerdem gibt es in Köln eine lange Tradition der kritischen Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. Ab Anfang der 80er Jahre gab es zahlreiche Hausbesetzungen in Köln, aus denen auch Kulturprojekte entstanden sind. Der Abriss der Alten Feuerwache konnte durch einen Verein verhindert werden, der sich für den Erhalt des Hauses einsetzte. Dass es die Alte Feuerwache als Kulturzentrum und auch Treffpunkt für Bewegungen wie Fridays for Future gibt, haben wir den Kölner Aktivistinnen und Aktivisten zu verdanken, die durch zivilgesellschaftliche Interventionen ein kulturelles Zentrum geschaffen haben.
Zur Serie „Junges Köln“
Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.